JudikaturOGH

11Ns66/09h – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Oktober 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Abel H***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB, AZ 161 Hv 77/09p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die zur Entscheidung über einen Zuständigkeitsstreit vorgelegten Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Vornahme der von § 485 Abs 1 StPO verlangten Prüfung des Strafantrags zurückgestellt.

Text

Gründe:

Am 8. Juli 2009 brachte die Staatsanwaltschaft Wien beim Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien einen Strafantrag gegen Abel H***** und Ionel M***** ein (ON 11). Diesen Angeklagten wird zur Last gelegt, sie hätten am 29. Juni 2009 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter gewerbsmäßig nachstehenden Personen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, und zwar

I. Verfügungsberechtigten der N***** Handels GesmbH Co KG zwei Parfums im Gesamtwert von 70,40 Euro sowie eine Geldbörse im Wert von 5,99 Euro;

II. Verfügungsberechtigten der D***** GesmbH einen Rucksack im Wert von 19,90 Euro.

Gegen Ionel M***** war zu diesem Zeitpunkt beim Einzelrichter des Landesgerichts Wels zu AZ 15 Hv 111/08d ein Strafverfahren anhängig. Im Hinblick darauf trat der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 10. Juli 2009 das Verfahren an das Landesgericht Wels zur Einbeziehung in das dortige Verfahren ab.

Dieses verfügte am 24. Juli 2009 hinsichtlich des Angeklagten Abel H***** die Rückabtretung an das Landesgericht für Strafsachen Wien. Der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien übermittelte daraufhin den Akt im Weg des Oberlandesgerichts Wien dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 27. August 2009, AZ 13 Ns 44/09p, mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, war die in § 38 StPO idF BGBl I 2004/19 erfolgte Regelung des (negativen) Kompetenzkonflikts zwar ursprünglich als generelle, nur durch § 213 Abs 6 StPO durchbrochene Anordnung angelegt (so ausdrücklich: ErläutRV 25 BlgNR 22. GP, 58). Das von den Gesetzesmaterialien ins Auge gefasste System wurde jedoch im Rahmen der Anpassungsgesetzgebung durch BGBl I 2007/93 nicht umgesetzt, stattdessen auch für die amtswegige Vorprüfung überreichter Strafanträge ein gegenüber § 38 StPO spezielles Verfahren angeordnet. Hat nach § 450 StPO das mit Strafantrag angerufene Bezirksgericht - nur, aber immerhin -, wenn es „der Ansicht" ist, „dass das Landesgericht", das Bezirksgericht mithin sachlich nicht „zuständig sei", dies mit (anfechtbarem) Beschluss auszusprechen, verweist § 485 Abs 1 Z 1 StPO den mit Strafantrag angerufenen Einzelrichter des Landesgerichts „im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit" auf diese Art beschlussförmiger Erledigung (zum Prüfungsmaßstab treffend Bauer, WK-StPO § 450 Rz 2). In diesem Sinn rechtswirksam ausgesprochene Unzuständigkeit wird in beiden Verfahrensarten - in wenngleich unterschiedlicher Weise - mit dem „Verlust des Verfolgungsrechts" verknüpft (näher dazu 13 Ns 44/09p). Nicht anders als bei der - seit BGBl I 2004/19 nun auch amtswegig zulässigen (§ 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO) - Prüfung der Anklage im kollegialgerichtlichen Verfahren nach Maßgabe der von § 212 StPO genannten Kriterien (vgl 13 Ns 1/09i, EvBl 2009/91, 612; 13 Ns 21/09f, EvBl-LS 2009/113, 683; 13 Ns 46/09g) kommt es nach §§ 450, 485 StPO idF BGBl I 2007/93 demnach zu (im Verfahren vor dem Bezirksgericht auf sachliche Unzuständigkeit eingeschränkten) beschlussförmigen Aussprüchen der Unzuständigkeit. Diejenigen von Bezirksgericht und Einzelrichter des Landesgerichts sind beim jeweils übergeordneten Gericht (vgl auch ErläutRV 231 BlgNR 23. GP, 24) mit Beschwerde bekämpfbar.

Im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es im Rahmen der von § 485 StPO angeordneten Prüfung der Zuständigkeit nur mittelbar zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen. Teilt nämlich das (mit Beschwerde angerufene) Oberlandesgericht die mit Beschluss des Einzelrichters ausgesprochene Einschätzung örtlicher Unzuständigkeit und hält es ein anderes Landesgericht seines Sprengels für örtlich zuständig, so überweist es die Sache dorthin (vgl auch §§ 215 Abs 4 erster Satz, 470 Z 3, 475 Abs 1 StPO). Hält es hingegen keines der in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte für örtlich zuständig, greift § 485 Abs 2 StPO. Zu einem von § 38 StPO erfassten Kompetenzkonflikt kommt es nachfolgend dann, wenn ein anderes Oberlandesgericht aufgrund einer Beschwerde gegen einen nach § 485 Abs 1 StPO gefassten Beschluss die örtliche Zuständigkeit aller in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte bezweifelt oder der Einzelrichter eines nachfolgend angerufenen, im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts gelegenen Landesgerichts seine örtliche Unzuständigkeit sonst rechtswirksam ausspricht. Nach Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen, wenn der Einzelrichter zur Ansicht gelangt, örtlich nicht (mehr) zuständig zu sein (SSt 61/14). In einem solchen Fall hat er nämlich, wie nach der bis 1. Jänner 2008 geltenden Rechtslage, die Hauptverhandlung abzubrechen und die Abtretung der Sache an das seiner Ansicht nach zuständige Landesgericht zu verfügen.

Zusammenfassend ist für den zur Entscheidung vorgelegten Fall festzuhalten, dass der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die von § 485 StPO vorgeschriebene Prüfung des Strafantrags bislang nicht vorgenommen hat. Weder hat er nämlich einen Beschluss im Sinn der Z 1 bis 3 des § 485 Abs 1 StPO gefasst, ausgefertigt und den zur Beschwerde Berechtigten zugestellt (§ 86 StPO; vgl Bauer, WK-StPO 450 Rz 5 f), noch die Hauptverhandlung angeordnet (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO).

Rückverweise