1Ob207/08k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Helmut ***** K*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Kleinszig/Dr. Puswald Partnerschaft OG in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei Christine K*****, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Erich Moser GmbH in Murau, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 27. August 2008, GZ 3 R 145/08w-22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom 7. März 2008, GZ 1 C 29/07k-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Vorauszuschicken ist, dass der Kläger als Revisionswerber nur mehr den Vorwurf aufrecht hält, die Beklagte habe eine schwere Eheverfehlung dadurch begangen, dass sie sich ihm gegenüber jahrelang abweisend verhalten und insbesondere die geschlechtliche Begegnung verweigert habe.
Im Verfahren hatte er dazu im Wesentlichen vorgebracht, die Beklagte habe nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes im Jahr 1994 die eheliche Beziehung völlig erkalten lassen. Etwa ab 1997 habe er realisieren müssen, dass ihn die Beklagte nur mehr als „Versorger" betrachte. Ab dieser Zeit habe sie „praktisch jegliche geschlechtliche Begegnung" abgelehnt und auf entsprechende Wünsche mit Unverständnis und Kälte reagiert. Dieses Verhalten stelle eine schuldhafte schwere Eheverfehlung dar. Spätestens seit etwa 2001 sei die Ehe unheilbar zerrüttet gewesen. Dass er im Jahr 2004 ein außereheliches Liebesverhältnis zu einer anderen Frau aufgenommen habe, könne ihm angesichts des Verhaltens der Beklagten nicht vorgeworfen werden. Letztlich begehrte der Kläger die Ehescheidung aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten, hilfsweise wegen Zerrüttung aus ihrem überwiegenden Verschulden.
Die Beklagte gestand die unheilbare Zerrüttung der Ehe ein, doch sei diese erst erheblich später eingetreten. Die Ehe sei bis Anfang 2003 sehr harmonisch verlaufen. Anfang 2004 habe der Kläger begonnen, sich immer mehr von der Beklagten zu distanzieren, nachdem er eine Beziehung zu seiner nunmehrigen Lebensgefährtin aufgenommen habe. Sie selbst habe keine Eheverfehlungen begangen. Sie beantragte, im Falle einer Scheidung gemäß § 55 EheG auszusprechen, dass der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet habe. Das Erstgericht wies das auf Scheidung wegen Verschuldens der Beklagten gerichtete Begehren ab und sprach aus, dass die Ehe gemäß § 55 EheG geschieden werde, wobei das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger treffe. Es stellte fest, dass sich der Kläger im Wesentlichen seinem Beruf als Arzt gewidmet habe, die Beklagte der Kindererziehung und der Haushaltsführung. Bis zum Auszug des Klägers im September 2004 hätten die gemeinsamen Kinder - die damals 10 und 15 Jahre alt waren - im Ehebett der Streitteile geschlafen. Dies sei dem Kläger, der die Nächte lieber alleine mit der Beklagten verbracht hätte, nicht recht gewesen. Er habe die Beklagte auf diese Schlafgewohnheiten angesprochen, jedoch sein Missfallen „nicht deutlich genug" zum Ausdruck gebracht. Er habe auch seinerseits nichts unternommen, um den von ihm beanstandeten Umstand einer Änderung zuzuführen. Die Beklagte sei seinem Wunsch „nicht wirklich" näher getreten und habe an den Schlafgewohnheiten der Kinder im Ehebett von sich aus nichts geändert. Der Kläger habe seine nunmehrige Lebensgefährtin Ende 2003 als Patientin kennengelernt und diese in der Folge regelmäßig getroffen und mit ihr telefoniert. Eine sexuelle Beziehung der beiden habe im Frühjahr 2004 begonnen. Er habe der Beklagten erst im Mai 2004 anlässlich des beabsichtigten Zusammenziehens von seiner Beziehung berichtet. Er habe im August 2004 eine Versöhnung mit der Beklagten versucht und sei mit der gesamten Familie auf Urlaub gefahren. In diesem Urlaub hätten auch sexuelle Kontakte stattgefunden. Nach dem Urlaub habe der Kläger beschlossen, sein außereheliches Verhältnis doch nicht zu beenden und sei im September 2004 endgültig aus der Ehewohnung ausgezogen. In rechtlicher Hinsicht führte er aus, dass eine Ehescheidung gemäß § 49 EheG schon deshalb nicht in Betracht komme, weil die 6-Monats-Frist des § 57 Abs 1 EheG mit Kenntnis des Scheidungsgrundes beginne. Die Geltendmachung allfälliger Eheverfehlungen der Beklagten, die nach dem Vorbringen des Klägers zu einer Ehezerrüttung bereits 2001 geführt hätten, wäre jedenfalls verfristet. Tatsächlich hätten die der Beklagten vorgeworfenen Eheverfehlungen „nicht in der Intensität wie vorgebracht" erwiesen werden können. Ihr sei einzig und allein vorzuwerfen, dass sie sich vielleicht zu wenig um den Kläger gekümmert habe und zu wenig bereit gewesen sei, seine Bedürfnisse zu „erahnen". Der einzige berechtigte Vorwurf bestehe darin, dass sie seine Gesprächsversuche, insbesondere betreffend die Schlafgewohnheiten der Kinder im Ehebett, hätte ernster nehmen und auch darauf eingehen müssen. Der Kläger hätte allerdings die von ihm nunmehr ins Treffen geführten Verhaltensweisen der Beklagten nicht in ausreichender Deutlichkeit thematisiert. Ihm sei zum Vorwurf zu machen, dass er sich von seiner Familie abgewandt habe und seit dem Jahr 2003 eine außereheliche Beziehung eingegangen sei. Dies rechtfertige den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Ehezerrüttung, wogegen der Beitrag der Beklagten zur Zerrüttung, den sehr versteckt vorgebrachten Argumenten des Klägers nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, in den Hintergrund trete.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Die vom Kläger primär angestrebte Ehescheidung nach § 49 EheG setze eine verschuldete „schwere Eheverfehlung" des beklagten Ehegatten voraus. Eine solche habe nicht festgestellt werden können. Zum Vorwurf, eine „unzureichende Geschlechtsgemeinschaft" praktiziert zu haben, stehe nach den getroffenen Feststellungen fest, dass der Kläger seinerseits nichts unternommen habe, um den von ihm beanstandeten Umstand einer Änderung zuzuführen. Er sei auch mit den Schlafgewohnheiten der Kinder einverstanden gewesen, möge es ihm auch lieber gewesen sein, die Nächte allein mit der Beklagten im Ehebett zu verbringen. Er habe jedoch sein Missfallen daran nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Die Ehescheidung habe aufgrund der feststehenden tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung nach § 55 Abs 1 EheG zu erfolgen. Ein Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG komme bei beiderseitigem Verschulden an der Zerrüttung nur in Betracht, wenn die Schuld des Klägers deutlich überwiegt, wenn also der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ganz augenscheinlich hervortritt. Dabei sei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit dem zur Zerrüttung der Ehe führenden Verhalten begonnen hat, sondern vor allem, wer in deutlich überwiegendem Maße dazu beigetragen habe, dass die Ehe schließlich unheilbar zerrüttet wurde. Ein den ehelichen Verpflichtungen widersprechendes Verhalten erst nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung sei regelmäßig nicht zu berücksichtigen. Nun stehe fest, dass die Gestaltung des Ehelebens, somit auch hinsichtlich der Schlafgewohnheiten der Kinder, im Einvernehmen erfolgt sei. Diese einvernehmliche Gestaltung könne daher selbst dann, wenn sie eine Entfremdung gefördert haben möge, keinem Teil als Zerrüttungsverschulden zugerechnet werden. Wenn nun der Beklagten höchstens zum Vorwurf gemacht werden könnte, auf gewisse Andeutungen und vorgebrachte Argumente des Klägers auch hinsichtlich der Schlafgewohnheiten der Kinder nicht weiter eingegangen zu sein, so trete dieses Verhalten gegenüber dem ehebrecherischen und zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe führenden Verhalten des Klägers völlig in den Hintergrund, sodass das Erstgericht zu Recht sein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen habe.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.
Ein zentraler Vorwurf des Klägers an die Beklagte besteht darin, sie habe nach der Geburt des Sohnes ihr Interesse am Kläger und an einer emotionalen Beziehung zu ihm immer mehr verloren und etwa ab 1997 „praktisch" jegliche geschlechtliche Begegnung abgelehnt. Die Beklagte hat dagegen eingewandt, die Ehe sei bis Anfang 2003 sehr harmonisch verlaufen.
Ungeachtet der zentralen Thematisierung der emotionalen Beziehungen zwischen den Streitteilen und ihres Geschlechtslebens über einen Zeitraum von vielen Jahren haben die Vorinstanzen dazu - mit Ausnahme der Urlaubszeit im Jahr 2004 - keine Tatsachenfeststellungen getroffen, sodass völlig offen bleibt, wie sich die Partnerschaft der Streitteile in diesem Bereich im Laufe der Zeit entwickelt hat, und insbesondere, ob die Behauptung des Klägers zutrifft, die Beklagte habe schon viele Jahre vor seiner Hinwendung an eine andere Partnerin geschlechtliche Kontakte generell abgelehnt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann ohne Feststellungen zu diesem Themenkomplex auch nicht beurteilt werden, ob der Kläger durch bestimmte Äußerungen für die Beklagte hinreichend deutlich artikuliert hat, dass er das Fehlen von ausreichender sexueller Nähe als unbefriedigend oder gar auf Dauer unerträglich empfindet. Ob der Kläger sein Missfallen am bestehenden Zustand ausreichend deutlich zum Ausdruck brachte, hängt einerseits vom tatsächlich bestehenden Zustand, andererseits aber auch von den Reaktionen der Beklagten auf seine zumindest andeutungsweise geäußerten Wünsche ab. Je länger eine - wenn auch passive - sexuelle „Verweigerung" einer Frau dauert, desto eher wird ein Mann auch annehmen können, dass selbst konkretere Formulierungen über seine Unzufriedenheit nicht dazu führen würden, an der mangelnden Bereitschaft zu sexuellen Kontakten etwas zu ändern, wenn die Frau nicht von sich aus aktiv wird und auch auf entsprechende Andeutungen nicht reagiert.
Erst wenn die derzeit noch fehlenden Feststellungen zur Entwicklung der Geschlechtsgemeinschaft der Streitteile nachgeholt worden sind, kann beurteilt werden, ob der Vorwurf des Klägers, der Beklagten sei insoweit eine (schwere) Eheverfehlung vorzuwerfen, berechtigt ist, gegebenenfalls ob die Klage innerhalb der Frist des § 57 Abs 1 EheG erhoben wurde. Entgegen der Auffassung der Revisionsgegnerin hat der Kläger die Frage des Geschlechtslebens der Ehegatten in seiner Berufung sehr wohl aufgegriffen und seine diesbezüglichen Vorwürfe aufrecht erhalten, mag er das Fehlen ausreichender Tatsachenfeststellungen auch nicht ausdrücklich moniert haben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.