5Ob44/09w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Mj Angelina S*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien MA 11, AJF-S Bezirk 10B, Favoritenstraße 211, 1100 Wien, als Jugendwohlfahrtsträger, über den Revisionsrekurs der Eltern 1.) Blerim S*****, 2.) Isabella E*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. November 2008, GZ 48 R 305/08w-S24, nachstehenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen in die Kompetenz des Jugendwohlfahrtsträgers bei der Auswahl und Überwachung von Pflegepersonen, die mit der Ausübung der ihm übertragenen Obsorge betraut werden, eingegriffen werden kann, liegt noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
Einerseits wird die Ansicht vertreten, der Jugendwohlfahrtsträger habe selbst in eigener gesetzlicher Verantwortung die erforderlichen internen Maßnahmen zu treffen, um die mit der Auswahl von Pflegepersonen verbundenen Gefährdungen des Kindes hintanzuhalten. Das Pflegschaftsgericht könne beim einzelnen Organ auftretende Defizite nicht zum Anlass nehmen, den Jugendwohlfahrtsträger nicht mit der Obsorge zu betrauen oder die ihm zukommende Obsorge einer anderen Person zu übertragen. Das liefe auf einen nach § 215a ABGB unzulässigen Eingriff in die Organisationshoheit des Landes als Jugendwohlfahrtsträger hinaus. Dem Pflegschaftsgericht stehe aufgrund der Organisationshoheit der Länder keine Kompetenz zur Auswahl einer bestimmten Behörde oder eines bestimmten Organs zu, die bzw das die Agenden des Jugendwohlfahrtsträgers wahrnehmen könne oder solle (vgl Kathrein in Klang3 Rz 7 zu § 188 ABGB; Rz 5 zu § 215a ABGB). Sei dem Jugendwohlfahrtsträger vom Gericht die Obsorge übertragen worden, habe dieser allein zu bestimmen, wem die Ausübung der Obsorge übertragen werde, auch wenn das eine wichtige Angelegenheit im Sinn des § 216 Abs 1 ABGB darstelle (vgl ders aaO Rz 6 zu § 216 mit FN 8), zu der Dritte der Genehmigung des Gerichts bedürften. Zufolge § 214 Abs 1 ABGB sei § 216 ABGB auf den Jugendwohlfahrtsträger nicht anzuwenden.
Andererseits wird - gestützt auf die EB RV 296 BlgNR 21. GP 41, 70 und 74 des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 - von einem Großteil der Lehre die Ansicht vertreten, die Bestimmungen des dritten Hauptstücks des ABGB, so auch § 176 ABGB, seien auch auf „andere Personen", die mit der Ausübung der Obsorge betraut seien, also auch den Jugendwohlfahrtsträger anzuwenden (vgl Hopf/Weitzenböck Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 ÖJZ 2001, 530 [535]; U. Schwarzl in Ferrari/Hopf Reform des Kindschaftsrechts 20; Stabentheiner in Rummel3 Rz 1 zu § 216 ABGB ErgBd; Weitzenböck in Schwimann3 Rz 5 zu § 176 ABGB).
Dieser Argumentation folgend hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 64/07w (= ÖA 2007, 210 = Zak 2007/579) die Bestimmung des Aufenthaltsorts eines Kindes durch den die vorläufige Obsorge ausübenden Jugendwohlfahrtsträger an eine Zustimmung des Pflegschaftsgerichts gebunden. Dass § 214 Abs 1 ABGB den Jugendwohlfahrtsträger von der Regelung des § 216 ABGB ausnehme, stehe nämlich Maßnahmen des Pflegschaftsgerichts nach § 176 Abs 1 ABGB zur Hintanhaltung einer akuten Gefährdung des Kindeswohls nicht entgegen.
Der vorliegende Fall, in dem sich Eltern an das Pflegschaftsgericht wendeten, dieses möge eine nach ihrer Ansicht „unerträgliche Situation" bei jenen Pflegepersonen abstellen, denen der Jugendwohlfahrtsträger die Ausübung der vorläufigen Obsorge übertragen hatte, eignet sich nicht zur Klärung der Frage, ob unter welchen Voraussetzungen das Pflegschaftsgericht dem Jugendwohlfahrtsträger Weisungen im Zusammenhang mit der Ausübung der Pflege im Rahmen der ihm übertragenen Obsorge erteilen kann. Solche Eingriffe wären, wenn überhaupt, nur unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB, also bei drohender Gefährdung des Kindeswohls durch Maßnahmen oder Versäumnisse des Jugendwohlfahrtsträgers vertretbar. Umstände, die eine solche Gefährdung annehmen ließen, sind aber nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen nicht zu erkennen. Es liegen daher die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG für die Anrufung des Obersten Gerichtshofs nicht vor.