JudikaturOGH

12Os108/06h – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hinterleitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Stefanie B***** und Andreas M***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Andreas M***** sowie die Berufung der Angeklagten Stefanie B***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 21. Juni 2006, GZ 35 Hv 48/06p-122, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten M***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Stefanie B***** und Andreas M***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB, Stefanie B***** als Beitragstäterin nach § 12 dritter Fall StGB, sowie des Vergehens des (richtig:) Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben in Tanneben

I. Stefanie B***** und Andreas M***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter von Anfang April bis 6. Mai 2005 dem am 22. Februar 2005 geborenen Florian B*****, der ihrer Fürsorge und Obhut unterstand und der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, wiederholt körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem sie ihm Schläge mit der flachen Hand und auch massive Faustschläge gegen Gesicht, Kopf und Körper versetzten und wiederholt einen Polster auf sein Gesicht legten, wodurch er mehrfache ausgedehnte Schädelbrüche, teilweise verbunden mit Verschiebung von Schädelknochen nach innen, ausgedehnte Einblutungen in die Knochenhaut, massive traumatische Hirnblutungen, Sprengung der Knochennaht und (indirekt) streifige Einblutungen im Außenbereich der linken Herzkammer, eine Rippenserienfraktur von der fünften bis zur achten Rippe rechts neben der Wirbelsäule mit Lungenquetschungen und Lungeneinblutungen sowie eine geringgradige Einblutung in das Unterhautfettgewebe an der Innenseite des rechten Oberschenkels und eine Einblutung im Übergangsbereich von der Kreuzbeinregion zur Gesäßbacke links erlitt, sowie indem sie ihn einmal am linken Oberschenkel erfassten und die restliche Extremität verdrehten, wodurch er einen Bruch im Bereich der körperfernen Wachstumsfuge des linken Oberschenkels erlitt;

II. Andreas M***** in der Zeit von Ende April bis 6. Mai 2005 dem am 22. Februar 2005 geborenen Florian B***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem er ihm wiederholt massive Faustschläge gegen seinen Kopf und Körper versetzte, wodurch er mehrfache ausgedehnte Schädelbrüche, teilweise verbunden mit Verschiebung von Schädelknochen nach innen, ausgedehnte Einblutungen in die Kopfschwarte und deren Quetschung, Einblutungen in die Kopfhaut, massive traumatische Hirnblutungen, Sprengung der Knochennaht und (indirekt) streifige Einblutungen im Ausflussbereich der linken Herzkammer erlitt, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte;

III. Stefanie B***** von Ende April bis 6. Mai 2005 zu der unter II geschilderten Tat Andreas M*****s dadurch beigetragen, dass sie es vorsätzlich unterließ, gegen diese Tätlichkeiten einzuschreiten und Hilfe herbeizuholen.

Rechtliche Beurteilung

Den ihn betreffenden Schuldspruch bekämpft Andreas M***** mit einer auf § 345 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; diese ist nicht im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich gegen die trotz eines dagegen gerichteten Antrags des Verteidigers erfolgte Verlesung der Aussage des Angeklagten Andreas M***** vor der Polizei vom 11. Mai 2005. Ihm sei im Zuge einer Vernehmung als Auskunftsperson unrichtigerweise vorgehalten worden, die Angeklagte Stefanie B***** habe ihn in ihrer Aussage belastet, worauf er ein (unrichtiges) Geständnis abgelegt habe. Diese Vorgangsweise verstoße gegen Art 6 MRK. Weiters sei er als Auskunftsperson nicht über seine wesentlichen Rechte belehrt worden.

Der Angeklagte Andreas M***** wurde am 11. Mai 2005 von Beamten der (damaligen) Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol zunächst als Auskunftsperson vernommen. Dabei wurde ihm folgender Vorhalt gemacht: „Herr M*****, ihre Freundin Stefanie B***** gibt Angaben zu Protokoll, die den Verdacht zulassen, dass Gewalteinwirkungen ihrerseits dazu geführt haben, dass es zu einem derart tragischen Zwischenfall gekommen ist. Aus dem Ergebnis der Obduktion ist abzuleiten, dass Florian B***** durch massive Gewalteinwirkung verstorben ist. Aufgrund der Aussage ihrer Freundin erhebt sich der Verdacht, dass sie für den Tod verantwortlich zeichnen. Sie werden belehrt, dass sie berechtigt sind, einen Angehörigen oder eine andere Vertrauensperson und einen Rechtsbeistand zu verständigen bzw zur Einvernahme beizuziehen, sowie die Aussage zu verweigern. Ich wurde weiters darauf aufmerksam gemacht, dass meine Aussage meiner Verteidigung dient, aber auch als Beweis gegen mich Verwendung finden kann." Nach einer weiteren Belehrung über sein Entschlagungsrecht erklärte sich Andreas M***** dessen ungeachtet zur Aussage bereit und legte ein Geständnis ab. Richtig ist zwar das Beschwerdevorbringen, dass zum Zeitpunkt des zitierten Vorhaltes Stefanie B***** ihren Freund Andreas M***** nicht belastet hatte. Sie hatte jedoch zu Protokoll gegeben, dass sie selbst ihren Sohn nie geschlagen habe (S 97/I). Aus dieser leugnenden Verantwortung war aber für die erhebenden Beamten tatsächlich der Schluss zulässig, dass der bei der Kindesmutter wohnende Andreas M***** als Verdächtiger in Frage komme. „Belastende Angaben" werden im Vorhalt nicht erwähnt. Daher handelte es sich um keinen falschen Vorhalt.

Da Andreas M***** bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung von seinen Angaben vor Gendarmeriebeamten am 11. Mai 2005 abwich, wurden ihm diese der Bestimmung des § 245 Abs 1 StPO entsprechend vorgehalten (S 85 ff/IV) und schließlich zutreffend gemäß § 252 Abs 1 Z 2 StPO verlesen (S 177/IV).

Ein Verstoß gegen Art 6 MRK oder sonstige die Verteidigung sichernde Vorschriften liegt nicht vor, weil der Angeklagte und sein Verteidiger während der Hauptverhandlung jederzeit Gelegenheit hatten, das Zustandekommen des Protokolls vor den Sicherheitsbehörden zu erörtern, hiezu (auch an die vernehmenden Beamten) Fragen zu stellen sowie sachdienliche Anträge einzubringen. Eine diesbezügliche Behinderung wird nicht einmal behauptet.

Dass Andreas M***** von den Gendarmeriebeamten über seine Rechte belehrt wurde, ergibt sich nicht nur aus dem von ihm unterfertigten Protokoll, sondern auch aus seiner Aussage in der Hauptverhandlung (vgl S 103/IV).

Die Abweisung des Antrags, die Verlesung der Niederschrift vom 11. Mai 2005 zu unterlassen, erfolgte daher zu Recht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit als unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufung der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig ist (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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