Der Oberste Gerichtshof hat am 6. März 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Robert M***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 5. April 2004, GZ 1 U 21/04v-6, und den zugleich nach § 494a StPO gefassten Beschluss erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, sowie des Verurteilten Robert M***** zu Recht erkannt:
I. Es verletzen das Gesetz
1./ die Durchführung der Hauptverhandlung vom 5. April 2004 in Abwesenheit des am 9. August 1985 geborenen Angeklagten Robert M***** und die anschließende Urteilsfällung (ON 6) über diesen in § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG,
2./ die zugleich erfolgte Beschlussfassung nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO ohne vorangegangene Einsicht in die Akten AZ 33 Hv 150/02h des Landesgerichtes Linz oder in eine Abschrift des früheren Urteils in § 494a Abs 3 StPO.
II. Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 5. April 2004 sowie der unter einem gefasste Beschluss auf Verlängerung der Probezeit werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Freistadt verwiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 5. April 2004, GZ 1 U 21/04v-6, wurde der am 9. August 1985 geborene Robert M***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (1.) sowie der Beleidigung nach § 115 Abs 1 (§ 117 Abs 2) StGB (2.) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 2. Februar 2004, GZ 1 U 6/04p-5, zu einer bedingt nachgesehenen Zusatzstrafe verurteilt. Unter einem erging der Beschluss auf „Bestellung eines Bewährungshelfers" sowie auf Absehen vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 12. Dezember 2002, AZ 33 Hv 150/02h, gewährten bedingten Strafnachsicht und auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO.
Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Freistadt und die Fällung des Urteils vom 5. April 2004 erfolgten in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen (Rückscheine bei ON 1 und 4) Beschuldigten. Eine Einsichtnahme in die - nicht beigeschafften (ON 4) - Akten über früherer Verurteilungen durch das Landesgericht Linz oder zumindest in eine Abschrift des früheren Urteils vor der Beschlussfassung nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO ist nicht aktenkundig (ON 5).
Das dem Angeklagten mit Rechtsmittelbelehrung persönlich zugestellte (Rückschein bei ON 6) Abwesenheitsurteil sowie der Beschluss nach §§ 494, 494a StPO erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft. Die Vornahme der Hauptverhandlung am 5. April 2004 in Abwesenheit des Angeklagten und die Urteilsfällung sowie die unter einem ohne vorherige Einsichtnahme zumindest in eine Abschrift des früheren Urteils erfolgte Beschlussfassung nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Der am 9. April 1985 geboren Angeklagte war am 5. April 2004, an welchem Tag die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit vorgenommen wurde, erst 18 Jahre alt, somit sogenannter „junger Erwachsener" im Sinn des § 46a JGG.
Gemäß § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG ist aber in Strafverfahren gegen junge Erwachsene § 427 StPO nicht anzuwenden. Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Freistadt und die Fällung des Urteils vom 5. April 2004 (ON 5 und 6) in Abwesenheit des Angeklagten waren daher nicht zulässig; das Abwesenheitsurteil ist gemäß § 32 Abs 1 JGG (hier aus der Z 3 des § 468 Abs 1 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO) nichtig (13 Os 138/02, 14 Os 105/06g; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 193 und 243, Schroll in WK2 § 32 JGG Rz 4 und § 46a JGG Rz 6).
§ 494a Abs 3 StPO normiert, dass das Gericht vor einer Entscheidung gemäß Abs 1 leg cit Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung, zumindest aber - wenn dies eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung darzustellen vermag - in eine Abschrift des früheren Urteils zu nehmen hat. Die unabdingbare Einsichtnahme in die Vorstrafakten des Landesgerichtes Linz, zumindest aber in eine Abschrift des früheren Urteils ist gegenständlich unterblieben, weshalb die solcherart nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO erfolgte Beschlussfassung § 494a Abs 3 StPO verletzt.
Da nicht auszuschließen ist, dass sich die Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt haben, waren das Urteil und der Beschluss auf Verlängerung der Probezeit aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 292 letzter Satz StPO).
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