JudikaturOGH

9ObA47/08i – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. April 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Franz S*****, ÖBB-Angestellter, *****, vertreten durch Achammer Mennel Welte Achammer Kaufmann Rechtsanwälte GmbH, Feldkirch, gegen die beklagte Partei ÖBB-Technische Services GmbH, Grillgasse 48, 1110 Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Jänner 2008, GZ 13 Ra 68/07h-14, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. September 2007, GZ 33 Cga 95/07p-10, und das vorangegangene Verfahren erster Instanz ab der Klagezustellung als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird die Behandlung der Berufung unter Abstandnahme vom angenommenen Klagezurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger stand seit 1. 9. 1977 in einem Dienstverhältnis zu den Österreichischen Bundesbahnen und wurde mit Wirkung vom 1. 2. 1982 „definitiv" gestellt. Zuletzt war ihm die Planstelle eines Facharbeiters 1 im Servicebereich West, Standort Bludenz, zugewiesen. Aufgrund eines Erkenntnisses der Disziplinarkommission vom 19. 12. 2006 wurde der Kläger noch am selben Tag von der ÖBB-Technische Services GmbH wegen schwerwiegender Dienstpflichtverletzungen entlassen. Mit der am 22. 12. 2006 beim Erstgericht zu 34 Cga 208/06m gegen die 1. BB-Technische Services GmbH, 2. ÖBB-Dienstleistungs GmbH und 3. ÖBB Infrastruktur Bau AG eingebrachten Klage stellte der Kläger folgendes Begehren: „Die Entlassungserklärung der Beklagten vom 19. 12. 2006 wird durch Rechtsgestaltung aufgehoben; das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-, Angestellten- bzw Dienstverhältnis besteht über den 18. 12. 2006 hinaus auf unbestimmte Zeit und ungekündigt fort." Zu diesem Begehren des früheren Verfahrens brachte der Kläger vor, dass er keinen Entlassungsgrund gesetzt habe, die Disziplinarkommission unrichtig besetzt gewesen und die Entlassung durch eine nicht befugte Person ausgesprochen worden sei. Der zuständige Betriebsrat habe der Entlassung innerhalb der in § 106 Abs 1 ArbVG genannten Frist nicht ausdrücklich zugestimmt. Eine allfällige Beendigungserklärung sei zudem sozial ungerechtfertigt. Die beklagten Parteien des früheren Verfahrens wendeten ein, dass der Kläger ausschließlich Dienstnehmer der ÖBB-Technische Services GmbH gewesen sei und als Dienstnehmer die ihm vorgeworfenen Entlassungsgründe gesetzt habe. Die Disziplinarkommission sei ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen, die Entlassung sei durch eine befugte Person ausgesprochen worden. Im Übrigen sei das Rechtsgestaltungsbegehren verfehlt: Der Kläger habe aufgrund seiner Definitivstellung Kündigungsschutz. Nach der Judikatur räume ein vertraglicher Ausschluss der freien Kündbarkeit dem Dienstnehmer eine ähnliche Stellung wie bei einem gesetzlichen Kündigungs- oder Entlassungsschutz ein. Eine vertragswidrige Kündigung oder Entlassung beende daher das Dienstverhältnis nicht. Lägen daher keine ausreichenden Gründe für die Auflösung des Dienstverhältnisses vor, könne die Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses begehrt werden und sei daher kein Raum für eine Anfechtungsklage gemäß § 106 ArbVG. Der Kläger replizierte, dass es sich um eine arbeitsverfassungsrechtliche Anfechtungsklage handle. Selbstverständlich behalte sich der Kläger vor, eine eigene Feststellungsklage in Bezug auf den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses einzubringen (eine solche sei grundsätzlich nicht befristet).

Das Erstgericht erörterte im Vorprozess mit den Parteienvertretern die Frage des Klagebegehrens (Anfechtung - Feststellung), insbesondere im Hinblick darauf, dass nach übereinstimmenden Vorbringen von einem unkündbaren Dienstverhältnis des Klägers auszugehen sei und daher nach dem Vorbringen des Klägers eine unwirksame Entlassung vorliege (ON 7 in 34 Cga 208/06m). In der Folge wies das Erstgericht das zu 34 Cga 208/06m eingebrachte Klagebegehren ab. Es vertrat dabei die Rechtsauffassung, dass der Kläger ausdrücklich und ausschließlich ein Anfechtungsbegehren gestellt habe, welches im Hinblick auf den Kündigungsschutz aber verfehlt gewesen sei.

Die Abweisung des Klagebegehrens im früheren Verfahren erwuchs in Rechtskraft.

Mit der nunmehr zu 33 Cga 95/07p am 1. 6. 2007 (verbessert am 4. 6. 2007) eingebrachten, nur gegen die ÖBB-Technische Services GmbH gerichteten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die „Entlassungserklärung" der Beklagten vom 19. 12. 2006 rechtsunwirksam sei und das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-, Angestelltenbzw Dienstverhältnis über den 18. 12. 2006 hinaus ungeachtet der „Entlassungserklärung" vom 19. 12. 2006 auf unbestimmte Zeit fortbestehe. Erneut brachte der Kläger vor, dass er keine Entlassungsgründe gesetzt habe, die Disziplinarkommission nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt und die Entlassungserklärung durch eine nicht befugte Person abgegeben worden sei, sodass die Entlassung insgesamt rechtsunwirksam sei.

Dies bestritt die Beklagte und wendete überdies ein, dass der Kläger eine Aufgriffsobliegenheit verletzt habe, indem er die Klage erst mehrere Monate nach seiner Entlassung eingereicht habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Schon mit der Zustellung der Klagebeantwortung im früheren Verfahren hätte dem Kläger bewusst sein müssen, dass er ein Feststellungsbegehren stellen müsse, um eine allenfalls unberechtigte Entlassung wirksam bekämpfen zu können. Mit der erst jetzt - formrichtig - eingebrachten Klage habe der Kläger seine Aufgriffsobliegenheit verletzt und könne somit die Unwirksamkeit einer Entlassung schon aus diesem Grund nicht mehr geltend machen.

Aus Anlass der Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hob das Berufungsgericht das angefochtene Urteil und das vorangegangene Verfahren einschließlich der Klagezustellung als nichtig auf und wies die Klage zurück. Sowohl das Erstgericht als auch die Parteien haben übersehen, dass auch im früheren Verfahren ohnehin ein auf den Bestand des Dienstverhältnisses gerichtetes Feststellungsbegehren Verhandlungsgegenstand gewesen und vom Erstgericht gemeinsam mit dem Rechtsgestaltungsbegehren rechtskräftig abgewiesen worden sei. Damit liege aber „res iudicata" vor, welche ein Prozesshindernis für die neuerliche Geltendmachung eines Feststellungsbegehrens darstelle. Aus Anlass der Berufung sei daher diese dem nunmehrigen Verfahren anhaftende Nichtigkeit aufzugreifen gewesen.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts ersatzlos aufzuheben und diesem eine inhaltliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Die Beklagte beantragte, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (Kodek in Rechberger, ZPO³ § 519 Rz 6 lit b); er ist auch berechtigt. Wie spätestens aus dem Schriftsatz ON 6 des Klägers im Vorverfahren hervorgeht, verstand dieser seine ursprünglich gegen drei Beklagte gerichtete Klage als Rechtsgestaltungsbegehren, was er auch dadurch unterstrich, dass er sich „selbstverständlich eine eigene Feststellungsklage in Bezug auf den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses" vorbehielt. Demzufolge fasste auch das Erstgericht, wie aus seiner Erörterung mit den Parteien (ON 7 des Vorakts) hervorgeht, das seinerzeitige Klagebegehren als einheitliches Rechtsgestaltungs- und nicht als Rechtsgestaltungs- und Feststellungsbegehren auf. Dies gibt auch die Urteilsbegründung des Vorverfahrens wieder, wo ein mangelndes Feststellungsinteresse des Klägers oder aber die materiellen Einwendungen betreffend die Entlassung auch nicht ansatzweise erwähnt wurden, sondern vielmehr ausdrücklich die Rede davon ist, dass der Kläger „ausdrücklich und ausschließlich ein Anfechtungsbegehren" und gerade kein Feststellungsbegehren gestellt habe.

Wollte aber das Erstgericht seinem klaren Entscheidungswillen nach im Vorprozess nur ein Rechtsgestaltungsbegehren abweisen, kann keine Rede davon sein, dass (auch) ein Feststellungsbegehren abgewiesen worden wäre, sodass das Prozesshindernis der entschiedenen Rechtssache nicht vorliegt. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und dem Berufungsgericht die sachliche Erledigung der Berufung des Klägers aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rückverweise