JudikaturOGH

1Ob204/09w – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Karl D*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Putz, Dr. Andreas Rischka und Mag. Bernhard Löw, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 12.659,25 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 2009, GZ 14 R 80/09a 10, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. Februar 2009, GZ 3 Cg 69/08a 6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 838,44 EUR (darin enthalten 139,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Nach dem unstrittigen bzw ausdrücklich außer Streit gestellten Klagevorbringen ist der Kläger Teilnehmer eines „Konsortiums", dessen Ziel es ist, durch Musterklagen Sach- und Rechtsfragen zu klären, die in Absprache mit der Beklagten Wirksamkeit für sämtliche Teilnehmer des Konsortiums entfalten sollen. In einem zu 33 Cg 9/03s des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien geführten Musterprozess (Amtshaftungsverfahren) wurde festgestellt, dass die Beklagte dem dortigen Erstkläger für den Ausfall an seiner anerkannten Konkursforderung, den er im Konkurs über das Vermögen einer Bank infolge Zeichnung einer bestimmten Anleihe erleidet, haftet. Zwischen der Beklagten und einem Vertreter des Konsortiums wurde vereinbart, dass die Teilnehmer des Konsortiums - darunter auch der Kläger - gleich zu behandeln sind und das Feststellungsurteil im Musterprozess auch zugunsten des Klägers „wirken" solle. Der Kläger hatte im Konkursverfahren eine Forderung in Höhe von 26.373,42 EUR angemeldet, die auch festgestellt worden war. Gegenstand des Musterverfahrens war die Frage, ob die Beklagte für den Ausfall der anerkannten Quotenforderung ersatzpflichtig ist.

Der Kläger begehrte von der Beklagten nun die Zahlung von 12.659,25 EUR samt Zinsen und brachte dazu im Wesentlichen vor, nach zehnjähriger Verfahrensdauer stehe nun fest, dass der Kläger einen Ausfall von zumindest 48 % seiner Forderung erleiden werde; wahrscheinlich werde der Schaden noch höher sein. Das Konkursverfahren selbst werde voraussichtlich noch etwa fünf Jahre dauern. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Kläger berechtigt, den bereits jetzt schon feststehenden Teil seines von der Beklagten dem Grunde nach nicht bestrittenen Anspruchs geltend zu machen.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, das Zahlungsbegehren sei verfehlt, weil eine Bezifferung des Schadens nach wie vor nicht möglich sei. Die maßgebliche Sach- und Rechtslage habe sich seit rechtskräftiger Beendigung des Musterverfahrens nicht geändert. In diesem sei das Feststellungsinteresse bejaht worden, weil ein Schaden zu erwarten, aber noch nicht bezifferbar gewesen sei; das Feststellungsinteresse sei gegeben, wenn die Möglichkeit des Eintritts eines künftigen Schadens offen bleibe. Für die Fälligkeit eines Schadenersatzanspruchs sei dessen zahlenmäßige Bestimmung erforderlich. Eine solche sei jedoch im vorliegenden Fall vor Abschluss des Konkursverfahrens nicht möglich. Der Kläger habe ausreichenden Rechtsschutz durch die getroffene Vereinbarung, wonach das im Musterverfahren ergangene Feststellungsurteil auch zu seinen Gunsten wirke. Damit bekomme er nach Abschluss des Konkursverfahrens den Ausfall ersetzt. Auch diese Vereinbarung schließe die Geltendmachung von Leistungsansprüchen vor Aufhebung des Konkursverfahrens aus. Der Anspruch des Klägers bestehe schon deswegen nicht, weil er lediglich einen mittelbaren Schaden darstelle.

Das Erstgericht stellte (unbekämpft) fest, dass der Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Konkursverfahren einen Ausfall von zumindest 48 % seiner festgestellten Forderung erleiden werde. Es wies das Klagebegehren allerdings mit der Begründung ab, im Musterurteil werde nur eine Haftung für den Ausfall ausgesprochen. Dabei handle es sich um einen einheitlichen Begriff, der den Differenzbetrag zwischen der anerkannten Konkursforderung und jenem Gesamtbetrag bezeichne, der nach der letzten Zahlung aus der Konkursmasse insgesamt an den Kläger ergangen sein werde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum dieser einheitliche Begriff in mehrere Teile zerlegt werden sollte. Der Ausfall als homogener Schadensbegriff und Ergebnis eines Konkursverfahrens sei naturgemäß nicht in mehrere Teilschäden zu zerlegen. Die Zulassung derartiger Methoden der Schadenszerlegung könnte zu einer Ausuferung führen und würde die Möglichkeit zur Einklagung geringerer Beträge in beliebigen Konkursverfahrensstadien eröffnen, was keineswegs im Sinne des Gesetzgebers sein könne und dem Grundsatz der Verfahrensökonomie widerspreche. Gemäß § 406 ZPO sei eine Verurteilung zu einer Leistung grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die Fälligkeit im Zeitpunkt der Urteilsschöpfung bereits eingetreten ist. Für erst in Zukunft eintretende Ereignisse fehle es an der erforderlichen Sicherheit richterlicher Erkenntnis. Grundsätzlich habe das Gericht nichts zu prognostizieren, sondern bereits Vorliegendes zu beurteilen. Obwohl der Ausfall des Klägers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens 48 % betragen werde, handle es sich trotzdem um eine erst in der Zukunft liegende Tatsache, welche vor Abschluss des Konkursverfahrens den für die Zulässigkeit eines Leistungsbegehrens notwendigen Grad an Sicherheit nicht aufweise. Ein Ausfall im Sinne der Entscheidung im Musterverfahren liege erst mit Beendigung des Konkursverfahrens vor; vorher könne nur von einem mutmaßlichen Ausfall gesprochen werden, zu dessen Ersatz die Beklagte im Musterprozess nicht verurteilt worden sei.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Die Überprüfung der Berechtigung des Klagsanspruchs habe ausschließlich auf der Grundlage der Vereinbarung zwischen den Mitgliedern des Konsortiums und der Beklagten zu erfolgen. Darin habe die Beklagte unter anderem gegenüber dem Kläger die Haftung für den Ausfall an seiner anerkannten Konkursforderung übernommen. In der getroffenen Vereinbarung sei ganz allgemein nur davon die Rede gewesen, dass die Beklagte für den „Ausfall, den (ua) der Kläger ... erleidet", haften solle. Ein Zeitpunkt, wann dieser Ausfall feststehen werde, sei ausdrücklich nicht vereinbart worden. Stehe der Ausfall tatsächlich erst zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Beendigung des Konkursverfahrens fest, trete erst mit diesem Zeitpunkt Fälligkeit ein. Stehe der Ausfall hingegen schon zu einem vor der rechtskräftigen Beendigung des Konkursverfahrens liegenden Zeitpunkt fest, so sei ab diesem Zeitpunkt von der Fälligkeit des Ausfallsbetrags auszugehen. Die im vorliegenden Verfahren getroffene Feststellung eines Ausfalls von zumindest 48 % rechtfertige die Annahme, dass nach über zehnjähriger Dauer, aber noch vor rechtskräftigem Abschluss des Konkursverfahrens, der Ausfall des Klägers in Höhe des Klagsbetrags feststehe. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Interessenlage könne die Vereinbarung entsprechend der Übung des redlichen Verkehrs wohl nur so verstanden werden, dass damit auch die Fälligkeit dieser Forderung eingetreten ist, weshalb hier eine Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 406 Satz 2 (zu ergänzen: ZPO) über die Ansprüche mit Alimentationscharakter hinaus sachgerecht erscheine. Die Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der Teilfälligkeit des Ausfalls eines Konkursgläubigers vor rechtskräftiger Beendigung des Konkursverfahrens als besondere Interessenlage im Sinne des § 406 Satz 2 ZPO bisher noch nicht Stellung genommen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Zutreffend zeigt die Revisionswerberin auf, dass die Bestimmung des § 406 Satz 2 ZPO für den vorliegenden Fall keine Bedeutung hat und die Argumentation des Berufungsgerichts in diesem Zusammenhang auch nicht ohne Widersprüche ist. Dieses hat die Beklagte ja nicht etwa zu einer erst in der Zukunft zu erbringenden Leistung verurteilt (zB „... ist schuldig, den Klagebetrag binnen 14 Tagen nach rechtskräftiger Beendigung des Konkursverfahrens ... zu zahlen."), sondern ist von einer bereits eingetretenen Fälligkeit des geltend gemachten Ersatzanspruchs ausgegangen, welcher daher unverzüglich - innerhalb der 14 tägigen Leistungsfrist des § 409 Abs 1 Satz 2 ZPO - zu erfüllen sei.

Davon, dass das Berufungsgericht im Übrigen ein unrichtiges bzw sogar unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt hätte, kann keine Rede sein, zumal auch die Beklagte kein Vorbringen dahin erstattet hat, dass die Vertragsparteien dem Wortlaut ihrer Vereinbarung übereinstimmend eine besondere, vom allgemeinen Verständnis abweichende Bedeutung beigelegt hätten. Dass es dem Sinn einer solcher Vereinbarung widerspräche, wenn die Mitglieder des Konsortiums schon im Zuge des offenen Konkursverfahrens nach Maßgabe des schon vor dessen Abschluss errechenbaren Mindestausfalls Teilzahlungen einfordern könnten, ist in keiner Weise zu erkennen. Dies kann insbesondere nicht mit dem Argument begründet werden, eine solche Vorgangsweise würde krass prozessökonomischen Erwägungen und praktischen Überlegungen zuwiderlaufen, die den Vereinbarungen über die Führung von Musterprozessen zugrundegelegt worden seien. Abgesehen davon, dass sich aus dem insoweit unbestrittenen Akteninhalt ergibt, dass im maßgeblichen Musterprozess allein die Frage der Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu beurteilen war, und der Sinn der Vereinbarung ersichtlich in erster Linie jener war, das Führen vieler gleichartiger Prozesse durch mehrere Kläger über dieses Thema zu vermeiden, besteht auch sonst kein vernünftiger Grund zur Annahme, dass sich die Vertragsparteien seinerzeit über die Frage der Fälligkeit der Ansprüche der betroffenen Mitglieder des Konsortiums Gedanken gemacht hätten, die in die Vereinbarung eingeflossen wären. Wäre es der Beklagten ein Anliegen gewesen, Klarheit darüber zu schaffen, dass Fälligkeit der Ansprüche erst nach der Schlussverteilung im Konkursverfahren eintreten soll, so wäre es ihr unbenommen geblieben, auf eine derartige Vertragsbestimmung hinzuwirken.

Haben die Vertragsparteien nun aber lediglich vereinbart, dass das Feststellungsurteil im Musterprozess auch zugunsten des Klägers wirken und die im Musterprozess geklärten Fragen Wirksamkeit für sämtliche Teilnehmer des Konsortiums entfalten sollen, so bedeutet dies bei unbefangener Auslegung nur, dass dem Kläger rechtlich jene Stellung zukommen soll, wie er sie hätte, wenn er selbst ein entsprechendes Feststellungsurteil zu seinen Gunsten erwirkt hätte. Die - weit über die konkrete Vereinbarung hinausgehende und daher auch viel allgemeiner zu formulierende - Frage ist daher allein, ob ein dem Grunde nach unbestrittener (Teil )Anspruch schon dann fällig wird bzw vom Gläubiger fällig gestellt werden kann, wenn die Höhe der Gesamtforderung noch nicht feststeht (oder noch nicht feststellbar ist), ein Mindestbetrag jedoch bereits jetzt schon verlässlich ermittelt werden kann. Kann also insbesondere ein Kläger, der im Besitz eines rechtskräftigen Feststellungsurteils über einen bisher nicht ausreichend bezifferbaren Anspruch ist, eine (Teil )Leistung verlangen, wenn sich der Sachverhalt in der Zwischenzeit insoweit verändert hat, als nunmehr zumindest dieser Teil abschließend und verlässlich beurteilt werden kann?

Gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Bejahung dieser Frage zeigt die Revisionswerberin, die sich in erster Linie mit Fragen der Vertragsauslegung beschäftigt, keine vernünftigen Bedenken auf, zumal sie selbst nicht in Frage stellt, dass die Feststellung eines bestimmten Ausfalls „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" das von § 272 ZPO geforderte Beweismaß erreicht. Unter diesen Umständen erscheint es vielmehr verwunderlich, dass sich die Beklagte trotz der drohenden nachteiligen Kostenfolgen (für die öffentliche Hand) auf einen solchen Prozess einlässt, wenn sie selbst - jedenfalls in Rechtsmittelverfahren - zugesteht, dass die erhobene Forderung auch der Höhe nach zu Recht besteht und sie sich letztlich auch im Falle einer späteren Fälligkeit nichts ersparen könnte, weil vereinbarungsgemäß die zusätzlich zu vergütenden Zinsen jedenfalls ab dem Tag der Konkurseröffnung laufen. Warum es nicht möglich sein sollte, den Teil einer Forderung geltend zu machen, die sich derzeit zwar nicht insgesamt, wohl aber mit einem bestimmten Mindestbetrag mit Sicherheit beurteilen lässt, ist - auch mangels von der Revisionswerberin ausgeführter Argumente - nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang soll es daher mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass sogar ein Teilurteil gemäß § 391 Abs 1 ZPO gefällt werden kann, wenn die bisher gewonnenen Verfahrensergebnisse nur ausreichen, um das Klagebegehren als mit einem bestimmten Teil berechtigt beurteilen zu können. Warum es dann problematisch sein sollte, von vornherein etwa nur diesen Teilbetrag zu begehren, ist nicht erkennbar.

Nicht recht verständlich ist der „Hinweis" der Revisionswerberin darauf, dass im Musterverfahren die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens uneingeschränkt bejaht worden sei, woraus zwingend zu schließen sei, dass ein (Teil )Leistungsbegehren unzulässig gewesen und nach wie vor unzulässig sei, zumal sich am maßgeblichen Sachverhalt nichts geändert habe. Dabei übersieht die Revisionswerberin vor allem, dass sie das Feststellungsinteresse des Klägers im Musterprozess gar nicht in Zweifel gezogen hat, sodass die mit diesem Verfahren befassten Instanzen auch keine Veranlassung hatten, sich damit zu beschäftigen. Darüber hinaus erscheint es durchaus naheliegend, dass zu Beginn eines Konkursverfahrens die letztlich erzielbare Konkursquote kaum näher feststellbar ist, was es durchaus rechtfertigt, ohne entsprechende Prozessbehauptungen einer Partei vom Regelfall auszugehen, dass ein der Höhe nach nicht ausreichend bestimmbarer Anspruch geltend gemacht wird, was eben nur im Wege einer Feststellungsklage möglich ist. Dass in einem späteren Stadium des Konkursverfahrens zwar der endgültige Ausfall immer noch nicht feststeht, aber doch mit ausreichender Sicherheit ein bestimmter Mindestausfall festgestellt werden kann, ist ebenfalls alles andere als ungewöhnlich. Ein sachlicher Grund dafür, dem Schuldner zuzugestehen, auch die Zahlung des bereits feststehenden Mindestbetrags zu verweigern, ist nicht zu erkennen, wird dieser doch insgesamt allenfalls mehr, nie aber weniger bezahlen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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