11Os101/09a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Helmut G***** wegen § 209 StGB aF über den Antrag des Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. März 2009 (AZ 352 HR 72/09m) und des Oberlandesgerichts Wien vom 29. April 2009 (AZ 19 Bs 165/09t) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Wien, BPK Hietzing vom 30. Mai 2001, AZ Kr 1362-HG/00, wurde der Staatsanwaltschaft Wien ein „Erhebungsergebnis betreffend des Hinweises vom 24. Oktober 2000 zur Kenntnisnahme und allfälligen strafrechtlichen Beurteilung" übermittelt. Den Ermittlungen gegen Dr. Helmut G***** lag eine anonyme telefonische Anzeige einer nicht eruierbaren Person wegen des Verdachts nach § 209 StGB aF zu Grunde, die am 24. Oktober 2000 von der Bundespolizeidirektion Graz der Bundespolizeidirektion Wien übermittelt worden war. In einem Bericht des BPK Hietzing (S 25) wurde festgehalten, dass auch nach Durchführung von Erhebungen („vertrauliche Hauserhebungen" in der Wohnhausanlage in Wien 13., *****) kein konkreter Straftatbestand in Erfahrung gebracht werden konnte.
Die Staatsanwaltschaft Wien legte bereits am 12. Juni 2001 die Anzeige gegen Dr. Helmut G***** wegen § 209 StGB aF gemäß § 90 Abs 1 StPO aF zurück.
Am 2. Mai 2008 beantragte dieser sowohl bei der Staatsanwaltschaft Wien als auch bei der Bundespolizeidirektion Wien eine vollständige Aktenabschrift. Während die Staatsanwaltschaft dem Ersuchen am 21. Mai 2008 nachkam (ON 3), teilte die Bundespolizeidirektion Dr. G***** mit Schreiben vom 27. Mai 2008 mit, dass gemäß § 53 Abs 1 StPO eine Akteneinsicht bei der Kriminalpolizei nach Erstattung des Abschlussberichts gemäß § 100 Abs 2 Z 4 StPO an die Staatsanwaltschaft gesetzlich unzulässig sei. Sie übermittelte daher den Akt der Staatsanwaltschaft (ON 4 S 1 und S 13), die dem Antrag, Dr. G***** (neuerlich) eine Abschrift des kriminalpolizeilichen Akts zu übermitteln, nicht nachkam.
Dagegen richtete sich der am 16. Februar 2009 bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebrachte Einspruch wegen Rechtsverletzung (ON 6) des Dr. Helmut G*****, der sich durch die Verweigerung der Ausfolgung der von ihm begehrten Abschriften der kriminalpolizeilichen Akten in seinen Rechten auf eine effektive Verteidigung, ein faires Verfahren und Datenschutz verletzt sieht und eine Verletzung der Bestimmung des § 52 Abs 1 StPO behauptet. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. März 2009 (ON 8) wies die Einzelrichterin den Einspruch als unzulässig zurück, weil ein solcher nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens nicht mehr zulässig sei (§ 107 Abs 1 erster Satz StPO). Der dagegen erhobenen Beschwerde (ON 9) des Dr. Helmut G*****, worin dieser unter Bezugnahme auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht, wonach ihm eine Auskunft über die durch den Staat über ihn gespeicherten personenbezogenen Daten aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich zustünde, eine Verletzung dieses Rechts durch die Staatsanwaltschaft behauptet und weiters argumentiert, eine verfassungs- und grundrechtskonforme Anwendung des § 107 StPO ermögliche die Entscheidung über Grundrechtsverletzungen auch nach Ende des Ermittlungsverfahrens, gab das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 29. April 2009 nicht Folge.
Zur Begründung führte es aus, der erst am 16. Februar 2009 - somit weit nach der im Juni 2001 erfolgten Einstellung des Ermittlungsverfahrens - erhobene Einspruch sei nach dem klaren Wortlaut des § 107 Abs 1 StPO nicht zulässig und daher vom Erstgericht zutreffend zurückgewiesen worden. Dieser Entscheidung stünden weder verfassungs- noch grundrechtliche Bedenken entgegen, zumal nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens selbst aus einer Feststellung, dass Akteneinsicht zu Unrecht verweigert worden wäre, für den Antragsteller kein Nutzen zu ziehen wäre und überdies dem Beschwerdeführer durch die Staatsanwaltschaft ohnehin Einsicht in den ihr vorliegenden Akt eingeräumt wurde.
Rechtliche Beurteilung
In Bezug auf die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. März 2009 und des Oberlandesgerichts Wien vom 29. April 2009 begehrt Dr. Helmut G***** die Erneuerung des Verfahrens und bringt vor, die Verweigerung der Akteneinsicht verletze ihn „in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) und auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung (Art 8 MRK, § 1 DSG) sowie die prozessualen Garantien des Art 8 MRK".
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es sich bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge.
Der Antragsteller macht nicht klar, warum ihm mit Blick auf die ihm von der Staatsanwaltschaft ohnehin - unmittelbar auf sein entsprechendes Ersuchen hin - gewährte Akteneinsicht Opfereigenschaft zukommen sollte (RIS-Justiz RS0122737 [insb T7 und T9]; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 § 13 Rz 13 ff). Seine Behauptung, dass „die Inhalte des StA-Akts einerseits und des Erhebungsakts der Kriminalpolizei andererseits voneinander abweichen können", ist bloß spekulativ und beinhaltet keine substantielle und schlüssige, diese Zulässigkeitsvoraussetzungen stützende Erklärung. Aus dem Akt AZ 17 St 27726/01w der Staatsanwaltschaft Wien geht nämlich hervor, dass Gegenstand der strafrechtlichen Prüfung allein die „Sachverhaltsmitteilung" des BPK Hietzing vom 30. Mai 2001 (AZ Kr 1362-Hg/00) war und keine Anzeige bzw keine Ermittlungsergebnisse anderer Polizeidienststellen vorlagen. In diese Anzeige wurde dem Antragsteller durch Ausfolgung einer Aktenabschrift umfassende Einsicht gewährt. Wer aber die gegenüber dem EGMR geltenden Prozessvoraussetzungen, zu denen auch die Opfereigenschaft im Sinn des Art 34 MRK gehört, nicht erfüllt, hat keinen von einem Urteil dieses Gerichtshofs unabhängigen Anspruch auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a Abs 1 StPO (11 Os 132/06f, EvBl 2008/8, 32).
Weshalb „die Ermittlungen gegen den Antragsteller dessen Grundrechte schwer verletzten" und er „Opfer menschenrechtswidriger Ermittlungen" geworden sei, wird im Erneuerungsantrag ebenso nicht erläutert. Somit sind die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien, denen im Übrigen beizupflichten ist, dass ein nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens erhobener Einspruch unzulässig ist, nicht zu beanstanden, wobei das Geheimhaltungsinteresse des Dr. Helmut G***** an den „ihn betreffenden personenbezogenen Daten" durch die §§ 302 und 310 StGB geschützt wird.
Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes über die Verweigerung der Akteneinsicht durch die Polizei im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu entscheiden war und die ermittelnden Polizeidienststellen im Gegenstand jedenfalls noch nicht als „Kriminalpolizei" im Sinn des § 18 StPO tätig wurden.
Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war somit bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).