2Ob249/05i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paul G*****, vertreten durch Mag. Klaus Tusch, Dr. Günter Flatz, Dr. Ernst Dejaco, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Herbert Pfeifer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 6.575,58 sA (Revisionsinteresse EUR 2.963,11 sA) über Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 30. Juni 2005, GZ 53 R 204/05i 38, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 25. Februar 2005, GZ 17 C 1144/03b 34, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin enthalten EUR 55,52 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Streitteile beschäftigen sich mit dem Handel und der Verarbeitung von Parketthölzern. Aufgrund eines Offerts vom 12. 5. 2002 bestellte die klagende Partei 100 m2 Allgäuer Naturholzboden, ein Handelssortiment, das die beklagte Partei vom Hersteller in Deutschland, in regelmäßigen Zeitabständen in größeren Mengen zu ganzen Europaletten zukauft, wobei die beklagte Partei Generalimporteur für ganz Österreich ist. Eine Europalette besteht aus jeweils 35 darauf verzurrten Collis und entspricht ca 100 m2. Die von der beklagten Partei bestellte Ware wurde am 11. 7. 2002 per Bahnexpress versandt. Sie bestand aus einer Europalette mit 35 Collis, die von der Anlieferung bei der beklagten Partei bis zur Lieferung bei der klagenden Partei nicht geöffnet wurde und einem 36. dazugezurrten Colli. Die gesamte Menge wurde mit Kunststofffolie umwickelt.
Beim Abladen der einzelnen Collis verletzte sich ein Mitarbeiter der beklagten Partei, der keine Handschuhe trug, durch einen an der Unterkante eines Collis herausragenden Holzsplitter, der die Haut und das Muskelgewebe seines Zeigefingers aufriss und die Fingersehne verletzte. Der Holzsplitter musste operativ entfernt werden. Die klagende Partei war im Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit für elf Wochen und zwei Tage zur Lohnfortzahlung sowie Fortzahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung verpflichtet. Die Beschädigung des innenliegenden Collis der drittobersten Lage ist weder bei der klagenden noch bei der beklagten Partei erfolgt, derartige Beschädigungen erfolgen gelegentlich durch Gabelstapler beim Zusammenstellen einer Palette.
Mit Schreiben vom 12. 7. 2002 kündigte die klagende Partei bei der beklagten Partei die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen an. Eine betragsmäßige Konkretisierung erfolgte mit der Klage im April 2003. Erstmals im Schriftsatz vom 19. 5. 2003 stützte die klagende Partei ihren Anspruch auf das Produkthaftungsgesetz. Mit Schriftsatz vom 18. 8. 2003 gab die beklagte Partei den Hersteller bekannt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, es handle sich um einen nach dem PHG nicht ersatzfähigen bloßen Vermögensschaden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge. Die Lohnfortzahlungsvorschriften hätten nicht den Zweck den nach dem PHG Haftpflichtigen zu entlasten, weshalb durch die Lohnfortzahlung dessen Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen werde. Der Schädiger habe vielmehr dem Dienstgeber den auf diesen überwälzten Schaden des Dienstnehmers zu ersetzen. Diese Ersatzpflicht sei im vorliegenden Fall zu bejahen, da die beklagte Partei ihrer Benennungspflicht nach § 1 Abs 2 PHG verspätet nachgekommen sei und nicht gesagt werden könne, das die Verspätung keinen Nachteil für den Geschädigten mit sich gebracht habe. Zu berücksichtigen sei aber der Mitverschuldenseinwand der beklagten Partei. Bei der Verschuldensabwägung sei die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das Verschulden bewirkten Gefahr, die im vorliegenden Fall schon für einen Laien vorhersehbar sei, zu berücksichtigen und eine Schadensteilung im Verhältnis 1:1 angemessen, weshalb ausgehend von einem festgestellten Schaden von EUR 5.926,22 der Hälftebetrag von EUR 2.963,11 zuzusprechen sei.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass es keine gesicherte oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Berechnung der Frist nach § 1 Abs 2 PHG gebe, wenn der Geschädigte sich erstmals im Prozess auf das PHG stütze.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revision das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen. Die Herstellerbenennung sei rechtzeitig erfolgt, selbst bei verspäteter Benennung sei aber kein weiterer Schaden entstanden bzw die Zulässigkeit der sog. Redintegration zu bejahen. Letztlich wiege ein schwerer Verstoß gegen arbeitsrechtliche Vorschriften mehr als eine eventuelle Haftung wegen § 1 Abs 2 PHG.
Die klagende Partei beantragt die Revision zurückzuweisen bzw. ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichtes hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:
Kann der Hersteller oder - bei eingeführten Produkten - der Importeur nicht festgestellt werden, haftet gemäß § 1 Abs 2 PHG jeder Unternehmer, der das Produkt in Verkehr gebracht hat, wenn er dem Geschädigten nicht in angemessener Frist den Hersteller bzw den Importeur oder denjenigen nennt, der ihm das Produkt geliefert hat. Welche Frist als „angemessen" anzusehen ist, legt das PHG nicht fest. Die in den Erläuterungen zu § 1 der RV angeführten zwei Wochen sind nur ein Anhaltspunkt für „Durchschnittsfälle". Es ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen und die Angemessenheit der Benennungsfrist vor allem an der Art des Produkts, dem Sitz des primär Haftpflichtigen oder Vorlieferanten und der Anzahl der notwendigen Erhebungen und Rückfragen durch den benennungspflichtigen Händler zu bemessen (2 Ob 240/99d). Nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist es nicht notwendig, dass der Geschädigte den Händler zur Bekanntgabe des Herstellers (Importeurs, Vorlieferanten) besonders auffordert; die Frist beginnt vielmehr auch mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Lieferanten, wenn dieser aus der Aufforderung erkennen kann, dass der Geschädigte Ersatzansprüche (auch) nach dem PHG stellt (4 Ob 503/95, 1 Ob 555/95, 2 Ob 240/99d unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Entscheidung 2 Ob 345/97t; 5 Ob 217/04d).
Was die Länge der dann angemessenen Frist betrifft, hat der Oberste Gerichtshof in 3 Ob 107/01h eine Benennung nach mehr als vier Monaten als jedenfalls verspätet qualifiziert, ebenso bei rund fünfeinhalb Wochen in 2 Ob 240/99d, dagegen die Einhaltung einer 16tägigen Frist in 4 Ob 503/95 als ausreichend. In 7 Ob 581/92 wurde hingegen bei einer Frist von rund zweieinhalb Monaten Verspätung nicht eingewandt, sodass darauf nicht einzugehen war.
In keinem dieser Fälle hat der Oberste Gerichtshof, was den Beginn bzw die Länge der Benennungsfrist betrifft, darauf abgestellt, ob die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach dem PHG vor oder nach einer Klagseinbringung erfolgte. So wurde in 4 Ob 503/95 das PHG erstmals in der Klage herangezogen bzw in 3 Ob 107/01h nach Klagseinbringung, während dies 2 Ob 240/99d nicht genau zu entnehmen ist. Auch das Schrifttum differenziert in dieser Richtung nicht (vgl Rabl, Der Beginn der Frist für die Bekanntgabe des Herstellers nach § 1 Abs 2 PHG, ecolex 1998, 758; ders, Die Haftung des Klägers nach dem Produkthaftungsgesetz, JBl 1999, 490; Harrer, Die Haftung des Händlers bei nachträglicher Feststellung des Herstellers, RdW 1990, 104; Zankl, Produkthaftung nach Ablauf der Benennungsfrist, WBl 1988, 416; Filzmoser, RdW 1998, 118; Preslmayr, Handbuch der Produkthaftung2 S 38 ff; Welser/Rabl, Produkthaftungsgesetz2 § 1 Rz 64; Posch in Schwimann, ABGB Praxiskommentar3 § 1 PHG Rz 28).
P. Bydlinski (Produkthaftungsgesetz und Haftpflichtversicherung, S 33 [37]) verweist darauf, dass die Situation besonders problematisch dann ist, wenn der Geschädigte den Händler - nach Ablauf der angemessenen Frist - bereits gerichtlich belangt hat und ihm erst jetzt ein Primärhaftpflichtiger bekannt wird. In dieser Konstellation kommt er zu dem Ergebnis, dass die verspätete Benennung in einem schon anhängigen Schadenersatzprozess zwischen dem Geschädigten und dem Händler für sich allein niemals zur Haftungsbefreiung führen kann. Eine Notwendigkeit zur differenzierten Beurteilung der Benennungsfrist je nach dem, ob bereits Klage erhoben wurde oder nicht, sieht aber auch er nicht.
Weder in der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts, noch in der Revision der beklagten Partei finden sich stichhältige Ausführungen, aus welchen Gründen hier eine Unterscheidung erforderlich wäre und inwiefern daher in dieser konkreten Fallgestaltung eine erhebliche Rechtsfrage vorläge, eine solche ist auch für den erkennenden Senat nicht ersichtlich.
Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet für sich alleine aber keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhängt. Besonderheiten der Fallgestaltung schließen dies sogar eher aus (RIS Justiz RS0102181).
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes - derzufolge eine Benennung nach etwa drei Monaten angesichts der konkreten Umstände (Sitz des Herstellers in Deutschland, keine besonderen Erhebungen erforderlich) verspätet erfolgte - hält sich im Rahmen der Judikatur und wird in durchaus vertretbarer Weise dem Einzelfall gerecht.
Auch mit ihren Ausführungen zur Zulässigkeit der sogenannten „Redintegration" wirft die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage auf, auch dazu besteht bereits - von ihr ohnehin teilweise zitierte (3 Ob 107/01h) - Judikatur des Obersten Gerichtshofes (vgl weiters bereits 2 Ob 240/99d mit Hinweis auf P. Bydlinski aaO).
Ebensowenig kann das Ausmaß des Mitverschuldens des Geschädigten wegen seiner Einzelfallbezogenheit als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden. Ob eine Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei welcher im Allgemeinen - von einer krassen Verkennung der Rechtslage abgesehen - eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RIS Justiz RS0087606). Eine solche krasse Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor.
Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihre Rechtsmittelbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.