12Os57/07k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Safet M***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 23 Ur 149/06z des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerden des Beschuldigten Osman K***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 5. April 2007, AZ 9 Bs 108/07m, 9 Bs 126/07h (ON 295), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Osman K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der mit 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer festgesetzten Beschwerdekosten an den Beschwerdeführer auferlegt.
Text
Gründe:
Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 5. April 2007, AZ 9 Bs 108/07m, 9 Bs 126/07h (ON 295), wurde die vom Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz am 15. März 2007 über Osam K***** verhängte (ON 165: § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit b StPO) und sodann am 27. März 2007 fortgesetzte (ON 214: § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a und b StPO) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO prolongiert.
Zum dringenden Tatverdacht betreffend das (u.a.) in Voruntersuchung gezogene Verbrechen nach § 278a StGB führte das Oberlandesgericht Graz aus, dass nach den Ergebnissen der Überwachung der Telekommunikation, zweier beim Beschuldigten sichergestellter Mobiltelefone der H***** GmbH, der zahlreichen persönlichen Kontakte des Beschwerdeführers zu anderen Beschuldigten und zur Franz G*****, der L***** GmbH und aufgrund Angaben eines weiteren Beschuldigten bei vernetzter Betrachtung in hohem Maß wahrscheinlich sei, dass Osam K***** in den letzten Jahren einer auf unbestimmte Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren, über die Anzahl der derzeit Beschuldigten hinausgehenden Zahl von Personen in einer führenden Position angehört habe. Diese Organisation sei darauf ausgerichtet, wiederkehrend insbesondere in der Baubranche tätige eigenkapitallose Gesellschaften mit beschränkter Haftung in mehreren Bundesländern zu gründen und zu betreiben. Diese Kapitalgesellschaften, wie etwa die T***** GmbH, die A***** GmbH, die H***** GmbH, die V***** GmbH und die F***** GmbH, setzen als deren handelsrechtliche Geschäftsführer zur Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen pro forma nur zu diesem Zweck aus dem Ausland geholte und dafür bezahlte, nicht sachkundige und teils auch nicht sprachkundige Personen ein. Diese Unternehmen verfügen zudem über keine betrieblichen Strukturen, führen von vornherein keine Geschäftsbücher oder erstellen keine Jahresabschlüsse, entrichten weder öffentliche Abgaben, Sozialversicherungsbeiträge oder Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz noch erfüllen sie sonstige Verbindlichkeiten. Teils in großem Umfang melden sie bei ihnen gar nicht beschäftigte, teils auf eigene Rechnung und illegal erwerbstätige Personen als Arbeitnehmer an. Eine Bereicherung in großem Umfang strebe diese Verbindung vor allem dadurch an, dass in den Gesellschaften von den - wenn überhaupt, so nur als Arbeiter angemeldeten - als de facto-Geschäftsführer tätigen Mitgliedern der hierarchisch und arbeitsteilig strukturierten Organisation sämtliche Einnahmen der Gesellschaft aus erfüllten Aufträgen unverzüglich durch Bargeldbehebungen vom jeweiligen Unternehmenskonto ebenso vereinnahmt werden, wie das von den nur pro forma als Arbeitnehmer gemeldeten Personen und von anderen Unternehmen für die Ausstellung fingierter Rechnungen bezogene Entgelt. Schließlich werde den ausschließlich durch Barzahlung entlohnten Arbeitnehmern ebenso wie den nur zum Schein angemeldeten Arbeitnehmern nach Eröffnung des Konkurses das betrügerische Herauslocken von Insolvenz-Ausfallsgeld, letztgenannten auch von Leistungen der Krankenversicherungen für sich und ihren Familienangehörigen und auch von Arbeitslosenunterstützung und Notstandshilfe sowie anderen Unternehmen durch die Ausstellung von sogenannten Scheinrechnungen die vorgetäuschte Minimierung ihrer Gewinne ermöglicht.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde kommt Berechtigung zu:
Zutreffend verweist der Beschwerdeführer darauf, dass die Begründung des dringenden Tatverdachts in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise unzureichend geblieben ist.
Nach § 179 Abs 4 Z 4 StPO (§ 182 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat jeder Beschluss eines Oberlandesgerichtes über die Fortsetzung der Untersuchungshaft jene bestimmten Tatsachen zu enthalten, aus denen sich der dringende Tatverdacht für den Gerichtshof zweiter Instanz ergibt. Das bedeutet, dass im Beschluss des Beschwerdegerichtes klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen) die Sachverhaltsannahmen zu einem dringenden Tatverdacht beruhen (vgl 14 Os 59/06t, EvBl 2006/132, 690). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor (vgl Ratz , JBl 2000, 536 f; ders , ÖJZ 2005, 417; ders , ÖJZ 2005, 705 f; ders , ÖJZ 2006, 319; ders , WK-StPO § 281 Rz 4 f, 419). Insoweit unterscheidet sich die formale Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von derjenigen für ein Strafurteil (vgl 14 Os 59/06t, EvBl 2006/132, 690).
Vorliegend begnügte sich das Rechtsmittelgericht mit dem Hinweis auf die Überwachung der Telekommunikation, wobei auf einzelne Passagen daraus verwiesen wurde. Abgesehen davon, das die solcherart aufgezeigten Telefonüberwachungsprotokolle teilweise denselben Kontakt betrafen (S 377, 381, 441/IV = S 185/IV), finden sich darin lediglich Gesprächsinhalte, bei denen der Beschuldigte (im Telefonat nicht spezifizierte) Forderungen erhob (S 177/IV) oder bei denen über nicht weiter konkretisierte Geldforderungen des Osam K***** (S 185/IV, 313/IV) bzw über ein für den Beschwerdeführer bestimmtes Geld (S 435/IV) berichtet wird. Die im angefochtenen Beschluss weiters herangezogenen Angaben des Beschuldigten Rijad Z***** beschränken sich darauf, dass „Rechnungen der H***** für die Firma S***** für die K*****s zu schreiben waren“ (S 367/XIV). Einzig in einem Gespräch zwischen dem Beschuldigten und Christian B***** (ON 253/XV) wird über eine von Osma K***** organisierte Bauarbeit mit sechs Personen an einer Baustelle gesprochen.
Festzuhalten ist zunächst, dass schon bei den im angefochtenen Beschluss getroffenen Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht nach § 278a StGB konkrete Tathandlungen des Beschuldigten - mit Ausnahme einer nicht weiter konkretisierten „Mitgliedschaft“ - nicht auszumachen sind. Weder die genannten unspezifischen Gesprächsinhalte und die angeführten Kontakte des Beschwerdeführers zu anderen Beschuldigten bzw zu zwei Baufirmen noch die bei zwei Belegstellen zu findenden Schlussfolgerungen der Polizei, wonach bei einem Gespräch eine „dubiose Baufirma“ gemeint sei, wobei dies aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse „einwandfrei“ verifiziert werden könne (BS 3 iVm S 177/IV) oder der Hinweis der Sicherheitsbehörde darauf, dass bereits in den Jahren 2001 und 2002 erfolglose Ermittlungen gegen Osman K***** geführt worden waren (BS 3 iVm S 187/IV), bieten eine Begründung für einen dringenden Tatverdacht in Bezug auf die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Straftat nach § 278a StGB. Hinsichtlich weiterer Tatvorwürfe, auf die sich die eingeleitete Voruntersuchung bezieht, fehlt jeglicher Begründungsansatz. Bleibt nur hinzuzufügen, dass das Oberlandesgericht Graz in der angefochtenen Entscheidung die Haftvoraussetzung der Verdunklungsgefahr darauf stützte, dass im Zuge der umfangreichen sicherheitsbehördlichen Erhebungen bislang keine Zeugen oder Auskunftspersonen ermittelt werden konnten, die bereit wären, gegen den Beschwerdeführer auszusagen (BS 6 in ON 295 iVm S 17/XIV).
Bei dieser Ausgangslage sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, den angefochtenen Beschluss aufzuheben (§ 7 Abs 1 GRBG).
Der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz ist somit verpflichtet, unverzüglich den der Anschauung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 7 Abs 2 GRBG) und die Enthaftung des Beschuldigten Osman K***** zu veranlassen.
Das darüber hinausgehende Beschwerdevorbringen bedarf daher keiner weiteren Erörterung.
Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.