JudikaturOGH

11Os33/08z – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Peter S*****, Maria S***** und Ingrid S***** gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 27. Juni 2007, GZ 601 Hv 22/06w-77, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Sämtlichen Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden alle Angeklagten des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 StGB (A./I./, der Erstangeklagte Peter S***** auch zu B./), des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und Abs 2, Abs 5 Z 4 und 5 iVm § 161 Abs 1 StGB (A./II./) und des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 (und Abs 2) StGB (C./) schuldig erkannt.

Danach haben in Seyring

A./ Peter S***** bis 6. April 2003 als faktischer, danach als handelsrechtlicher Geschäftsführer, Maria S***** bis 18. April 2003 als handelsrechtliche, danach als faktische Geschäftsführerin und Ingrid S***** als faktische Geschäftsführerin, bis 19. Juni 2003 auch als selbstständig vertretungsbefugte Prokuristin der „K*****" ***** GmbH (fortan kurz: ***** GmbH), vormals M. S***** Gesellschaft mbH, I./ im Zeitraum von April bis Juni 2003 Bestandteile des Vermögens der Gesellschaft in Höhe von 819.606,03 Euro beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung wenigstens eines der Gesellschaftsgläubiger geschmälert, wobei sie durch die Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführten;

II./ dadurch, dass sie kridaträchtig handelten, indem sie entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens Geschäftsbücher und geschäftliche Aufzeichnungen zu führen unterließen bzw so führten, dass ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft erheblich erschwert wurde, und sonstige geeignete und erforderliche Kontrollmaßnahmen, die ihnen einen solchen Überblick verschafft hätten, unterließen, sowie ab dem Jahr 2001 Jahresabschlüsse, zu deren Erstellung sie verpflichtet waren, zu erstellen unterließen,

1./ jedenfalls ab dem Jahr 2000 bis zum Oktober 2002 grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt; 2./ von Oktober 2002 bis zur Konkurseröffnung am 13. Juni 2003 in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft grob fahrlässig die Befriedigung wenigstens eines der Gesellschaftsgläubiger dadurch geschmälert;

B./ Peter S***** alleine am 27. und 28. Februar 2003 Bestandteile des Vermögens des Einzelunternehmens Peter S***** in Höhe von 384.335,71 Euro beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung wenigstens eines der Gesellschaftsgläubiger geschmälert, wobei er durch die Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführte;

C./ Ingrid, Peter und Maria S***** im Zeitraum von Februar bis Juni 2003 in Seyring als Dienstgeber und Verantwortliche der K***** GmbH Beiträge zur Sozialversicherung in Gesamthöhe von 5.320,65 Euro dem berechtigten Versicherungsträger, nämlich der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vorenthalten.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Peter S*****, Maria S***** und Ingrid S*****, jeweils gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO, bei den beiden Letztgenannten auch auf Z 9 lit a leg cit; sie schlagen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Peter S*****:

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet zum Schuldspruch B./, dem Urteil sei nicht zu entnehmen, ob die Gläubiger der K***** GmbH oder jene des Einzelunternehmers Peter S***** geschädigt worden seien. Sie vernachlässigt aber insoweit die klaren Urteilsfeststellungen US 15 dritter Absatz. Der Beschwerde zuwider bringen die Formulierungen des Sachverständigen, wonach die 384.335,71 Euro „den Unternehmenskreislauf" (S 321/IV) bzw „den Kreislauf der K*****" nicht verlassen hätten, sondern „als Eingang wieder verbucht" worden seien (S 378/IV), gerade nicht zum Ausdruck, dass dieser Betrag dem Einzelunternehmen (real, wenn auch nur kurzfristig) gar nie zur Verfügung gestanden wäre, wogegen auch die Verantwortung des Beschwerdeführers selbst spricht (S 376/IV). Das Erstgericht war daher auch nicht verhalten, sich mit diesen - angesichts unterschiedlicher Haftungsfonds und Gläubigerstrukturen der beiden Unternehmen - für die Beweiswürdigung unerheblichen Schlussfolgerungen des Gutachtens auseinanderzusetzen; der Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) geht somit ins Leere. Der Einwand, dem angefochtenen Urteil mangle es an Feststellungen dahingehend, ob die K***** GmbH und das Einzelunternehmen Peter S***** unterschiedliche Gläubiger gehabt hätten, widrigenfalls Geldflüsse zwischen diesen beiden Unternehmen ohnehin keine Reduzierung des Haftungsfonds hätten bewirken können, geht ins Leere. Es wird nämlich nicht dargelegt, warum die Gläubiger des Einzelunternehmers Peter S***** durch ein Verbringen von Geldern von diesem zur K***** GmbH dann nicht geschädigt worden sein sollten, wenn sie gleichzeitig auch Gläubiger der letztgenannten Gesellschaft gewesen seien. Zudem geht aus der Gesamtheit der Entscheidungsgründe hinreichend deutlich hervor, dass eine idente Gläubigerstruktur der beiden Unternehmen nicht vorlag, was sich nicht zuletzt aus dem (selbstverständlichen) Umstand zweier getrennter Konkursverfahren mit - aus mehreren Konkursmassen resultierenden - unterschiedlichen Befriedigungsquoten ergibt (US 11 f, 13 ff und 20). Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, konkret auf Verfahrensergebnisse hinzuweisen, welche die - von ihm spekulativ (entgegen dem schriftlichen Gutachten - S 199 f und 303 f/III) geäußerte - Annahme eines trotz unterschiedlicher Rechtspersönlichkeit der beiden Unternehmen einheitlichen Haftungsfonds für alle (gemeinsamen) Gläubiger indizierten (RIS-Justiz RS0118580).

Nach den Urteilsannahmen war Grund für die Überweisung von 384.335,71 Euro von der K***** GmbH an das Einzelunternehmen die (auch fakturierte) Zurverfügungstellung von Personal. Für die (allein inkriminierte) Rückführung dieses Betrags wurden hingegen bloß die Widmungen „Kassaeingang" und zum weitaus überwiegenden Teil eine nicht näher definierte und im Einzelunternehmen überdies nicht verbuchte „Privateinlage" angeführt (US 14 f; vgl das schriftliche Gutachten - S 215 f/III). Weshalb sich das Schöffengericht angesichts dieser Feststellungen mit der Frage einer Gläubigerbegünstigung iSd § 158 StGB hätte auseinander setzen müssen, führt die Beschwerde nicht näher aus. Ebenso wenig legt sie dar, warum diese Konstatierungen eine Schädigung der Gläubiger des Einzelunternehmens nicht zu tragen vermögen, geht aus ihnen doch klar hervor, dass sich vor der zu Punkt B./ inkriminierten Handlungsweise der genannte Betrag (physisch) im Haftungsfonds des Einzelunternehmens befand und danach bloß ein Anspruch aus einer nicht näher bezeichneten „Privateinlage" in einer insolventen GmbH verblieb, der - abgesehen von den allenfalls zu beachtenden Rückforderungsbeschränkungen für eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen vor Inkrafttreten des (auf den Tatzeitraum noch nicht anzuwendenden) Eigenkapitalersatz-Gesetzes (RIS-Justiz RS0060065, RS0054372; Koppensteiner, GmbHG2 § 74 Rz 11, 13, 17 und 20; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei der AG, GmbH sowie GmbH Co KG 53 ff) - für die Gläubiger des Erstangeklagten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise jedenfalls nicht (äquivalent) werthaltig war.

Die Mehrheit der Gläubiger (US 14 - arg: „...nur noch aliquote Zahlungen zur Vermeidung einer allfälligen Gläubigerbegünstigungen..." - und 20) und das Ausmaß deren Befriedigungsausfalls (US 15) wurde - dem weiteren, nominell im Rahmen der Z 5, inhaltlich als (prozessordnungswidrige) Rechtsrüge erstatteten Beschwerdevorbringen zuwider - ebenso festgestellt. Zum Schuldspruch A./ I. rügt die Beschwerde eine Unvollständigkeit der Begründung der der Sache nach unmissverständlich dargelegten tatrichterlichen Annahme (US 19 iVm 16), dass der Beschwerdeführer den der K***** GmbH entzogenen Betrag von 819.606,03 Euro nicht an einen polnischen Geschäftsmann zum Ankauf einer Liegenschaft für die K***** GmbH in Polen übergeben habe. Das Schöffengericht hat die diesbezügliche Verantwortung der Angeklagten erörtert, aber als unglaubwürdig verworfen (US 19 f). Eine explizite Auseinandersetzung mit der von Peter S***** hiezu bei der zuständigen Bezirksstaatsanwaltschaft in Polen erstatteten Anzeige (Beilage ./8 und Beilage ./9 zu ON 75) war - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht geboten, weil diese nur die - von den Erstrichtern gewürdigte - Verantwortung des Beschwerdeführers in Schriftform wiedergab und ihr somit ein zusätzlicher Beweiswert nicht zukam. Warum ein Notariatsakt (S 163 ff/I) über ein vom Rechtsmittelwerber als Privatperson zu gewährendes Darlehen in der Höhe von 1,1 Millionen Euro für die von ihm behauptete Übergabe von rund 800.000 Euro namens der K***** GmbH zum Ankauf einer Liegenschaft für diese Gesellschaft von Bedeutung sein soll, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerde nicht plausibel gemacht. Mangels Erheblichkeit des Beweismittels durfte daher auch in diesem Punkt eine Erörterung unterbleiben.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Maria S*****:

Wie bereits zur Beschwerde des Angeklagten Peter S***** ausgeführt wurde, sind die Tatrichter - der Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch A./I. zuwider - nicht von einer Übergabe der rund 800.000 Euro an einen polnischen Staatsangehörigen zum Zweck des Ankaufs einer Liegenschaft ausgegangen (US 19 iVm mit 16). Die erfolgte Beiseiteschaffung des Geldes wurde hinreichend deutlich konstatiert (US 16 iVm 2).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Faktum C./ vernachlässigt mit der Behauptung, dass nur ein zur Vertretung befugtes Organ einer juristischen Person als Täter des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c StGB in Betracht komme, zum einen die Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin bis 18. April 2003 (nicht nur faktische) Geschäftsführerin der abgabepflichtigen GmbH war (US 7) und (auch in der Folge) sämtliche Entscheidungen - somit auch die zum Punkt C./ des Urteils bedeutsamen - gemeinsam mit den beiden anderen Angeklagten getroffen hat (US 7 f iVm 17), zum anderen legt sie nicht dar, warum es für die - richtigerweise anzunehmende, jedoch infolge rechtlicher Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen des § 12 StGB nicht nichtigkeitsrelevante (Fabrizy in WK2 § 12 Rz 119) - Annahme des Handelns als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB im Sinn des § 14 Abs 1 iVm § 12 StGB erforderlich sei, dass sie dem zur Vertretung befugten Organ angehöre (vgl Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 153c [2006] Rz 8).

Soweit die Beschwerde Konstatierungen darüber vermisst, ob die bei der Gebietskrankenkasse gemeldeten „Dienstgeber" (gemeint: Dienstnehmer) der K***** GmbH überhaupt ihre Nettobezüge erhalten haben (vgl WK2 § 153c Rz 14), vernachlässigt sie die Urteilsfeststellungen, wonach die Angeklagten die Beiträge dem Versicherungsträger „in Kenntnis dessen, dass sie zur Ablieferung verpflichtet waren" vorenthielten (US 17). Überdies zeigt sie keine Verfahrensergebnisse auf, denen zufolge die erfolgte Auszahlung der Nettobezüge in Frage stünde, und weshalb daher weitergehende Erwägungen dazu geboten gewesen wären. Dass im Tatzeitraum zureichende Mittel zur Verfügung standen (WK2 § 153c Rz 19), ergibt sich bereits aus den Urteilsfeststellungen über die im Zeitraum April bis Juni 2003 verzeichneten Eingänge von 823.422,25 Euro (US 15) und die erfolgten Entnahmen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Ingrid S*****:

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zum Vorsatz der Beschwerdeführerin zum Schuldspruch A./I./. Sie bekämpft aber in Wahrheit bloß - nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung - in unzulässiger Form die Beweiswürdigung. Ungeachtet der unpassenden Wortwahl („geradezu lächerlich", US 20, vgl § 53 Abs 3 Geo) haben die Tatrichter hinreichend sowie ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und empirische Erkenntnisse, unter anderem durch Verweis auf die Depositionen der Zweitangeklagten zur tatsächlichen Aufgabenverteilung in der Firmengruppe (US 18) begründet, warum sie der Verantwortung der Beschwerdeführerin nicht gefolgt sind (US 20).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) moniert zum Faktum A./I./ das Fehlen von Feststellungen, die eine Beurteilung ermöglichen würden, ob die auf einem Konto der K***** GmbH eingegangenen Beträge in der Gesamthöhe von 819.606,03 Euro als Vermögen der Gesellschaft anzusehen seien. Sie legt aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, warum gerade der von ihr ins Treffen geführte wirtschaftliche Vermögensbegriff den hypothetischen Zugriff von Gläubigern der K***** GmbH auf die kurzzeitig auf dem Schuldnerinnenkonto - nach der Beschwerdethese bloß als „Werkzeug" für den „Abfluss von Vermögen" anderer Gesellschaften - erliegenden Beträge nicht möglich gemacht hätte (vgl Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 156 Rz 7a).

Soweit die Beschwerde zu dieser Tat geltend macht, das Urteil enthalte keine Feststellungen über eine Ausführungs-, Bestimmungs- oder Beitragshandlung der Ingrid S*****, orientiert sie sich nicht an den Urteilsfeststellungen US 7 f, denen zufolge sie die in den „im Spruch angeführten Zeiträumen" getroffenen Entscheidungen - somit auch jene zu A./I./ - „im Familienkreis gemeinsam" mit den beiden weiteren Angeklagten beschlossen hat.

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird kein materiell-rechtlicher Nichtigkeitsgrund dargetan.

Mit ihrem Vorbringen zum Schuldspruch C./ wird die Rechtsrüge auf die Erledigung des argumentativ identen Rechtsmittels der Angeklagten Maria S***** verwiesen.

Im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Angeklagten Peter S***** waren die Nichtigkeitsbeschwerden daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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