JudikaturOGH

13Os154/07g – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. April 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl-Heinz W***** wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG aF und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 16. Februar 2007, GZ 12 Hv 220/05g-84, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 16. Februar 2007, GZ 12 Hv 220/05g-84, mit dem der Vollzug einer über Karl-Heinz W***** verhängten Freiheitsstrafe ohne die Zustimmung Spaniens als Vollstreckungsstaat angeordnet wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 31 Abs 1 EU-JZG.

Text

Gründe:

1. Karl-Heinz W***** wurde mit unbekämpft gebliebenem Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 12. Mai 2006, GZ 12 Hv 220/05g-69, wegen jeweils mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG aF und § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG aF sowie mehrerer Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF zu einer (Zusatz )Freiheitsstrafe von 21 Monaten und zwei Wochen verurteilt. Einen Strafteil von 16 Monaten und zwei Wochen sah das Schöffengericht gemäß § 43a Abs 3 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nach.

Mit insoweit unbekämpft gebliebenem Beschluss des Landesgerichts Wels vom 20. November 2006 wurde die Einleitung des Vollzugs des nicht bedingt nachgesehenen Strafteils gemäß § 1 Abs 2 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem vorübergehende Maßnahmen im Bereich des Strafaufschubs getroffen werden (Art 65 des Budgetbegleitgesetzes 2003, BGBl I Nr 71/2003, in der Fassung BGBl I Nr 64/2005), aufgeschoben (ON 78).

2. Im Verfahren AZ 8 Ur 175/06s (sodann 12 Hv 71/07y) des Landesgerichts Wels wurde gegen Karl-Heinz W***** Voruntersuchung wegen des Verdachts im Jahr 2006 begangener Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG geführt. In diesem Verfahren erließ das Landesgericht Wels gegen ihn am 6. Dezember 2006 einen Europäischen Haftbefehl (ON 5). Aufgrund der Auslieferungsbewilligung des Nationalen Gerichts Spaniens vom 16. Februar 2007 (ON 49) wurde der Beschuldigte zur Strafverfolgung wegen der in diesem Haftbefehl genannten Taten von Spanien nach Österreich ausgeliefert (ON 54).

3. Mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom 16. Februar 2007, GZ 12 Hv 220/05g-84, wurde der erwähnte Aufschub mit Blick auf die damals bereits in die Wege geleitete Auslieferung des Karl-Heinz W***** gemäß § 6 Abs 4 Z 3 StVG widerrufen (ON 82, 83 sowie 84 des Aktes AZ 12 Hv 220/05g) und der Vollzug dieser Freiheitsstrafe angeordnet, obwohl weder eine Zustimmung Spaniens als Vollstreckungsstaat (auch) zum Vollzug dieser Freiheitsstrafe noch ein Verzicht des Beschuldigten oder der spanischen Justizbehörden auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität vorlag (ON 49 des Aktes AZ 8 Ur 175/06s). Diese Freiheitsstrafe wurde, nachdem Karl-Heinz W***** seine gegen den Widerrufsbeschluss zunächst erhobene Beschwerde zurückgezogen hatte (ON 85, 87 des Aktes AZ 12 Hv 220/05g), nach Verhängung der Untersuchungshaft im Verfahren AZ 8 Ur 175/06s mit Beschluss vom 3. März 2007 (ON 57) im Zwischenvollzug (§ 180 Abs 4 StPO aF; ON 68, 70) bis 11. Mai 2007 vollzogen (ON 88 des Aktes AZ 12 Hv 220/05g).

4. Der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 16. Februar 2007, GZ 12 Hv 220/05g-84, steht, wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Nach der hier anzuwendenden, die Spezialität der Übergabe regelnden Bestimmung des § 31 Abs 1 EU-JZG darf eine Person, die aufgrund eines von einer österreichischen Justizbehörde erlassenen Europäischen Haftbefehls an Österreich übergeben wurde, sofern nicht einer der in Abs 2 leg cit genannten Gründe für eine Aufhebung der Spezialitätsbindung vorliegen, ohne die Zustimmung des Vollstreckungsstaats wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen anderen Handlung, auf die sich der Europäische Haftbefehl nicht erstreckt hat, weder verfolgt noch verurteilt noch einer Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme unterworfen noch aufgrund eines weiteren Europäischen Haftbefehls an einen anderen Mitgliedstaat übergeben werden. Die (sofortige) Anordnung des von der Auslieferungsbewilligung des Nationalen Gerichts Spaniens nicht umfassten Vollzugs des mit Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 12. Mai 2006 (GZ 12 Hv 220/05g-69) verhängten unbedingten Teils der Freiheitsstrafe verstieß daher mangels Vorliegens von Gründen für eine Aufhebung der Spezialitätsbindung gegen die genannte Bestimmung. Die von Karl-Heinz W***** mit der Rückziehung seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 16. Februar 2007 (ohne Belehrung über die Wirkungen eines Verzichts auf die Beachtung des Spezialitätengrundsatzes und nicht in einem von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht aufgenommenen Protokoll) erklärte Einwilligung in den Vollzug der in Rede stehenden Freiheitsstrafe vom 7. März 2007 (ON 87 des Aktes AZ 12 Hv 202/05g) stellte mangels der dafür erforderlichen Voraussetzungen (§ 31 Abs 3 EU-JZG) keinen wirksamen Verzicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität (§ 31 Abs 2 Z 5 EU-JZG) dar (vgl auch § 31 Abs 4 EU-JZG). Im Hinblick auf den bereits erfolgten Vollzug der Freiheitsstrafe bleibt für eine konkrete Maßnahme nach § 292 letzter Satz StPO kein Raum.

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