JudikaturOGH

12Os45/09y – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Juli 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Mag. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rene H***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen nach § 3a Z 2 und Z 3 VG über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Geschworenengericht vom 5. November 2008, GZ 11 Hv 47/08p-291, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Rene H*****, Stefan M*****, Markus K*****, Michael S***** und Dr. Horst-Günther L***** von der wider sie erhobenen Anklage, es hätten in M***** und anderen Orten Österreichs

A) Rene H*****, Stefan M***** und Markus K*****

1.) im Zeitraum 15. Oktober 2001 bis Jänner 2003 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren abgesondert verfolgten Aktivisten den „Bund freier Jugend" [im Folgenden: „BfJ"] 'in der Absicht' erschaffen, durch dauerhafte rassisch-völkische Betätigung, Mitgliedermehrung und Schulung eine Nachfolgeorganisation der Hitler-Jugend auf Basis nationalsozialistischen Gedankenguts der NSDAP zu schaffen, dies mit dem Vorsatz, ab Jänner 2003 durch dauerhafte Wiederbetätigung und Propaganda eine solche politische Größe und Wirkung zu erlangen, um als Teil einer gesamtnationalen Bewegung die bestehende verfassungsmäßige Struktur der Republik Österreich und ihrer Gesellschaft zu beseitigen und durch eine Volksgemeinschaft (Deutsche Volkseinheit) mit nationalsozialistischer Prägung ersetzen zu können, im Jänner 2003 die offizielle Tätigkeit des BfJ aufgenommen und diese in weiterer Folge bis 2007 aufrechterhalten 'beziehungsweise' zum Fortbestand beigetragen,

2.) sich im Zeitraum 2003 bis 2007 in der zu 1.) genannten Verbindung führend betätigt, indem Rene H***** den BfJ leitete, Stefan M***** als stellvertretender Leiter und Schriftleiter agierte und Markus K***** die Aufgaben des Propagandachefs wahrnahm, die Angehörigen und Sympathisanten des BfJ in Grundlagenschulungen und Fortbildungen sowie Kampfsporttrainings im Sinne des zu A)1.) genannten Gedankenguts drillten beziehungsweise instruieren ließen, ein Programm im Sinne des Parteiprogramms der NSDAP erstellten und verbreiteten sowie laufend einschlägige Veranstaltungen organisierten und die zum Transport der Teilnehmer zu diesen Veranstaltungen notwendigen Verkehrsmittel bestellten;

B) Michael S***** und Dr. Horst-Günther L***** an der zu A)1.)

genannten Verbindung führend betätigt und die zu A) genannten Personen unterstützt, indem Michael S***** zumindest von 2005 bis 2007 die Leitung der Einsatzgruppe, den Arbeitsgruppenleiter und Sportwart und Dr. Horst-Günther L***** seit Gründung des BfJ die rechtliche Betreuung übernahm,

wobei beispiels- und auszugsweise

Rene H*****, Stefan M*****, Markus K***** und Dr. Horst-Günther L***** in den Jahren 2001 bis 2006 die Zeitschrift „Jugendecho" gestalteten, redigierten, auflegten und vertrieben, deren Gesamtinhalt und teilweise auch Aufmachung eine nationalsozialistische Wiederbetätigung darstellen und insbesondere das in der Begründung [der Anklageschrift] näher beschriebene „Programm der nationalen Bewegung" verbreitet wurde und Rene H*****, Stefan M***** in den Jahren 2002 bis 2007 und Michael S***** im Jahr 2007 sich an der Organisation des Tages der volkstreuen Jugend maßgeblich beteiligten und am 17. März 2007 über ihre Initiative das Eröffnungslied des HJ-Liederbuches „Ein junges Volk steht auf" öffentlich, nämlich in einem Zug der ÖBB gesungen wurde, dessen Text wie folgt lautet:

„1. Ein junges Volk steht auf, zum Sturm bereit! Reißt die Fahnen höher, Kameraden! Wir fühlen nahen unsre Zeit, die Zeit der jungen Soldaten. Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation und über uns die Heldenahnen. Deutschland, Vaterland, wir kommen schon!

2. Wir sind nicht Bürger, Bauer, Arbeitsmann; haut die Schranken doch zusammen, Kameraden! Uns weht nur eine Fahne voran, die Fahne der jungen Soldaten! Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation, und über uns die Heldenahnen. Deutschland, Vaterland, wir kommen schon!

3. Und welcher Feind auch kommt mit Macht und List, seid nur ewig treu, ihr Kameraden! Der Herrgott, der im Himmel ist, liebt die Treue und die jungen Soldaten. Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation, und über uns die Heldenahnen. Deutschland, Vaterland, wir kommen schon!", und hiedurch jeweils das Verbrechen nach § 3a Z 2 und Z 3 VG begangen (vgl zum überflüssigen Anführen der rechtlichen Kategorie Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1), gemäß § 259 Z 3 (gemeint: § 336 Abs 1) StPO freigesprochen.

Die Geschworenen hatten die anklagekonformen (vgl ON 207) Hauptfragen hinsichtlich Tathandlungen in Richtung § 3a Z 2, Z 3 VG ebenso verneint wie Eventualfragen, die Verhaltensweisen im Sinne der §§ 3b und 3g VG betrafen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 6, 8 und 11a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Verfahrensrüge (Z 5) verfehlt ihr Ziel.

Wiewohl ein bei der Abstimmung unterlaufenes Missverständnis von keinem Geschworenen behauptet wurde und somit die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 10 zweiter Fall StPO fehlen, rügt die Staatsanwaltschaft die Abweisung ihres Antrags auf Durchführung eines Moniturverfahrens (ON 285 S 10): die Wahrsprüche zu den Hauptfragen I-VIII und den Eventualfragen I, III, V und XI beziehungsweise die Bezug habende Niederschrift der Geschworenen seien derart unvollständig und widersprüchlich, dass ein Verbesserungsverfahren geboten gewesen wäre.

Die Ablehnung von im Rahmen der Anhörung nach § 332 Abs 4 StPO gestellten Anträgen, den Geschworenen die Verbesserung des Wahrspruchs aufzutragen (ON 285 S 11), steht jedoch nach dem klaren Wortlaut der Z 10 des § 345 Abs 1 StPO nicht unter Nichtigkeitssanktion. Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 5 StPO wiederum stellt ausdrücklich auf „in der Hauptverhandlung" gestellte Anträge ab, während das im § 332 StPO geregelte Verfahren sinnfällig außerhalb derselben stattfindet (§§ 319, 340 Abs 1 StPO). Auch § 238 StPO (iVm § 302 Abs 1 StPO) findet auf solche Anträge keine Anwendung (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 75). Eine analoge Ausdehnung scheidet grundsätzlich (§ 345 Abs 1 erster Satz StPO) aus (Fabrizy, StPO10 § 281 Rz 1).

Durch die Abweisung (ON 274 S 9) des in der Hauptverhandlung vom 29. September 2008 gestellten Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung des Univ.-Prof. DDr. Heinz Ma***** „zu seinen persönlichen Wahrnehmungen und Eindrücken bezüglich der rechtsextremen Aktivitäten des BfJ und dessen Repräsentanten und den dazu Bezug habenden Ausführungen im Jugendecho" (ON 274 S 5 f), wurden Strafverfolgungsrechte nicht verletzt. Denn ein Beweisantrag hat nicht nur das Beweismittel, sondern auch das Beweisthema zu bezeichnen und muss darüber hinaus - so dies nicht ohne weiteres erkennbar ist - angeben, weswegen die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse und inwieweit dieses für die Schuld- und die Subsumtionsfrage von Bedeutung sei. Überdies hat sich der Zeugenbeweis auf die sinnliche Wahrnehmung von Tatsachen zu beschränken (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 352; Fabrizy, StPO10 § 154 Rz 2; RIS-Justiz RS0097540).

Auch der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des Herbert Sch***** „zum Beweis dafür, dass das Programm der nationalen Bewegung des BfJ und die in gekürzter Form im 'Jugendecho' veröffentlichten Ausführungen sowie die Inhalte der Grundlagenschulungen, die beispielsweise auf der zweiten Grundlagenschulung 2004 …, auf dem Programm der nationalen Bewegung 'Der Weg zur neuen Ordnung'" von Herbert Sch***** […] basiert" (ON 274 S 5 f), verfiel zu Recht der Ablehnung (ON 274 S 9). Denn diesem Begehren ist neuerlich nicht die Relevanz des Beweisthemas für die Schuld- und die Subsumtionsfrage zu entnehmen und zielt es letztlich auf eine vergleichende Einschätzung, nicht aber auf die Bezeugung reiner Fakten ab.

Da das Rechtsmittelgericht bei der Überprüfung der Beweisanträge stets von deren Begründung in erster Instanz auszugehen hat, kann das darüber hinausgehende Vorbringen in der Rechtsmittelschrift im Hinblick auf das Neuerungsverbot keine Berücksichtigung finden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 309, 310, 325).

Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert die unterbliebene Stellung einer Eventualfrage in Richtung § 3d VG; eine solche wäre im Hinblick auf die Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Jugendecho, Erstausgabe 2004 und 1/05, 2/05, 3/05, 1/06, 2/06" sowie aufgrund der Verbreitung von Schulungsunterlagen und der Motivationsaussendungen „Auf in das neue Kampfjahr" sowie „Wesen der Jugendbewegung und Verhalten im Straßeneinsatz" indiziert gewesen.

Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt eine deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Frage und eine (die Fundstellen in den Akten nennende [13 Os 83/08t]) Substanziierung dahingehend, durch welche in der Hauptverhandlung vorgebrachten konkreten Tatsachen die gewünschte weitere Fragestellung indiziert gewesen sein soll. Dafür ist es erforderlich, jenen Sachverhalt zu bezeichnen, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen; dazu gehört bei Eventualfragen (wie bei Hauptfragen) jedenfalls die Benennung der Angeklagten und die Anführung der diesen jeweils konkret zuzuordnenden Tathandlungen (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23; Schindler, WK-StPO § 312 Rz 27, 38f und § 314 Rz 4; 15 Os 131/06p; RIS-Justiz RS0119417, RS0117447, RS0100860). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeführerin nicht gerecht, lässt sie doch - wiewohl sich ihr Rechtsmittel gegen die Freisprüche aller Angeklagten richtet - in keiner Weise erkennen, welcher Angeklagte durch welche Tathandlungen („auffordert, aneifert oder zu verleiten sucht") den Tatbestand des § 3d VG in welcher Täterschaftsform verwirklicht haben soll. Das überwiegend ohne Täterbezug, sonst aber mit bloßen rechtlichen Mutmaßungen erfolgende Anführen von Medieninhalten entzieht sich meritorischer Erwiderung. Die Instruktionsrüge (Z 8), welche unter dem Blickwinkel unterbliebener Ausführungen zu den Vorsatzformen „Absichtlichkeit" und „Wissentlichkeit" sowie im fehlenden Hinweis auf eine weitere Erörterungsbedürftigkeit der Vorsatzformen „Wissentlichkeit" und „bedingter Vorsatz" bei Verneinung der „Absichtlichkeit" eine Unvollständigkeit der den Geschworenen erteilten Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) moniert, entbehrt gleichermaßen einer prozessförmigen Darstellung.

Sie negiert einerseits den Inhalt der Rechtsbelehrung, welche „vorsätzliches Handeln" im Sinne des § 5 Abs 1 StGB (unter Berücksichtigung auch des „bedingten Vorsatzes") ebenso allgemein erläutert (ON 288 S 55 f) wie sie zu jedem der fallbezogen relevanten Straftatbestände der §§ 3a Z 2, Z 3; 3b; 3g VG darauf verweist, dass zur Erfüllung der subjektiven Tatseite bedingter Vorsatz genügt (ON 288 S 66, 68 und 73; vgl Lässig in WK² VG Vorbem Rz 2, § 3a Rz 1). Andererseits leitet sie nicht aus dem Gesetz ab, weshalb die - zur Erfüllung der subjektiven Tatseite der von den Fragen an die Geschworenen umfassten Straftatbestände des VG nicht erforderlichen - Vorsatzformen „Absichtlichkeit" und „Wissentlichkeit" weiter zu definieren gewesen wären (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65). Denn die Rechtsbelehrung hat nur die in den gestellten Fragen aufscheinenden, nicht aber andere, wenn auch mit ihnen verwandte Rechtsbegriffe zu erläutern (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 53, 64).

Indem die Beschwerdeführerin mit ihrer Rechtsrüge (Z 11 lit a) unter Bezugnahme auf die zu den - jeweils verneinten - Hauptfragen I-VIII (§ 3a Z 2, Z 3 VG) und Eventualfragen I-VI, IX, XI und XII (§§ 3b, 3g VG) angeführten Erwägungen der Geschworenen in deren Niederschrift (ON 290 S 85 ff) eine unrichtige materielle Gesetzesanwendung releviert, weil sich die Geschworenen nach (behaupteter) Verneinung der subjektiven Tatseite in Form der Absichtlichkeit nicht auch mit der fallbezogen indizierten Frage des bedingten Vorsatzes auseinandergesetzt hätten sowie trotz (teilweiser) Bejahung der objektiven Tatbestände rechtsirrig die subjektive Tatseite verneint hätten, orientiert sie sich prozessordnungswidrig nicht am Wahrspruch der Geschworenen (ON 286 S 17 ff). Weiters verkennt sie, dass der Verneinung gestellter Schuldfragen zugrundeliegende Erwägungen der Geschworenen (hier zusammengefasst: „keine ausreichende[n] Beweise, dass es Absichten gab, die Struktur der Republik Österreich zu stürzen" [Hauptfragen I-VIII; Eventualfragen I, III, V und XI] und dass sich die Angeklagten trotz [teilweiser] Bejahung deren Tathandlungen „nicht im nationalsozialistischen Sinne betätigt" haben [Eventualfragen II, IV, VI, IX, X, XII]), einer Anfechtung entrückt sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616; Lässig in WK2 § 3g VG Rz 17). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführte - gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

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