10Ob105/07z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Patrick G*****, geboren am *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Silvia G*****, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 25. Juli 2007, GZ 21 R 205/07d-50, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob den Eltern (hier der außerehelichen Mutter) nach § 176 Abs 1 ABGB die Obsorge zu entziehen und gemäß § 213 ABGB dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Ihr kommt daher keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird und leitende Grundsätze der Rechtsprechung daher nicht verletzt werden (RIS-Justiz RS0115719, RS0007101 ua). Diese leitenden Judikaturgrundsätze lassen sich dahin zusammenfassen, dass die Entziehung der Obsorge nur bei Gefährdung des Kindeswohles vorzunehmen ist, ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen also voraussetzt, dass er im Interesse des Kindes dringend geboten ist. Bei der Beurteilung dieser Frage ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Die Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als Notmaßnahme angeordnet werden. Der Obsorgeberechtigte muss demnach die elterlichen Pflichten subjektiv gröblich vernachlässigen oder objektiv nicht erfüllt bzw durch sein Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährdet haben. Bei der Entscheidung ist nicht nur von der momentanen Situation auszugehen, sondern sind auch Zukunftsprognosen zu stellen. Die Entziehung (allenfalls auch nur Einschränkung) der Obsorge ist demnach dann geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist (7 Ob 79/05a mwN ua).
Nur wenn gegen diese Grundsätze verstoßen und damit auf das ganz im Vordergrund der Beurteilung stehende Kindeswohl (§ 178a ABGB) nicht ausreichend Bedacht genommen wird, ist die Entscheidung der Entziehung der Obsorge revisibel.
Von einer solchen, aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Nach den maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen ist die Mutter nicht ausreichend erziehungsfähig; sie wäre mit der Obsorge über den Minderjährigen überfordert und es wäre bei ihr auch die für die Pflege und Erziehung des Minderjährigen erforderliche Kontinuität und Stabilität nicht ausreichend vorhanden. Beim Minderjährigen finden sich symptomatische Auffälligkeiten bzw Störungsbilder mit direktem Bezug zur eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter. Bei der Mutter findet sich kaum Einsicht in die gegenständliche Beziehungsproblematik und durchgängig eine Verantwortungsabwehr mit dominantem Rechtfertigungsschema. Sie war deshalb auch in der Vergangenheit offenbar nicht Willens oder in der Lage, externe Hilfen in Anspruch zu nehmen, um bestehende Erziehungsdefizite ausgleichen zu können. Der in seiner emotionalen Entwicklung weit hinter seiner Altersstufe zurückgebliebene Minderjährige bedarf aber einer intensiven therapeutischen Förderung. Eine Rückführung des Minderjährigen in die faktische Obsorge der Mutter würde zu wesentlichen und überdauernden psychosozialen Belastungsfaktoren für den Minderjährigen führen. Der bereits im 14. Lebensjahr befindliche, in seiner emotionalen Entwicklung aber zurückgebliebene Minderjährige selbst erklärte bei seiner persönlichen Anhörung vor Gericht, dass er mit einer Zuteilung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger einverstanden sei und er sich in weiterer Folge eine Zuteilung der Obsorge an seinen Vater und nicht an seine Mutter wünsche.
Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin liegen somit ausreichende Tatsachenfeststellungen vor, die die Prognose zulassen, eine Betreuung des Kindes durch die Mutter würde diesem auf Grund ihrer eingeschränkten Erziehungskompetenz schaden. Die Rechtsprechung stellt bei Beurteilung des Kindeswohles auf die konkreten Lebensverhältnisse der Eltern, ihre Betreuungsmöglichkeiten, erzieherischen Fähigkeiten und Bemühungen sowie auf die emotionale Bindung des Kindes zu seinen Eltern ab (vgl § 178a ABGB). Welcher dieser Umstände für die Entscheidung über die Zuteilung der Obsorge unter Beachtung des Kindeswohles ausschlaggebend wird, hängt so sehr von den Umständen des Einzelfalles ab, dass sich daraus entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin keine generellen Leitlinien für die Beurteilung des Kindeswohles entwickeln lassen. Das Erstgericht hat die für das Kindeswohl maßgebenden Umstände umfassend erhoben und abgewogen und bei seiner Entscheidung entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin nicht ausschließlich auf ihre Lebensumstände abgestellt. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz können nicht mehr mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie im Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung nicht gerügt wurden oder vom Rekursgericht verneint worden sind. Von diesen Grundsätzen könnte zwar abgewichen werden, wenn es das Kindeswohl erfordert (4 Ob 99/06x). Da eine Verletzung leitender Grundsätze der Rechtsprechung (insbesondere des im Vordergrund stehenden Kindeswohles) - entgegen dem Standpunkt der Revisionsrekurswerberin - nicht zu erkennen ist, stellt die Ansicht des Rekursgerichtes, dass die Sachverhaltsermittlung keiner Ergänzung mehr bedarf, um über die Obsorge im Sinne des Kindeswohles entscheiden zu können, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
Da die Revisionsrekurswerberin somit insgesamt keinen tauglichen Zulassungsgrund aufzuzeigen vermag, muss ihr demnach unzulässiges außerordentliches Rechtsmittel zurückgewiesen werden. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).