13Os97/08a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Falmbigl als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Josef H***** und einen anderen Angeklagten wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 35 Hv 119/07k des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Linz vom 30. August 2007, AZ 8 Bs 238/07t, und des Oberlandesgerichts Wien vom 24. Okober 2007, AZ 22 Bs 246/07y, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Josef H***** und dessen Verteidigers, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschlüsse
1. des Oberlandesgerichts Linz vom 30. August 2007, AZ 8 Bs 238/07t, und
2. des Oberlandesgerichts Wien vom 24. Oktober 2007, AZ 22 Bs 246/07y,
verletzen § 53 Abs 4 FinStrG iVm § 56 Abs 1 letzter Satz iVm Abs 2 erster Satz StPO (idF vor BGBl I 2004/19).
Der zu 2. bezeichnete Beschluss des Oberlandesgerichts Wien wird aufgehoben und die Finanzstrafsache zur Entscheidung über den Einspruch des Josef H***** gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Linz vom 21. Mai 2007, AZ 9 St 244/05h, an das Oberlandesgericht Wien verwiesen.
Text
Gründe:
Am 22. Mai 2007 brachte die Staatsanwaltschaft Linz im Verfahren AZ 19 Ur 153/05f des Landesgerichts Linz, in welchem zunächst Vorehebungen gegen diese geführt worden waren, gegen Josef H***** und Franz Z***** die Anklageschrift wegen mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (I/1 und 2), nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (II/1 und 2) und nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG (III/1 und 2), jeweils iVm § 38 Abs 1 lit a FinStrG, mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von insgesamt 159.430,37 Euro hinsichtlich Josef H***** und von insgesamt 262.054,33 Euro hinsichtlich Franz Z***** ein.
Demnach hätten sie „im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Linz und Melk" als „abgabenpflichtige" (gemeint: in abgabenrechtlicher Hinsicht) Verantwortliche der C***** GmbH vorsätzlich und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Finanzvergehen der zu I. bis III. genannten Art eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen,
I. unter Verletzung ihrer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht durch Nichtabgabe von Steuererklärungen (ziffernmäßig ausgewiesene) Verkürzungen an Umsatzsteuer, an Körperschaftsteuer und an Kapitalertragsteuer bewirkt, und zwar
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die bezeichneten Beschlüsse der Oberlandesgerichte Linz und Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang.
1. Da für die Frage einer gemeinsamen Führung von Verfahren wegen mehrerer je für sich gerichtliche Zuständigkeit begründender Tatkomplexe und damit zusammenhängender Zuständigkeit im dritten Unterabschnitt des FinStrG „nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist" (§ 195 Abs 1 FinStrG), gilt im gerichtlichen Finanzstrafverfahren § 37 StPO (§ 56 StPO aF).
2. Entgegen der Ansicht der hier involvierten Oberlandesgerichte bietet die mit der Abgrenzung gerichtlicher von finanzbehördlicher Zuständigkeit im Zusammenhang stehende Konnexitätsregel des § 53 Abs 4 FinStrG keinen Anhaltspunkt dafür, dass § 56 Abs 1 letzter Satz StPO aF (§ 37 Abs 1 letzter Satz StPO) im vorliegenden Fall engen sachlichen Zusammenhangs von Verfahren gegen zwei Personen wegen je für sich gerichtliche Zuständigkeit begründender Finanzvergehen nicht anzuwenden gewesen wäre (13 Ns 11/08h).
3. Für das demnach maßgebliche Zuvorkommen nach § 56 Abs 2 erster Satz StPO aF gab fallbezogen das (frühere) Tätigwerden des Landesgerichts Linz durch Beschlussfassung auf Kontoöffnung am 24. November 2005 den Ausschlag (ON 4), womit das Oberlandesgericht Linz (damals) zur Entscheidung über den Anklageeinspruch des Josef H***** zuständig war.
4. Die Entscheidung des solcherart unzuständigen Oberlandesgerichts Wien über diesen Anklageeinspruch kam unter Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 BVG) zu Stande (siehe auch § 281a StPO). Insoweit wurde konkrete Wirkung zuerkannt (§ 292 erster Satz StPO).
5. Da ein Ermittlungsverfahren der bis 1. Jänner 2008 geltenden StPO fremd war (§ 37 Abs 2 letzter Satz StPO) und eine auf das Zuvorkommen des § 56 Abs 2 erster Satz StPO aF abstellende Übergangsbestimmung fehlt, ist zufolge der Rechtslage seit 1. Jänner 2008 nun das Landesgericht St. Pölten für beide Angeklagte nach § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO zuständig (13 Ns 11/08h), womit nun die Kompetenz des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über den Anklageeinspruch des Josef H***** fest steht.