Ds10/09 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 29. September 2009 durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende sowie durch die Hofräte Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Jensik und Dr. Höllwerth als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Richter des Landesgerichts *****, wegen eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG über die Berufung des Disziplinaranwalts gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts ***** als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 30. März 2009, GZ Ds 2/07-61, nach mündlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Raunig, und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind vom Bund zu tragen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. ***** des Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG schuldig erkannt. Danach hat er 1./ die ihm nach § 57 Abs 1 zweiter Satz RStDG auferlegten Pflichten, sein Amt gewissenhaft zu erfüllen, sich mit voller Kraft und vollem Eifer dem Dienst zu widmen und die bei Gericht anhängigen Angelegenheiten so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch verletzt, dass er die Urteilsausfertigung nach Verkündung des Urteils jeweils erst nach mehreren Monaten erstellte, und zwar in den Verfahren des Landesgerichts *****
Diese erhebliche Pflichtverletzung war dem Disziplinarbeschuldigten trotz der ihm zugebilligten erheblichen Einschränkung seiner Belastungsfähigkeit und seiner Leistungskapazität auch nach seiner eigenen Einlassung vorwerfbar. Dr. ***** wäre es daher trotz Beendigung der gewährten Freistellung zum 30. September 2006 zumutbar gewesen, das in der Strafsache ***** am 28. Juli 2006 mündlich verkündete Urteil jedenfalls bis zum Anfang des Jahres 2007 auszufertigen, wenn er sich bei seinem Arbeitseinsatz nicht zu sehr auf das Abarbeiten der sonst anhängigen Strafverfahren, sondern vordringlich auf die gebotene Erstellung von Urteilsausfertigungen konzentriert hätte.
Unter Bedachtnahme auf die beim Disziplinarbeschuldigten wiederholt festgestellten Verzögerungen bei Entscheidungsausfertigungen - insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die massiven, teilweise über Jahre andauernden Verzögerungen der Ausfertigungen der Erkenntnisse als Spruchsenatsvorsitzender - war somit nach Auffassung des Disziplinargerichts erster Instanz diese Pflichtverletzung nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als Dienstvergehen iSd § 101 Abs 1 RStDG disziplinarrechtlich zu ahnden.
Dass der Disziplinarbeschuldigte Dr. ***** als Spruchsenatsvorsitzender die seit dem Jahre 2002 verkündeten Erkenntnisse, nämlich sieben aus dem Jahre 2002, zehn aus dem Jahre 2003 und ein Erkenntnis aus dem Jahre 2005 erst im Jänner 2007 ausfertigte, unterstellte das Oberlandesgericht ***** als eine weitere Pflichtverletzung iSd § 57 Abs 3 erster Satz RStDG, weil dieses Verhalten im Rahmen seiner Nebentätigkeit geeignet war, die Achtung vor dem Richterstande und dessen Ansehen in der Öffentlichkeit zu schmälern.
Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht als erschwerend das Zusammentreffen zweier Dienstvergehen und die ganz erhebliche Überschreitung eines tolerierbaren Ausmaßes einer Verzögerung in der Erstellung von Urteilsausfertigungen in mehreren Fällen. Als mildernd fielen demgegenüber die Unbescholtenheit, das (teilweise) Geständnis, die gezeigte Einsicht, die teilweise unverschuldete eingeschränkte Belastungs- und Leistungskapazität des Disziplinarbeschuldigten, die qualitativ hochstehende und einwandfreie Ausarbeitung der Entscheidungen ebenso ins Gewicht, wie der Umstand, dass der Disziplinarbeschuldigte die sonst anhängigen Strafverfahren in seiner Abteilung trotz seiner nicht außer Betracht zu lassenden erheblichen Beisitzertätigkeit, insbesondere nach Diagnostizierung seiner Schilddrüsenerkrankung und deren Behandlung, mit großem Arbeitseinsatz abarbeitete.
Im Hinblick darauf, dass es dem Disziplinarbeschuldigten nach der unverzüglich in Anspruch genommenen medikamentösen Behandlung der Schilddrüsenunterfuntion und anschließender Wiederherstellung der vollen Arbeitskraft gelungen war, die Ausfertigungsrückstände zu beseitigen und die offenen Verfahren in der von ihm geleiteten Abteilung ***** Hv bis Anfang Februar 2009 auf 30 anhängige Akten zu reduzieren sowie zudem im Jahr 2008 ein umfangreiches Anlagebetrugsverfahren, welches objektiv eine Freistellung gerechtfertigt hätte, in ungewöhnlich kurzer Zeit zu erledigen, wobei er trotz außergewöhnlich aufwändiger Privatbeteiligtenzusprüche das Urteil in einem Monat ausfertigte, sah das Disziplinargericht erster Instanz im Hinblick auf den attestierten Arbeitseifer und die Qualität der Arbeit des Disziplinarbeschuldigten in der Verhandlung und bei der Begründung seiner Urteile und der vom Personalsenat des Landesgerichts ***** bescheinigten günstigen Zukunftsprognose von der Verhängung einer Disziplinarstrafe nach § 101 Abs 3 RStDG ab, zumal Dr. ***** auch seine Nebentätigkeit als Spruchsenatsvorsitzender zum Jahresende 2005 beendet hatte. Nach der zuletzt verzögerungsfreien und strukturierten Arbeitsweise mehr als ein Jahr hindurch lagen nach Meinung des Oberlandesgerichts ***** auch keine der Vorgangsweise nach § 101 Abs 3 RStDG entgegenstehenden dienstlichen Interessen vor, sodass der Schuldspruch allein als genügend angesehen wurde, um den Disziplinarbeschuldigten von weiteren Verfehlungen abzuhalten. Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinaranwalts wegen des Ausspruchs über die Strafe mit dem Begehren, eine Disziplinarstrafe auszusprechen.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Die vom Disziplinaranwalt geforderte zusätzliche Berücksichtigung des langen Tatzeitraums und des Umstands, dass der Disziplinarbeschuldigte seine Erkenntnisse als Spruchsenatsvorsitzender über mehrere Jahre nicht ausfertigte, als weitere Erschwerungsgründe widerspräche dem Doppelverwertungsverbot, wurden diese Fakten doch bereits als tatbestandsbegründend iSd § 101 Abs 1 RStDG angenommen.
Dem Disziplinaranwalt ist zwar beizupflichten, dass bei der Beurteilung von disziplinären Erledigungsverzögerungen als Dienstvergehen grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist. Die dazu angestellten Erwägungen des Oberlandesgerichts *****, insbesondere die in der Berufung völlig außer Betracht gelassenen Milderungsumstände, wonach die Verfehlungen des Dr. ***** im erheblichen Umfang auf eine von ihm nicht erkannte und auch nicht erkennbare krankheitsbedingte Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit zurückzuführen waren, er in der Zwischenzeit seine Rückstände abbaute und nunmehr verzögerungsfrei und strukturiert arbeitet, lässt das vom Disziplinargericht vorgenommene Absehen vom Ausspruch über die Verhängung einer Disziplinarstrafe nach § 101 Abs 3 RStDG gerechtfertigt erscheinen.
Der Berufung war daher keine Folge zu geben.
Gemäß § 137 Abs 2 RStDG iVm § 140 Abs 3 letzter Satz RStDG ist im Erkenntnis des Berufungsgerichts auszusprechen, ob und inwieweit der Disziplinarbeschuldigte mit Rücksicht auf die Verfahrensergebnisse und seine persönlichen Verhältnisse die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen hat. Weil die Kosten des Berufungsverfahrens durch ein zur Gänze erfolglos gebliebenes Rechtsmittel des Diziplinaranwalts verursacht wurden, war von der Verpflichtung zum Ersatz dieser Kosten abzusehen (analog § 390a Abs 1 StPO; vgl SSt 55/48; Ds 6/93).