5Ob222/06t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller
1) Katharina R*****, 2) Waltraud F*****, beide vertreten durch Dr. Josef Olischar und Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin Stadt Wien, Rathaus, 1082 Wien, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen Enteignungsentschädigung (EUR 129.886,70), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Juli 2006, GZ 44 R 420/06z-9, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Liesing vom 25. Mai 2006, GZ 1 Nc 162/05v-5, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichtes wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Kosten des rekursgerichtlichen Verfahrens.
Text
Begründung:
Die Antragsteller sind je zur Hälfte Eigentümer der EZ *****, Grundbuch M*****. Mit Bescheid vom 22. 8. 2000 ordnete die Wiener Landesregierung die Enteignung von Teilflächen dieser Liegenschaft für den straßenmäßigen Ausbau der Speisingerstraße an und bestimmte die Höhe der Entschädigung für die Enteignung mit EUR 27.746,49. Punkt III des Bescheides ordnete folgende bauliche Maßnahmen an dem von der Enteignung betroffenen Gebäude an: Abtragung des gesamten Gassentraktes bis zur Abschlussmauer des Flügeltraktes, Schließung und Verputzung der Seitenschaufläche, Errichtung eines einfachen Einfriedungszaunes unter Beibehaltung des Einfahrtstores, Verlegung der Strom-, Gas-, Wasser- und Kanalanschlüsse. Für diese baulichen Veränderungen wurde in Punkt IV eine vorläufige Entschädigungssumme von EUR 129.886,70 festgelegt. Der erste Teilbetrag war gleichzeitig mit der Entschädigung für die Enteignung fällig, der zweite Teilbetrag nach Maßgabe des Baufortschrittes der Abtragung und der angeordneten baulichen Änderungen nach Freimachung der enteignungsgegenständlichen Grundflächen.
Nachdem die Baubehörde wegen des schlechten allgemeinen Bauzustandes des auf der Liegenschaft befindlichen Gebäudes am 27. 1. 2004 einen Bauauftrag erteilt hatte, ließen die Liegenschaftseigentümer nicht die bescheidmäßig angeordneten baulichen Maßnahmen nach Abtragung des von der Enteignung betroffenen Gebäudeteiles vornehmen, sondern veranlassten den gänzlichen Abbruch der Baulichkeiten. Der im gerichtlichen Verfahren von den Antragstellern angefochtene Bescheid vom 6. 9. 2005 setzte die endgültigen Kosten für die angeordneten und nur teilweise durchgeführten Baumaßnahmen mit EUR 106.348,13 fest und ordnete die Zahlung des restlichen Betrages von EUR 41.404,48 an.
Die Antragsteller begehren die Festsetzung der Entschädigung mit insgesamt EUR 129.886,70 und die Bezahlung des aushaftenden Teiles der Entschädigung von EUR 23.538,57 sA. Maßgebend für die Höhe der Entschädigungszahlung seien die im Enteignungszeitpunkt zur Erreichung des Enteignungszweckes zumindest erforderlichen Baumaßnahmen, während die nachträgliche Entscheidung für den gänzlichen Abbruch der Baulichkeiten auf die Höhe der Enteignungsentschädigung keinen Einfluss haben könne. Die Enteignungsgegner hätten sich zwar die Kosten des baulichen Abschlusses des verbleibenden Gebäudeteiles erspart, dafür aber wesentlich höhere Kosten des Neubaues zu tragen und zu finanzieren. Hingegen steht die Antragsgegnerin, welche die Zurückweisung des Antrages wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges, hilfsweise dessen Abweisung beantragt, auf dem Standpunkt, die endgültige Entscheidung richte sich ausschließlich nach den tatsächlich angefallenen Kosten. Das Erstgericht folgte der Argumentation der Antragsgegnerin und wies den Antrag ab.
Das Rekursgericht verneinte die sukzessive Kompetenz der Gerichte und wies - im Rahmen einer Maßgabenbestätigung - den Antrag zurück. Das von den Antragstellern erhobene Begehren auf Ersatz der Kosten für nicht durchgeführte bauliche Maßnahmen betreffe nicht die in § 44 Abs 6 der Wiener Bauordnung genannte Höhe der Entscheidung, sondern den Grund des Anspruches. Insoweit wäre der Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof zu bekämpfen.
Die Antragsteller bekämpfen in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs diesen Beschluss mit dem Abänderungsantrag, ihrem Antrag stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Antragsgegnerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die sukzessive Kompetenz der Gerichte zu Unrecht verneint hat; er ist im Sinn der Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung auch berechtigt.
Die - hier unstrittig anzuwendende - Wiener Bauordnung lässt in § 38 Abs 1 Satz 2 die Enteignung nur gegen Entschädigung zu und verweist in § 44 Abs 1 auf die sinngemäße Anwendung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG). Da der Antrag auf Enteignung vor dem 1. 1. 2005 bei der Behörde eingelangt ist, wären gemäß § 48 Abs 3 letzter Satz EisbEG nF noch die bisher geltenden Vorschriften maßgeblich. Nach den §§ 24 Abs 1 und 30 Abs 3 bis 5 EisbEG aF gelten für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes die Bestimmungen des AußStrG (RIS-Justiz RS0103731; RS0084804; RS0084799). Das Datum der erstinstanzlichen Entscheidung liegt nach dem 31. 12. 2004, weshalb auf das Rechtsmittelverfahren die Bestimmungen des AußStrG in der seit 1. 1. 2005 geltenden Fassung anzuwenden sind (§ 203 Abs 7 AußStrG nF). Begehrt wird die Festsetzung der Enteignungsentschädigung mit EUR 129.886,70 und die Leistung des aushaftenden Betrages von EUR 23.538,57 sA, weshalb ein EUR 20.000 übersteigender Entscheidungsgegenstand vorliegt und ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden kann. Die Behörde hat nach § 38 Abs 6 der Wiener Bauordnung auf Antrag des Enteignungswerbers oder des Eigentümers der betroffenen Liegenschaft bzw des Eigentümers der darauf befindlichen Gebäude und baulichen Anlagen (Superädifikate) deren Änderung anzuordnen, wenn der Weiterbestand von Gebäudeteilen auf den Restflächen durch bauliche Maßnahmen (Umbau oder bauliche Änderungen) nach den Vorschriften dieses Gesetzes zulässig ist und die hiefür notwendigen Aufwendungen wirtschaftlich vertretbar sind.
Abs 8 leg. cit. verpflichtet die Behörde, die Kosten dieser baulichen Maßnahmen zu ermitteln und mit der Entschädigung vorläufig zu bestimmen. Nach Durchführung der aufgetragenen Baumaßnahmen hat die Behörde auf Antrag des Eigentümers der Liegenschaft bzw des Gebäudes oder der baulichen Anlage oder auf Antrag des Enteignungswerbers die endgültigen Kosten festzustellen und die entsprechenden Ausgleichszahlungen anzuordnen. Satz 3 der zitierten Bestimmung verweist auf die sinngemäße Geltung des § 44 Abs 6, der es jeder Partei des Enteignungsverfahrens freistellt, binnen drei Monaten ab Zustellung des Enteignungsbescheides die Entscheidung der ordentlichen Gerichte im außerstreitigen Verfahren über die Höhe der Entschädigung zu begehren, wodurch die Entscheidung über die Entschädigung außer Kraft tritt.
Den Revisionsrekurswerbern ist einzuräumen, dass entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes nach dem eindeutigen Gesetzestext des § 38 Abs 8 letzter Satz iVm § 44 Abs 6 der Wiener Bauordnung hier ein klarer Fall der sukzessiven Kompetenz der ordentlichen Gerichte vorliegt. Bekämpft wird jener nach § 38 Abs 8 der Wiener Bauordnung ergangene Bescheid, der nach Festsetzung der endgültigen Kosten die entsprechenden Ausgleichszahlungen anordnet, und zwar mit dem Ziel, eine höhere Entschädigungssumme und eine höhere restliche Ausgleichszahlung zu erhalten. Dieser Antrag betrifft somit eindeutig die Höhe der Entschädigung, deren Bekämpfung im Verwaltungsverfahren nicht zulässig ist (vgl VwGH vom 2. 12. 1997, 97/05/0253). Das Rekursgericht hat zu Unrecht einen Zurückweisungsgrund angenommen und dabei die inhaltliche Berechtigung des Antrages nicht geprüft, weshalb die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die zweite Instanz zurückzuverweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf den - hier aufgrund der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nach dem 31. 12. 2004 (§ 203 Abs 9 AußStrG) anzuwendenden - § 78 AußStrG.