JudikaturOGH

12Os101/09h – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. August 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin I***** wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. November 2006, GZ 15 Hv 190/04h-34, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. November 2006, GZ 15 Hv 190/04h-34, verletzt den sich aus dem XX. Hauptstück der StPO aF (nunmehr: 16. Hauptstück der StPO) ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und der ihm zugrundeliegende Antrag der öffentlichen Anklägerin zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 16. Mai 2003, GZ 12 Hv 72/03g-12, wurde Martin I***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB, der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB, des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB, des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach §§ 15, 136 Abs 1 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Strafenteil von zehn Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Unter einem sah das Landesgericht Klagenfurt gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Dezember 2001, AZ 14 Hv 20002/01t, gewährten bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre. Martin I***** verbüßte den unbedingten Teil der über ihn verhängten Strafe unmittelbar im Anschluss an die Untersuchungshaft bis zu seiner - auf einem Gnadenakt des Bundespräsidenten vom 30. Juli 2003 gegründeten - bedingten Entlassung am 6. August 2003, wobei die Probezeit mit drei Jahren bestimmt wurde (vgl ON 16 im Akt AZ 12 Hv 72/03g des Landesgerichts Klagenfurt). Der bedingt nachgesehene Strafrest betrug einen Monat und elf Tage.

Mit Beschluss vom 26. September 2006 (ON 21) sah das Landesgericht Klagenfurt - nach der Aktenlage in Unkenntnis des Umstands, dass die Probezeit aufgrund der von Martin I***** auf behördliche Anordnung in Haft zugebrachten Zeit (der Genannte war am 23. Juli 2006 aufgrund eines vom Landesgericht Klagenfurt erlassenen Haftbefehls festgenommen worden; über ihn wurde am 25. Juli 2006 die Untersuchungshaft verhängt; er wurde erst am 2. Jänner 2007 aus der Strafhaft - bedingt - entlassen vgl ON 14, 17, 23, 28a, 33, 38 in AZ 15 Hv 190/04h des Landesgerichts Klagenfurt) noch nicht abgelaufen war, und solcherart entgegen der Bestimmung des § 49 StGB - den bedingt nachgesehenen Strafrest (der sich zusammensetzt aus dem gemäß § 43a Abs 3 StGB bedingt nachgesehenen Strafteil und der bedingten Nachsicht des Strafrests gemäß der erwähnten Entschließung des Bundespräsidenten vom 30. Juli 2003) endgültig nach. Diesen Beschluss ließ die Staatsanwaltschaft unbekämpft.

Mit seit 10. November 2006 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. November 2006, GZ 15 Hv 190/04h-34, wurde Martin I***** der (während der Probezeit begangenen) Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB, des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt. Mit zugleich gefasstem, ebenfalls in Rechtskraft erwachsenen Beschluss wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO sowohl vom Widerruf der im Verfahren AZ 14 E Hv 20002/01t des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht als auch „vom Widerruf der bedingten Entlassung zu 12 Hv 72/03g des Landesgerichts Klagenfurt abgesehen, jedoch die Probezeit zu 12 Hv 72/03g des Landesgerichts Klagenfurt auf fünf Jahre verlängert". Diese Entscheidung erging, obwohl die beschriebene endgültige Strafnachsicht für das Landesgericht Klagenfurt sowohl aus der Strafregisterauskunft ON 31 als auch aus dem - in der Hauptverhandlung verlesenen (vgl S 3g sowie insbesondere S 345 in 15 Hv 190/04h des Landesgerichts Klagenfurt) - Vorstrafakt ersichtlich war.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. November 2006, GZ 15 Hv 190/04h-34, steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Der (zeitlich vorangegangene, sogar rechtskräftige) Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 26. September 2006 auf endgültige Strafnachsicht entfaltete nämlich eine Sperrwirkung, sodass über den Entscheidungsgegenstand ohne vorangegangene prozessordnungsgemäße Kassation dieses Beschlusses nicht neuerlich abgesprochen werden durfte (vgl RIS-Justiz RS0091864, RS0091907). Das Landesgericht Klagenfurt nahm somit durch seine Beschlussfassung gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 6 StPO eine ihm nicht (mehr) zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch.

Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. November 2006 konnte die ausgesprochene endgültige Strafnachsicht weder beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolge nach sich ziehen.

Aus Gründen der Rechtssicherheit war daher der in Rede stehende Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt aufzuheben und der darauf abzielende Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

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