11Os83/09d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. September 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Walcher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Thomas Z***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 15. Jänner 2009, GZ 15 Hv 153/08b-19, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten, seines Verteidigers Dr. Ruhri und des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Holler zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas Z***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er nachts zum 11. Mai 2008 in Graz (während gemeinsamen Polizeidienstes in einem Funkstreifenwagen) Christina R***** „mit Gewalt zu nachangeführten Verhaltensweisen genötigt, und zwar I./ zur Vornahme eines Oralverkehrs an ihm einschließlich seiner Ejakulation in ihren Mund, mithin zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung durch Festhalten im Nackenbereich und Niederdrücken ihres Kopfes zu seinem Penis, wobei sich die ihm körperlich unterlegene Christina R***** immer wieder aus seinem Festhaltegriff zu entziehen versuchte;
II./ trotz mehrfacher eindringlicher Aufforderung der Christina R*****, sein Verhalten einzustellen, zur Duldung nachangeführter geschlechtlicher Handlung, und zwar Betastung ihres Scheidenbereichs, indem er mit einer Hand unter ihre Unterhose fuhr und sie im Genitalbereich in Überwindung des von ihr durch mehrfache Versuche, seine Hand von dort wegzuziehen, geleisteten Widerstands intensiv betastete."
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf die im Folgenden zusammengefasst wiedergegebenen, in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge (ON 18 S 29):
1./ Vernehmung der Zeuginnen Daniela P***** und Cornelia Ru***** einerseits zum Beweis für das Verhalten der Christina R***** am Vorfallstag, andererseits zum Beweis dafür, dass im Hinblick auf die unverzügliche Rückkehr aller Beamten zur Polizeiinspektion ***** nach dem Einsatz im „Cineplexx" der zweite Vorfall aufgrund der zeitlichen Abfolge nicht wie behauptet stattgefunden habe, sowie zum Beweis dafür, dass ein Teamwechsel jederzeit - ohne Angabe von Gründen - möglich gewesen wäre, zumal der Angeklagte bei seinen Kollegen sehr beliebt sei und jeder gern mit ihm Dienst verrichte; 2./ Vernehmung der Zeuginnen Christina H*****, Sonja T***** und Edith E***** zum Beweis dafür, dass der Angeklagte ein höflicher, aufmerksamer und allseits beliebter Kollege sei, der sich nie mit sexuellen Absichten an seine Kolleginnen herangemacht habe; 3./ Vernehmung der Zeugin Daniela K***** und des Zeugen Manfred Ra***** zum Beweis dafür, dass in der polizeilichen Grundausbildung Einsatztechniken bzw Verteidigungsmechanismen, insbesondere Befreiungsgriffe, gelehrt werden, die sich vor allem auf die Verteidigung aus oder in einem Fahrzeug beziehen, sowie zum Beweis dafür, dass Christina R***** während ihrer Ausbildung immer wieder Gründe gesucht habe, aus denen sie gewisse Übungen nicht habe machen können und versucht habe, sich durch Vorgabe von Krankheiten oder Verletzungen „in die Opferrolle zu manövrieren".
Ob sich das Tatopfer während ihrer Ausbildung verschiedenen Übungen durch Vorspiegelung von Krankheiten oder Verletzungen entzogen oder zu entziehen versucht hätte, ist völlig ohne Belang für Schuld- und Subsumtionsfrage.
Davon, dass sich Christina R***** als ausgebildete Polizeibeamtin im Fall der gegenständlichen Übergriffe vehementer hätte zur Wehr setzen können, ist das Erstgericht ohnedies ausgegangen (US 12; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).
Subjektive Einschätzungen und Bewertungen sind kein Gegenstand des Zeugenbeweises (§ 154 StPO).
Die Relevanz bisher unterlassenen „Heranmachens mit sexuellen Absichten" sowie der Möglichkeit eines „Teamwechsels" ist den Beweisanträgen nicht zu entnehmen (§ 55 Abs 2 Z 1 zweiter Fall, Z 2 StPO).
Welches konkrete, von Kolleginnen beobachtete Verhalten des Tatopfers am Vorfallstag gegenständlich für die Entscheidung der Schuldfrage von Bedeutung sein könnte, hat der Beschwerdeführer schließlich bei der Antragstellung in der Hauptverhandlung nicht dargelegt. Im bisher erörterten Umfang erweist sich die Verfahrensrüge somit als nicht stichhältig.
Fallbezogen kann allerdings der angebotenen Alibi-Beweisführung (in Punkt 1./) Berechtigung nicht abgesprochen werden (11 Os 55/08k, 12 Os 50/07f, RIS-Justiz RS0098429), weil durch die daraus gewonnenen Beweisergebnisse die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich beeinflusst werden könnte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 341).
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden und ein zweiter Rechtsgang anzuordnen.