JudikaturOGH

1Ob69/07i – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Mai 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martina S*****, vertreten durch Ferner Hornung Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Dipl. Ing. Andreas T*****, 2. Adam S*****, beide vertreten durch Dr. Manfred Nessmann, Rechtsanwalt in Salzburg, und 3. Phillipa F*****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 11.330,56 sA und Feststellung (Streitwert EUR 1.453,46), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. Jänner 2007, GZ 2 R 150/06a-107, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 31. März 2006, GZ 12 Cg 39/01k-102, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das in Ansehung der Abweisung des gegen die erst- und zweitbeklagte Partei gerichteten Klagebegehrens und des gegen die drittbeklagte Partei gerichteten Zinsenteilbegehrens für die Zeit vom 1. März 1999 bis 20. Dezember 2002 lediglich die bereits in Rechtskraft erwachsene Entscheidung des Erstgerichts wiedergibt und somit unberührt bleibt, wird im übrigen Umfang aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Eine englische Privatschule buchte bei der vom Zweitbeklagten betriebenen Schischule für die Zeit vom 14. 2. bis 19. 2. 1999 einen sechstägigen Schikurs für 44 Schüler im Alter zwischen dreizehn und sechzehn Jahren. Eine der aus diesen Schülern gebildeten Gruppen, die vierzehn Schüler umfasste, wurde vom Erstbeklagten als Schilehrer betreut. In dieser Gruppe befand sich die damals knapp sechzehn Jahre alte Drittbeklagte, die noch nie zuvor Schi gefahren war. Am 14. 2. 1999 und am Vormittag des 15. 2. 1999 befuhr diese Gruppe ausschließlich den flachen Übungshang. Am Nachmittag des 15. 2. 1999, an dem gute Pisten- und Sichtverhältnisse herrschten und die Schipisten verhältnismäßig stark frequentiert waren, begab sich der Schilehrer mit seiner Gruppe zu einem anderen Hang, um auf dieser Schipiste zu fahren. Die Talfahrt erfolgte „in Form großer Stemmbögen" mit relativ langsamer Geschwindigkeit. Der Erstbeklagte führte die Gruppe an und überwachte die ihm nachfahrenden Schischüler, indem er sich immer wieder umdrehte und in regelmäßigen Abständen anhielt. Die Drittbeklagte fuhr in der zweiten Hälfte der Gruppe. Sämtliche Mitglieder der Schischulgruppe fielen in die „Könnensstufe 5 bis 4". Die Klägerin und ihr Ehemann befuhren denselben Schihang. Die Klägerin kollidierte mit der Drittbeklagten und erlitt einen Riss des vorderen Kreuzbandes, des Innenseitenbandes und des Innenmeniskus im linken Knie.

Die Klägerin begehrte EUR 11.330,56 an Schmerzengeld, Behandlungskosten und Verdienstentgang sowie die Feststellung der Haftung aller Beklagten für künftige Schäden aus dem Unfall. Sie brachte hinsichtlich der Drittbeklagten vor, diese sei nicht in der Lage gewesen, ihre Schi zu kontrollieren, abzuschwingen, anzuhalten oder einen Bogen zu machen. Sie hafte für die Unfallsfolgen, weil sie die Schipiste ohne entsprechendes Können und Ausbildung befahren habe und daher ihre Schi nicht habe kontrolliert bewegen können. Die Drittbeklagte wandte ein, das Verschulden am Unfall treffe ausschließlich die Klägerin. Die Drittbeklagte sei vor dem Schikurs noch nie Schi gefahren und habe den Hang entsprechend den Anweisungen des Schilehrers „im Schneepflug" befahren, als sie oberhalb zu ihrer Rechten die Klägerin bemerkt habe, die auf sie zugefahren und mit ihr kollidiert sei. Die Klägerin habe gegen die FIS-Vorrangregeln verstoßen. Selbst bei Richtigkeit der Unfallsversion der Klägerin treffe die Drittbeklagte keine Haftung. Erstere werfe ihr vor, den Schihang ohne entsprechendes Können und entsprechende Ausbildung befahren zu haben und nicht in der Lage gewesen zu sein, die Schi kontrolliert zu bewegen. Die Schipiste sei allerdings nicht von der Drittbeklagten ausgewählt worden, sondern vom Schilehrer, weshalb sie selbst im Falle einer Überforderung mit den Verhältnissen kein Verschulden treffe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegenüber der Drittbeklagten - ein Zinsenmehrbegehren ausgenommen - statt und wies es gegenüber dem Erst- und Zweitbeklagten unbekämpft ab. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus fest, dass Schischüler der „Könnenstufe 5 bis 4" Stemmbogenfahrten und Hangquerungen mit parallelen Schiern beherrschten. Auch die Drittbeklagte habe diese Anforderungen erfüllt. Sie habe zusammen mit der Gruppe während des Aufenthaltes auch steilere Teile der Piste befahren und diese problemlos bewältigt. Die Klägerin habe im Bereich oberhalb eines Gasthofs ca 4,5 bis 5 m innerhalb des linken Pistenrandes angehalten. Die Piste ist dort 80 bis 100 m breit und weist ein weitgehend gleichmäßiges Gefälle von lediglich 17 % auf. Es sei zu einer Kollision gekommen, weil die Drittbeklagte aus ungeklärter Ursache die Kontrolle über ihre Schier verloren habe, in einem Winkel von etwa 45 Grad aus der Falllinie auf die stehende Klägerin zugefahren und ungebremst von hinten gegen diese gestoßen sei, wodurch beide zu Sturz gekommen seien. Die Drittbeklagte hafte, weil sie die Klägerin auf der Schipiste von hinten niedergestoßen habe, ohne dass sich Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass sie subjektiv nicht in der Lage gewesen wäre, die gebotene Sorgfalt einzuhalten und den Unfall zu verhindern. Es sei ihr nämlich möglich gewesen, auch steilere Passagen problemlos und sturzfrei zu bewältigen. Die Kollision sei ihr vorwerfbar, weil selbst von einer relativ ungeübten Schifahrerin dieses Alters die Einleitung eines „Notsturzes" erwartet werden könne.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es das Klagebegehren auch gegenüber der Drittbeklagten abwies. Das den Schaden verursachende Verhalten sei in Österreich gesetzt worden. Mangels stärkerer Beziehung der Beteiligten zum Recht eines anderen Staates seien die Schadenersatzansprüche daher nach österreichischem Recht zu beurteilen. Ein Schaden sei im Allgemeinen nur ersatzfähig, wenn er dem Geschädigten vom Schädiger „aus Verschulden" zugefügt wurde. Im Zweifel gelte die Vermutung, dass ein Schaden ohne Verschulden eines anderen entstanden sei. Die Behauptungs- und Beweislast für ein haftungsbegründendes Verschulden bzw für jene Tatumstände, aus denen ein solches abgeleitet werden könne, treffe den Geschädigten. Die Prüfung des Verschuldens habe sich auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken, auf die der Geschädigte seinen Verschuldensvorwurf gründe. Die Klägerin habe der Drittbeklagten ausschließlich angelastet, den Schihang ohne entsprechendes Können und ohne entsprechende Ausbildung befahren zu haben und daher nicht in der Lage gewesen zu sein, die Schier unter Kontrolle zu halten. Sie mache ihr damit nicht eine zur Kollision führende unkontrollierte Fahrweise zum Vorwurf, sondern lediglich die Benutzung einer Schipiste, die sie mangels ausreichenden schifahrtechnischen Könnens nicht bewältigen habe können, also gleichsam ein „Auswahlverschulden" betreffend den örtlichen Bereich ihrer Sportausübung. Dieser Verschuldensvorwurf gehe aber ins Leere, weil die Drittbeklagte als Gruppenmitglied eines Schischulkurses nicht die Entscheidung zur Benutzung dieser Schipiste getroffen habe, sondern der Erstbeklagte als Leiter dieser Gruppe. Außerdem habe sich nicht erweisen lassen, dass das Pistengelände im Bereich der Unfallstelle für die Drittbeklagte zu schwierig gewesen sei. Dem entsprechend habe das Erstgericht die von ihm bejahte Haftung auch nicht auf die Wahl der Schipiste gegründet, sondern auf eine seiner Ansicht nach subjektiv vorwerfbare Fahrweise. Damit habe es allerdings den Rahmen des Klagsvorbringens bei der Verschuldensprüfung überschritten. Die Schadenersatzpflicht der Drittbeklagten könne nicht auf Umstände gestützt werden, auf welche sich die Klägerin nicht berufen habe. Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Anwendbarkeit österreichischen Rechts ist korrekt und wird nicht bestritten.

Der Klägerin ist dahin zu folgen, dass sie der Drittbeklagten nicht nur - wie vom Berufungsgericht angenommen - ein Auswahlverschulden in Bezug auf die von ihr befahrene Piste angelastet hat. Die Klagsbehauptungen, die Drittbeklagte sei nicht in der Lage gewesen, ihre Skier zu kontrollieren und die Piste „kontrolliert" zu befahren, sind vielmehr eindeutig (auch) dahin zu verstehen, das die Drittbeklagte, die „von hinten in die Klägerin hineingefahren" sei, ihre Fahrweise nicht ihrem Können angepasst habe. Nun hat das Erstgericht - ausgehend von den von ihm getroffenen Feststellungen - die Ansicht vertreten, die Drittbeklagte wäre bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt in der Lage gewesen, die Kollision zu verhindern. Zu dieser Rechtsansicht, die offensichtlich auf der Judikatur beruht, wonach sich beim Schilauf jeder so zu verhalten hat, das er keinen anderen gefährdet (RIS-Justiz RS0023381; RS0117331 uva) und dass die Fahrweise dem fahrerischen Können anzupassen ist (RIS-Justiz RS0023396 uva), vermag der erkennende Senat derzeit nicht Stellung zu nehmen. Das Gericht zweiter Instanz hat sich nämlich - ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - mit der von der Drittbeklagten im Berufungsverfahren erhobenen Mängel- und Beweisrüge nicht befasst. Dies ist nachzuholen. Erst dann ist es möglich, den zweifelsfrei festgestellten Sachverhalt einer rechtlichen Beurteilung zu unterziehen.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist demnach - wie aus dem Spruch dieser Entscheidung ersichtlich - aufzuheben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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