9ObA109/07f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Georg Eberl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann H*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dax Partner Rechtsanwälte GmbH in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, 1010 Wien, Postgasse 8, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.000 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. April 2007, GZ 7 Ra 1/07g-17, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. September 2006, GZ 34 Cga 29/06g-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger - seit 1973 Bundesbeamter - war zuletzt gemäß § 17 Poststrukturgesetz der Beklagten zur Dienstleistung zugewiesen. In der Zeit vom 1. 1. 2000 bis zum 31. 12. 2004 nahm er an einem Vorruhestandsmodell teil, das in einer Betriebsvereinbarung (Sozialplan) vom 24. 11. 1997 vereinbart worden war. Nach dieser Betriebsvereinbarung konnte die Vorruhestandsregelung frühestens mit dem auf die Vollendung des 55. Lebensjahrs folgenden Monatsersten in Anspruch genommen werden. Während der Zeit des Vorruhestands waren die daran teilnehmenden Beamten unter Entfall der Bezüge beurlaubt (karenziert), hatten aber Anspruch auf ein Vorruhestandsentgelt (siehe im Detail S 8 f des Ersturteils). Vor Antritt des Karenzurlaubs mussten die Beamten der Karenz schriftlich zustimmen und sich unwiderruflich bereit erklären, spätestens mit dem auf die Vollendung des 60. Lebensjahrs folgenden 30. Juni oder 31. Dezember durch Ruhestandsversetzung aus dem Dienststand auszuscheiden. Punkt 4.11. der Betriebsvereinbarung vom 24. 11. 1997 hat folgenden Wortlaut:
„Ausfallshaftung für Verschlechterungen beim Pensionsbezug:
Diesem Vorruhestandsmodell wird zugrunde gelegt, dass die Beamten nach dem vollendeten 60. Lebensjahr einen Bruttoruhegenuss erhalten werden, wie er sich aufgrund der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Betriebsvereinbarung geltenden gesetzlichen Regelungen errechnet hätte.
Falls insbesondere infolge von Abschlagsfaktoren bei einer Ruhestandsversetzung mit 60 oder infolge Einführung eines Durchrechnungszeitraumes ein geringerer Bruttoruhegenuss anfällt, wird die Differenz mit einer versicherungsmathematisch berechneten und barwertmäßig abgezinsten Bruttoeinmalzahlung innerhalb von sechs Monaten nach Pensionierung abgegolten.
..."
Bei Abschluss der Betriebsvereinbarung wurde „seitens der Personalvertretung" keine ausdrückliche Regelung über den bei der Berechnung der Einmalzahlung anzuwendenden Zinssatz in den Sozialplan aufgenommen, weil nicht daran gedacht wurde, dass sich insoweit ein Problem ergeben könnte. Dieses Berechnungsproblem wurde bei Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht erkannt.
Der Kläger wurde mit 31. 3. 2005 in den Ruhestand versetzt. Wegen der mittlerweile erfolgten Änderungen im Pensionsrecht bezieht er - verglichen mit der am 24. 11. 1997 gegebenen Rechtslage - eine um 49,69 EUR brutto monatlich verringerte Pension. Aus diesem Grund zahlte ihm die Beklagte iSd Punktes 4.11. der Betriebsvereinbarung einen Einmalbetrag von 7.357 EUR. Der Berechnung dieses Betrags wurde ein Rechnungs- bzw Barwertzinssatz von 7 % zugrunde gelegt. Der Kläger begehrt mit seiner Klage von der Beklagten 5.000 EUR brutto. Er wendet sich gegen den der Berechnung der Einmalzahlung zugrunde gelegten Rechnungszinssatz von 7 %. Ein derart hoher Zinssatz sei auf dem Markt nicht realisierbar. Es sei lediglich von einem Zinsfuß von maximal 3,5 % auszugehen. Bei der Ermittlung des anzuwendenden Zinssatzes sei auf jenen Zeitpunkt abzustellen, in dem die Einmalzahlung fällig geworden sei.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der von ihr angewendete Rechnungszinssatz von 7 % ergebe sich aus dem von ihr eingeholten versicherungsmathematischen Gutachten und trage dem Umstand Rechnung, dass bei der Wahl des Rechnungszinssatzes eine ex ante Betrachtung anzustellen sei. Daher sei auf den Stichtag 24. 11. 1997 abzustellen; nachträgliche Änderungen (zB geänderte Rechnungsparamter, wirtschaftliche Faktoren) seien unbeachtlich. Zum Zeitpunkt des Stichtags seien aber Rechnungszinssätze von 8 % und darüber üblich gewesen. Bei Abschluss eines Sozialplans könne naturgemäß nur auf die geltende Rechtslage abgestellt werden. Prognosen über die Einführung von Abschlagsfaktoren seien unmöglich. Dies sei den vertragsschließenden Parteien auch bewusst gewesen, die nicht nur die Versorgung des Mitarbeiters, sondern auch die budgetären Mittel des Dienstgebers im Auge gehabt haben. Die durch die Rechnungsparameterverordnung eingeführte Obergrenze von 3,5 % für den Rechnungszins gelte explizit nur für Neuabschlüsse nach dem 31. 12. 2003. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans habe der Barwertzinssatz gemäß § 7 Abs 2a BPG 7 % betragen. Auch aus steuerlichen Gründen sei der gewählte Zinssatz nicht zu hoch. Der Beklagte habe nämlich durch die ihm gewährte Einmalzahlung gegenüber einer monatlichen Zahlung einen steuerlichen Vorteil. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Da auch die übrigen Regelungen der Betriebsvereinbarung (etwa über die Berechnung des Vorruhestandsentgelts) auf das Jahr 1997 abstellten, sei der Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung auch der maßgebende Zeitpunkt für die Berechnung der Einmalzahlung. Die darauf folgende Entwicklung des Kapitalmarkts sei für die Vertragspartner nicht vorhersehbar gewesen. Eine allgemein verbindliche Vorgabe für die Parameter des Rechnungszinssatzes habe damals nicht bestanden. Die Rechnungsparameterverordnung aus dem Jahr 2003 sei erst auf nach dem 31. 12. 2003 abgeschlossene Pensionskassenverträge anwendbar. Die Beklagte sei daher zu Recht von einem Rechnungszinssatz von 7 % ausgegangen, zumal dieser Zinssatz zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung angemessen gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers statt, hob das Urteil auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Hier gehe es nicht darum, bestimmte Anwartschaften auf zukünftige „feststehende" Pensionsleistungen für einen Gegenwartswert abzuzinsen, wie dies etwa in § 7 Abs 2a BPG festgelegt sei. Vielmehr sei von den Betriebsparteien eine Ausfallshaftung zur Vermeidung von Verschlechterungen beim Pensionsbezug vereinbart worden. Mit dieser Ausfallshaftung habe man auf die schon damals in Gang befindliche öffentliche Diskussion über Verschlechterungen im Pensionsrecht Bedacht genommen. Die vereinbarte Ausfallshaftung lasse grundsätzlich keine Einschränkungen in Bezug auf den Ausfall erkennen. Ihr Zweck könne nur dadurch erreicht werden, dass einer abgezinsten Barwertberechnung derjenige Zinssatz zugrunde gelegt wird, der sich zum Zeitpunkt des Pensionsantritts zu marktüblichen Konditionen auf dem Kapitalmarkt erzielen lasse. Die Formulierung des zweiten Satzes des Punktes 4.11. der Betriebsvereinbarung beziehe sich daher auf den Zeitpunkt des Pensionsantritts, da auch der Barwert erst zu diesem Zeitpunkt, in dem die Pensionsverluste erst feststünden, ermittelt werden könne. Der in der Textierung genannte Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung sei nur für die Vergleichsberechnung zwischen der Situation zu diesem Zeitpunkt und jener zum Zeitpunkt des Pensionsantritts maßgebend. Die Ausfallshaftung solle ja gerade künftige Veränderungen abdecken. Der Zinssatz müsse sich daher an einem Prozentsatz orientieren, der im Zeitpunkt des Pensionsantritts am Kapitalmarkt zu erwarten gewesen sei. Daher sei es notwendig, im fortgesetzten Verfahren die dem Kläger zustehende Einmalzahlung durch Einholung eines versicherungsmathematischen Gutachtens unter Berücksichtigung einer zum Zeitpunkt des Pensionsantritts auf dem Kapitalmarkt erzielbaren marktüblichen Verzinsung zu ermitteln.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die zu beurteilende Frage für alle Adressaten der Betriebsvereinbarung von Bedeutung sei und zu vergleichbaren Fragen keine gefestigte Judikatur bestehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem Antrag, sie „ersatzlos aufzuheben", hilfsweise, sie im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Der Kläger beantragte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist wegen des großen Kreises der Betroffenen der Betriebsvereinbarung zulässig, er ist aber nicht berechtigt. Die von der zweiten Instanz vertretene Rechtsauffassung ist zutreffend. Es reicht daher aus, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der Berufungsentscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:
Die Rekurswerberin beruft sich auf die Entscheidungen 8 ObA 52/03k und 8 ObA 170/00h, nach denen maßgebender Beurteilungszeitpunkt der Abschluss der Betriebsvereinbarung sei und nach denen die Rechtmäßigkeit des verwendeten Rechnungszinses ex ante beurteilt werden müsse; ein Zinssatz von 8 % und darüber sei bis zum Jahr 2000 keineswegs unüblich gewesen.
Diese Argumentation verkennt, dass in den zitierten Entscheidungen, die jeweils Betriebspensionen betroffen haben, die Zulässigkeit der inhaltlich nicht in Frage stehenden Vereinbarungen der Betriebsparteien über den anzuwendenden Rechnungszins zu prüfen war. Hier geht es aber darum, im Wege der Auslegung zu beurteilen, was die Betriebsparteien überhaupt vereinbart haben. Ist ihre Vereinbarung - wie die Beklagte meint - dahin zu interpretieren, dass die Einmalzahlung auf der Grundlage des bei Abschluss der Betriebsvereinbarung maßgebenden Zinsniveaus zu berechnen ist; oder ist sie - wie der Kläger geltend macht - dahin auszulegen, dass für die Ermittlung des Zinssatzes auf den Zeitpunkt des Pensionsantritts abzustellen ist.
Zur Beurteilung dieser Frage hat das Berufungsgericht völlig zutreffend auf den Zweck der Einmalzahlung abgestellt. Sie soll nach der klaren Formulierung des Punktes 4.11. der Betriebsvereinbarung aus einer Verschlechterung des Pensionsrechts resultierende Nachteile abgelten. Diese Funktion kann sie aber nur dann erfüllen, wenn sie so berechnet wird, dass der errechnete Betrag den Nachteilen des Betroffenen durch Änderungen im Pensionsrecht möglichst genau entspricht. Dies ist aber nur zu erreichen, wenn auf das Zinsniveau zum Zeitpunkt der Berechnung der Zahlung abgestellt wird, nicht aber dann, wenn man einen Zinssatz wählt, der unter Umständen längst nicht mehr aktuell ist und dessen Anwendung daher dazu führt, dass die Einmalzahlung den tatsächlich entstandenen Nachteil nicht widerspiegelt. Der Oberste Gerichtshof teilt daher die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Berechnung der Einmalzahlung der zum Zeitpunkt des Pensionsantritts maßgebende Zinssatz zugrunde zu legen ist. Die von der Beklagten gewünschte Anwendung des zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung maßgebenden Zinssatzes hätte unter den gegebenen Umständen und angesichts des dargelegten Zwecks der Einmalzahlung ausdrücklich vereinbart werden müssen. Die Rekurswerberin hält diesem Ergebnis eine Reihe von Bestimmungen der Betriebsvereinbarung entgegen, die (teilweise in ganz anderen Zusammenhängen) auf das Jahr 1997 bzw auf die damals gegebene Gesetzeslage abstellen. Diese aus dem jeweiligen Zusammenhang zu verstehenden Regelungen rechtfertigen aber nicht den von der Beklagten gezogenen Schluss auf die hier zu beurteilende Bestimmung, deren Zweck es ja gerade ist, einer künftigen Entwicklung Rechnung zu tragen. Von einem gegenteiligen „klaren Wortlaut" der Betriebsvereinbarung kann überhaupt nicht die Rede sein. Dass die Betriebsparteien „sämtliche zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans denkbare Parameter bereits fix im Sozialplan festgehalten haben", bedeutet ebenfalls nicht, dass damit „naturgemäß" auch für die Ermittlung des Zinssatzes die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Abschlusses der Betriebsvereinbarung als vereinbart anzusehen sei. Mit weit größerer Berechtigung ließe sich wohl aus dem Umstand, dass die Betriebsparteien keinen fixen Zinssatz genannt haben, darauf schließen, dass sie auch in dieser Hinsicht - wie mit der ganzen Regelung - der künftigen (noch nicht feststehenden) Entwicklung Rechnung tragen wollten.
Dass die Entwicklung des Zinssatzes damals nicht vorhersehbar und daher in ihren Auswirkungen nicht berechenbar war, trifft zu. Dies schließt aber die Auslegung des Berufungsgerichts keineswegs aus, weil all dies ja auch für die konkrete Entwicklung des Pensionsrechts gilt, die ja in aller erster Linie die Höhe der Einmalzahlung bestimmt. Der damit bestehenden Unsicherheit Rechnung zu tragen, war aber gerade der Zweck der vereinbarten Regelung.
Ebenso erfolglos muss der Hinweis auf steuer- und sozialversicherungsrechtliche Vorteile bleiben, die sich nach der Darstellung der Rekurswerberin für den Kläger aus der Einmalzahlung (gegenüber monatlicher Auszahlung der Pensionsdifferenz) ergeben. Eine wie immer geartete Bedachtnahme auf solche Überlegungen ist der Betriebsvereinbarung mit keiner Silbe zu entnehmen. Geht man von deren Wortlaut und der daraus für die Betroffenen erschließbaren Absicht der Betriebsparteien aus, erweist sich jedenfalls die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung als zutreffend. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.