12Os111/09d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Oktober 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Metzler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen S***** G***** und H***** P***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten H***** P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 20. April 2009, GZ 449 Hv 1/09d-43, und dessen Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten H***** P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden S***** G***** und H***** P***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (1./) und des räuberischen Diebstahls nach (richtig:) §§ 127, 131 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach haben sie - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz - (zu 1./) im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) am 25. Dezember 2008 mit Gewalt I***** T***** junior fremde bewegliche Sachen, nämlich 10 Euro Bargeld und zwei Streifen Somnubene, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, „wobei sie den Raub unter Verwendung einer Waffe verübten, indem S***** G***** über Aufforderung des H***** P***** dem I***** T***** junior mit einem Pfefferspray ins Gesicht sprühte und ihm 10 Euro und zwei Streifen Somnubene wegnahmen".
Die Geschworenen haben in Ansehung des Angeklagten P***** zwar die anklagekonforme Hauptfrage 2 nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB verneint, die Eventualfrage 1 nach unmittelbarer Täterschaft auch dieses Angeklagten jedoch bejaht.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Angeklagten P***** nur gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (1./) aus den Gründen der Z 6, 7, 8 und 9 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst eine Überschreitung der Anklage (Z 7), weil das in der Haupt- bzw der Eventualfrage umschriebene Sachverhaltselement der Wegnahme von zwei Streifen Somnubene nicht Gegenstand der ursprünglichen Anklage war und die Anklage auch in der Hauptverhandlung auf diesen Punkt nicht ausgedehnt wurde. Damit orientiert er sich aber nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes, der ausdrücklich auf den prozessualen Tatbegriff des § 267 StPO abstellt. Danach ist lediglich von Interesse, ob der bekämpfte Schuldspruch in dem von der Anklagebehörde geschilderten Lebenssachverhalt als historischem Geschehen Deckung findet (RIS-Justiz RS0113142). Weshalb Wegfall oder Hinzukommen von Beutestücken unter dem Gesichtspunkt der Identität von Anklage- und Urteilsgegenstand - der Tat im prozessualen Sinn - beachtlich sein oder den dem materiellen Tatbegriff zugrunde liegenden, solcherart bloß handlungsbezogen definierten historischen Sachverhalt verändern sollten (vgl RIS-Justiz RS0118720 [T3]), legt der Rechtsmittelwerber nicht dar. Lediglich zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass der Tatbestand des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB - ebenso wie jener des Diebstahls nach § 127 StGB - die Gegenstände eines einzigen räuberischen Geschehens unter dem Begriff „einer" fremden beweglichen Sache zusammenfasst (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 522, § 295 Rz 18; RIS-Justiz RS0118720).
Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) rügt der Beschwerdeführer, dass die ihn betreffende Hauptfrage 2./ nicht entsprechend konkretisiert worden sei, weil die Begriffe „psychische Unterstützung" und „Aufpasserdienste" […] „die tatsächlichen Handlungen nicht erkennen lassen, die zu einer Überprüfung notwendig sind, ob sie den gebrauchten Begriffen entsprechen". Das Gesetz verlangt zwar die Individualisierung der Tat (nach Ort, Zeit, Gegenstand und dergleichen) zum Zwecke der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat und deren Konkretisierung durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die Subsumtion des von den Geschworenen ihrem Wahrspruch zugrunde gelegten Sachverhalts überhaupt erst ermöglicht und andererseits die Überprüfbarkeit dieser Subsumtion durch den Obersten Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 24 ff mwN). Einer darüber hinausgehenden „Spezialisierung" des Tathergangs, also einer erschöpfenden Beschreibung des gesamten Geschehens in allen Einzelheiten bedarf es hingegen nicht (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 47 ff; RIS-Justiz RS0100780 [T6]).
Die Rüge vernachlässigt jedoch die in der Frage - gegenüber der Anklageschrift - enthaltene Konkretisierung dahin, die psychische Unterstützung habe in der Aufforderung an die Mitangeklagte G***** bestanden, den Pfefferspray zum Einsatz zu bringen. Eine Fragestellungsrüge hat sich aber auf den gesamten in der Frage angeführten Sachverhalt zu beziehen (RIS-Justiz RS0108727). Indem sie daran vorbeigeht, verfehlt sie den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt. Überdies legt sie nicht dar, welcher näheren Konkretisierung das Leisten von Aufpasserdiensten als dem allgemeinen Sprachgebrauch angehörender und in seiner Bedeutung fest umrissener Begriff (vgl RIS-Justiz RS0093542; 9 Os 150/78) bedurft hätte. Die weitere Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB, ohne sich an den Kriterien des beanspruchten Nichtigkeitsgrundes zu orientieren:
Indem sich das Vorbringen nämlich in dem Hinweis auf eine einzelne Aussagepassage aus der Verantwortung der Mitangeklagten S***** G*****, wonach sie dem Opfer I***** T***** junior zuerst das Geld weggenommen und dann mit dem Pfefferspray in sein Gesicht gesprüht habe (vgl S 21 in ON 42), erschöpft und dabei deren weitere Depositionen zur Gänze ignoriert, wonach der Tatplan der Angeklagten schon von vornherein auf den Einsatz des Pfeffersprays zum Zweck der Wegnahme des Geldes gerichtet war, und die beiden Tathandlungen unmittelbar nacheinander erfolgten (ON 42 S 13, 17 f, 21), spricht die Beschwerde kein die begehrte Fragestellung nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizierendes Verfahrensergebnis (konkret: Indizien dafür, dass der Täter die Gewalt erst einsetzte, nachdem er bei einem Diebstahl auf frischer Tat betreten wurde, sich die Gewaltübung also erst für den Täter überraschend aus der Situation ergab [RIS-Justiz RS0124007, RS0093767; vgl auch Eder-Rieder in WK² § 142 Rz 9]), an (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).
Das Vorbringen der Interrogationsrüge, das Beweisverfahren habe keinen Hinweis dafür erbracht, dass der Angeklagte unmittelbar Gewalt gegen I***** T***** junior angewendet oder bei der Wegnahme des Geldscheines mitgewirkt hätte, erschöpft sich in einer Kritik der Beweiswürdigung durch die Geschworenen. Im Übrigen lässt sich das Mitwirken des Angeklagten sowohl auf die Aussage des Zeugen T***** (S 47 ff in ON 42 iVm S 67 f in ON 2) als auch auf die Angaben der Mitangeklagten G***** (insbes S 13, 23 in ON 42) stützen. Der Versuch, die vermeintlich zu Unrecht angenommene unmittelbare Täterschaft auch des Angeklagten P***** im Wege einer eigenständigen, hypothetisch einen Schreibfehler oder einen grammatikalischen Fehler unterstellenden Interpretation der entsprechenden Eventualfrage zur Hauptfrage 2 abzuleiten, verlässt den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes und entzieht sich somit einer sachbezogenen Erwiderung.
Bei ihrer Forderung nach einer „auf den Fall bezogenen" deutlichen und ausdrücklichen Information, was unter „Ausführungshandlung" zu verstehen sei, legt die Instruktionsrüge (Z 8) nicht dar, weshalb die Rechtsbelehrung die von ihr erkennbar gewünschte Bezugnahme auf den konkreten Sachverhalt enthalten sollte, ist eine solche Erörterung doch der nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschworenen vorbehalten (Fabrizy, StPO10 § 321 Rz 2; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 10, 16). Des Weiteren übergeht der Beschwerdeführer, dass der vorliegenden Instruktion sehr wohl zu entnehmen ist, worin die Ausführungshandlungen beim Raub bestehen (siehe S 6 f iVm 8 ff der Rechtsbelehrung), und versäumt eine am Gesetz orientierte, meritorisch erwiderungsfähige Ableitung des angeblich fehlenden Instruktionsinhalts (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65). Die Rüge aus Z 9 behauptet einen in sich widersprüchlichen Wahrspruch der Geschworenen, weil der Angeklagte einerseits gemeinsam mit S***** G***** dem I***** T***** junior 10 Euro und zwei Streifen Somnubene weggenommen habe und andererseits die S***** G***** „zu ihrer Tatausführung nur aufgefordert" habe (gemeint ersichtlich: die Genannte dazu aufgefordert habe, I***** T***** junior mit einem Pfefferspray ins Gesicht zu sprühen). Aus welchem Grund sich diese im Verdikt festgestellten Tatsachen als mit Logik und Empirie unvereinbar ausschließen sollten (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 70 iVm § 281 Rz 436 ff), legt der Beschwerdeführer aber nicht deutlich und bestimmt dar. Das Vorbringen entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, sodass die Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde dem Oberlandesgericht zukommt (§§ 285i, 344 StPO).
Bleibt abschließend der Vollständigkeit halber anzumerken, dass auf die vom Angeklagten selbst (bereits vor der Zustellung des angefochtenen Urteils an den Verteidiger) verfasste „Berufungs und Nichtigkeits Beschwerde" (s S 5 f in ON 47) mit Blick auf die von seinem Verteidiger prozessordnungsgemäß eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde keine Rücksicht zu nehmen ist (vgl RIS-Justiz RS0100046, RS0100175).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.