JudikaturOGH

3Ob193/09t – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon. Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Katharina T*****, und 2. Robert K*****, beide vertreten durch Dr. Hannes K. Müller, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Sarah J*****, vertreten durch Dr. Richard Benda, Dr. Christoph Benda und Mag. Stefan Benda, Rechtsanwälte in Graz, wegen 1.225,39 EUR sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 14. Juli 2009, GZ 3 R 70/09z 20, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz West vom 31. März 2009, GZ 313 C 13/08m 14, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 11. Mai 2009 wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.112,23 EUR bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten 151,45 EUR USt, 203,50 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte und ihr Stiefvater schlossen am 1. Jänner 2005 einen Mietvertrag über die im zweiten Stock eines Hauses in Graz gelegene Wohnung top 11, bestehend aus einem Zimmer, einer Küche, einem Bad und WC und einem Vorraum mit einer Gesamtnutzfläche von ca 27 m². Das Mietverhältnis sollte am 1. Jänner 2005 beginnen und am 31. Dezember 2007, ohne dass es einer gesonderten Kündigung bedarf, enden. Der vertraglich vereinbarte Mietzins von 146,93 EUR wertgesichert war jeweils am 5. eines Monats fällig.

Der Mietvertrag wurde von der Mutter der Beklagten ausgehandelt und vom Stiefvater der Beklagten, dem damaligen Eigentümer, unterfertigt. Die Mutter der Beklagten hatte dazu eine Vollmacht.

Eine Zusatzvereinbarung vom 29. Juni 2006 weist einen Stempel jenes Weinhandelsunternehmens auf, das als Gesellschaft bürgerlichen Rechts von der Mutter und dem Stiefvater der Beklagten gemeinsam geführt wurde. Diese Gesellschaft bürgerlichen Rechts war niemals Eigentümerin der Wohnung und hatte auch nie etwas mit der Vermietung zu tun. Außer diesem Firmenstempel ist auf der Zusatzvereinbarung auch eine Unterschrift der Mutter der Beklagten ersichtlich. Diese hatte für die Unterfertigung das Einverständnis ihres Mannes. Die Mutter der Beklagten handelte diese Zusatzvereinbarung nicht mit der Beklagten aus. Die Beklagte unterschrieb die Vereinbarung nie. Sie wurde nur von ihrer Mutter davon in Kenntnis gesetzt. Inhalt der Zusatzvereinbarung ist, dass der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit verlängert wird und der monatliche Mietzins nur noch 100 EUR inklusive Betriebskosten und Heizung beträgt.

Am 3. September 2007 wurde zwischen den Klägern und dem Stiefvater der Beklagten ein Kaufvertrag über die Liegenschaft geschlossen. Bei Vertragsunterfertigung waren sowohl die Kläger als Käufer als auch der Stiefvater der Beklagten als Verkäufer und dessen Frau, die Mutter der Beklagten, anwesend. Als Übergabestichtag wurde der 1. November 2007 vereinbart. Mit der Unterfertigung des Kaufvertrags verpflichteten sich die Kläger, die bereits bestehenden Bestandverhältnisse zu übernehmen. Den Klägern war bei Vertragsabschluss der mit der Beklagten geschlossene Mietvertrag vom 1. Jänner 2005 bekannt. Dieser Mietvertrag wurde den Klägern übergeben. Eine Übergabe der Zusatzvereinbarung oder eine mündliche Aufklärung über deren Inhalt erfolgte nicht.

Im Kaufvertrag wurde ausdrücklich aufgenommen, dass - in Entsprechung des Mietvertrags der Beklagten - die Wohnung bis zum 31. Dezember 2007 bestandfrei an die Kläger zu übergeben ist. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass neben den den Käufern bekannten Bestandverträgen keine weiteren schriftlichen oder mündlichen Vereinbarungen mit den Mietern bestehen.

Trotz Ablauf der Befristung mit 31. Dezember 2007 und Aufforderung zur Räumung des Objekts weigerte sich die Beklagte, die Wohnung zu verlassen. Sie bezahlte für die Monate November und Dezember 2007 nur 100 EUR anstelle von 177,68 EUR sowie ab Jänner 2008 nur 100 EUR anstelle von 182,31 EUR.

Für den Fall des Zahlungsverzugs wurden im Mietvertrag ab Fälligkeit 10%ige Verzugszinsen vereinbart.

Mit der am 11. Jänner 2008 beim Erstgericht eingelangten Klage begehren die Kläger die Räumung der Wohnung und - nach einer Ausdehnung im Verfahren - zuletzt Zahlung von 1.225,39 EUR sA. Das Mietverhältnis sei durch Fristablauf am 31. Dezember 2007 beendet worden. Das geltend gemachte Zahlungsbegehren schlüsselten die Kläger dahin auf, dass die Beklagte in den Monaten November und Dezember 2007 um jeweils 77,68 EUR monatlich zu wenig an Mietzins bezahlt habe. Ab Jänner 2008 bis einschließlich Jänner 2009 schulde die Beklagte restliches Benützungsentgelt von jeweils 82,31 EUR monatlich. Hilfsweise stützten die Kläger ihr Räumungsbegehren auf § 1118 zweiter Fall ABGB.

Die Beklagte habe nur den Mietvertrag von 1. Jänner 2005 geschlossen. Eine schriftliche oder mündliche Zusatzvereinbarung sei nicht getroffen worden. Die „Zusatzvereinbarung" sei von der Beklagten nicht unterfertigt worden; sie habe auch keine Kenntnis vom Abschluss dieser - im Übrigen von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts unterfertigten - Zusatzvereinbarung gehabt. Durch die Reduktion des Mietzinses auf 100 EUR monatlich inklusive Betriebskosten und Heizung verbliebe als reiner Bestandzins lediglich ein Betrag von 1 EUR.

Die Beklagte wendet ein, am 29. September 2006 eine Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag geschlossen zu haben, wodurch der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit verlängert und ein frei vereinbarter Mietzins inklusive Betriebskosten und Heizung von 100 EUR vereinbart worden sei. Die Kläger seien an diese Vereinbarung gebunden. Die Zusatzvereinbarung sei mündlich zustande gekommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es beurteilte die eingangs wiedergegebenen Feststellungen dahin, dass die „Zusatzvereinbarung" nicht rechtswirksam zustande gekommen sei. Die Vereinbarung sei von der Mutter der Beklagten aufgesetzt und unterfertigt worden. Sie habe ihre Tochter darüber nur in Kenntnis gesetzt. Das reiche für die Annahme eines Vertragsschlusses nicht aus. Infolge Ablaufs der Bestandzeit und rechtzeitiger Klageeinbringung im Sinne des § 569 ZPO habe die Beklagte die Wohnung zu räumen. Überdies schulde die Beklagte die Differenz zum ursprünglich vereinbarten Mietzins bis einschließlich Dezember 2007 und für die Zeit danach Benützungsentgelt in Höhe der Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten Mietzins und den Zahlungen von jeweils 100 EUR monatlich. Die Vereinbarung wäre, selbst wenn sie rechtswirksam zustande gekommen wäre, sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung Folge, änderte das Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Beklagten die „Zusatzvereinbarung" zur Kenntnis gebracht worden sei. Die Beklagte habe sich der Zusatzvereinbarung entsprechend verhalten und ihr somit zumindest schlüssig zugestimmt. Die Kläger seien an die wirksam getroffene Zusatzvereinbarung ihres Rechtsvorgängers gebunden. Auf die Sittenwidrigkeit der Zusatzvereinbarung hätten sich die Kläger in erster Instanz nicht berufen. Weder das Räumungs- noch das Zahlungsbegehren sei daher berechtigt.

Die dagegen von den Klägern erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe der „Zusatzvereinbarung" schlüssig zugestimmt, korrekturbedürftig ist.

Es wurde daher der Beklagten die Erstattung einer Revisionsbeantwortung freigestellt. Von dieser Möglichkeit machte die Beklagte Gebrauch. In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt sie die Zurückweisung der außerordentlichen Revision; hilfsweise wird beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Vorauszuschicken ist, dass Räumungsbegehren, die nicht auf eine von Anfang an titellose Benützung gestützt sind, sondern darauf, dass ein aufrechter Bestandvertrag nicht mehr besteht, § 49 Abs 2 Z 5 JN unterliegen und daher gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO die Zulässigkeit der Revision nicht vom Streitwert abhängt ( Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 § 502 Rz 198 mwN). Zutreffend hat daher das Berufungsgericht seine Entscheidung, der ein auf Beendigung des Bestandvertrags wegen Fristablaufs gegründetes Räumungsbegehren der Kläger zugrunde lag, nicht bewertet.

2. Die Beklagte hat dem Räumungsbegehren und dem Zahlungsbegehren entgegen gehalten, dass sie am 29. September 2006 eine Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag schloss. Dazu hat das Erstgericht ausdrücklich festgestellt, dass die Zusatzvereinbarung nicht mit der Beklagten „ausgehandelt" wurde; die Beklagte hat die Vereinbarung nicht unterschrieben, sie wurde nur von ihrer Mutter davon in Kenntnis gesetzt. Die Beklagte hat in ihrer Berufung diese Feststellungen nicht wirksam bekämpft: Sie führte dort zwar aus, die Feststellung zu bekämpfen, dass die Mutter der Beklagten diese Zusatzvereinbarung nicht mit der Beklagten aushandelte, behauptete aber inhaltlich gar nicht, dass die Feststellung an sich unrichtig sei. Sie verwies lediglich darauf, dass der Umstand, dass das Erstgericht feststellte, dass die Mutter der Beklagten ihr die Zusatzvereinbarung zur Kenntnis brachte, für das mündliche Zustandekommen einer Vereinbarung ausreichend sei. Ob das allerdings der Fall ist, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung.

3. Es ist somit von dieser in Wahrheit unbekämpft gebliebenen Feststellung auszugehen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe der „Zusatzvereinbarung" schlüssig dadurch zugestimmt, dass sie nur noch den verminderten Zins zahlte und mit Ablauf des 31. Dezember 2007 die Wohnung nicht räumte, ist unzutreffend: Abgesehen davon, dass sich die Beklagte auf das Zustandekommen einer schlüssigen Vereinbarung in erster Instanz gar nicht berufen hat, scheitert die Annahme eines solchen schlüssigen Mietvertragsabschlusses bereits daran, dass gerade nicht feststeht, dass die Beklagte gegenüber dem Offerenten der Zusatzvereinbarung ein Verhalten setzte, das als schlüssige Annahme der angebotenen Vertragsänderung zu werten wäre: Weder steht fest, wann die Mutter der Beklagten die Beklagte über die „Zusatzvereinbarung" in Kenntnis setzte, noch steht fest, dass die Beklagte bereits vor Übergabe der Liegenschaft an die Kläger bloß den verminderten Zins zahlte. Wenngleich selbstverständlich richtig ist, dass ein Mietvertrag auch schlüssig vereinbart werden kann, fehlt es hier an einem festgestellten Verhalten der Beklagten, das den Schluss rechtfertigen könnte, die Beklagte habe gegenüber dem Rechtsvorgänger des Klägers, ihrem Stiefvater, das Anbot auf Änderung des Mietvertrags angenommen. Das Verhalten der Beklagten gegenüber den Klägern selbst, die das Haus mehr als ein Jahr nach der „Zusatzvereinbarung" erwarben, kann für eine schlüssige Zustimmungserklärung der Beklagten schon deshalb nicht ins Treffen gezogen werden, weil die Kläger nicht die Offerenten der „Zusatzvereinbarung" gewesen sind. Bei dieser Sachlage ist das Vorliegen einer schlüssig vereinbarten Mietvertragsänderung schon deshalb zu verneinen, weil es an einem Umstand fehlt, der nach dem maßgeblichen Verständnis des Stiefvaters der Beklagten bzw seiner Vertreterin, der Mutter der Beklagten, objektiv als Verhalten mit Erklärungsbedeutung gewertet werden könnte (s dazu Rummel in Rummel ABGB³ § 863 Rz 8; RIS Justiz RS0014160).

Darauf, dass - offenbar irrtümlich - als Vermieter in der „Zusatzvereinbarung" nicht der Stiefvater der Beklagten, sondern ein Weinhandelsunternehmen aufscheint, kommt es daher nicht mehr entscheidend an.

4. Da die Beklagte auch keinerlei Sachvorbringen erstattete, aus dem eine schlüssige Annahme der als Offerte zu wertenden „Zusatzvereinbarung" ableitbar wäre, war in Abänderung der Berufungsentscheidung das Ersturteil wiederherzustellen. Die im schriftlichen Mietvertrag vom 1. Jänner 2005 enthaltene dreijährige Befristung wurde wirksam vereinbart (§ 29 Abs 1 Z 3 lit b MRG). Damit erweist sich auch das Zahlungsbegehren als berechtigt, weil eine Mietzinsreduktion nie vereinbart wurde und die Kläger daher berechtigt für die Monate November und Dezember die Mietzinsdifferenzen und ab Jänner 2008 Benützungsentgelt - dessen Höhe die Beklagte nicht bestreitet - fordern.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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