JudikaturOGH

8ObA8/06v – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Mai 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der D***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Prof. Haslinger Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. November 2005, GZ 12 Ra 70/05h-9, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Mai 2005, GZ 8 Cga 42/05x-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Nach § 9 I Z 5 des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe in der seit 1. 5. 2004 geltenden Fassung (in der Folge: KV) besteht ein Anspruch auf Taggeld in der Höhe von EUR 26,40 je gearbeitetem Tag bei einer Erbringung von Arbeitsleistungen auf Baustellen im Auftrag des Arbeitgebers außerhalb des Wohnorts gemäß Z 3 des § 9 I des KV, bei denen eine auswärtige Übernachtung erforderlich ist und der Arbeitgeber den Auftrag dazu erteilt hat. Die Übernachtung ist jedenfalls erforderlich und der Auftrag dazu gilt als erteilt, wenn die Wegstrecke zwischen Baustelle und Wohnort gemäß Z 3 des § 9 I des KV mindestens 100 km beträgt.

Nach § 9 I Z 6 des KV besteht weiters dann ein Anspruch auf Taggeld in der Höhe von EUR 26,40, wenn Arbeitnehmer am ständig ortsfesten Betrieb, für den sie aufgenommen wurden, Arbeitsleistungen erbringen, sofern ihr Wohnort gemäß Z 3 des § 9 I des KV mindestens 100 km vom ständig ortsfesten Betrieb entfernt sind.

Nach § 9 I Z 3 lit b des KV ist „Wohnort" das Gemeindegebiet des Ortes, in dem der Arbeitnehmer seinen Hauptwohnsitz in Österreich bzw in gleichgestellten Grenzbezirken hat.

§ 9 I Z 3 lit c des KV hat folgenden Wortlaut:

„Der Nachweis des Hauptwohnsitzes, an dem der Arbeitnehmer seinen tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen hat, erfolgt durch Vorlage einer amtlichen Bestätigung durch den Arbeitnehmer. Eine Änderung dieses Hauptwohnsitzes ist dem Arbeitgeber unverzüglich bekannt zu geben. Erfolgt kein Nachweis durch den Arbeitnehmer oder besteht kein Hauptwohnsitz in Österreich oder in einem Grenzbezirk, so gilt der Erstaufnahmeort beim jeweiligen Arbeitgeber in Österreich als Anknüpfungspunkt."

Der klagende Betriebsrat begehrt die Feststellung, dass jene Arbeitnehmer, die in Wien oder in Kärnten eine Mietwohnung besitzen und in den „langen Wochen" regelmäßig dort leben, Anspruch auf ein Taggeld von EUR 26,40 täglich haben.

Die vom Verfahren betroffenen Arbeitnehmer - sämtlich bosnische Staatsbürger - verrichten immer mehr als 100 km entfernt von ihren Wohnorten in Wien und in Kärnten ihre Arbeit. Sie haben der Beklagten amtliche Meldezettel übergeben, in denen diese Wohnorte als Hauptwohnsitz ausgewiesen sind. Während der Woche bewohnen sie Firmenquartiere, am Ende einer „kurzen Woche" (Montag bis Donnerstag) fahren sie in ihre Heimat nach Bosnien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten durch die Vorlage der Meldebestätigung nachgewiesen, dass ihre Wohnungen in Wien bzw Kärnten als ihre Hauptwohnsitze anzusehen seien. Die Richtigkeit dieser Bestätigungen sei nach dem Willen der Kollektivvertragsparteien, die sich erkennbar dem Verwaltungsverfahren nach dem MeldeG unterworfen hätten, nicht zu prüfen. Eine solche Überprüfung könne nur im Zuge eines verwaltungsrechtlichen Reklamationsverfahrens erfolgen. Das Berfungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass § 9 I Z 3 lit b des KV den Anspruch auf Taggeld von der Vorlage einer Meldebestätigung abhängig mache. Daraus könne aber nicht abgeleitet werden, dass eine derartige Bestätigung unwiderlegbar sein solle. Dass sich die Kollektivvertragspartner dem Verwaltungsverfahren hätten unterwerfen wollen, in dem der Arbeitgeber keine Parteistellung habe, sei dem Wortlaut des KV nicht zu entnehmen. Der gegenteilige Standpunkt würde bedeuten, dass auch Arbeitnehmern, die nur zum Schein einen über 100 km vom Arbeitsort entfernten Hauptwohnsitz anmelden, ein Anspruch auf erhöhtes Taggeld zustehe. Es sei daher davon auszugehen, dass der KV auf das materielle Vorliegen eines Hauptwohnsitzes iSd MeldeG abstelle. Der durch die Vorlage einer Meldebestätigung erbrachte Nachweis eines solchen Hauptwohnsitzes sei an Hand der Kriterien des § 1 Abs 8 MeldeG widerlegbar.

Der materielle Hauptwohnsitz der Arbeitnehmer sei hier in Bosnien anzunehmen, wo sie den Großteil ihrer Freizeit verbrächten und wo sich ihre Familien aufhielten. Es stehe ihnen daher kein erhöhtes Taggeld zu.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des klagenden Betriebsrates ist nicht berechtigt.

Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der angefochtenen Entscheidung der zweiten Instanz zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen wie folgt entgegenzutreten:

Dass das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zur Vorgängerbestimmung des KV abweiche, trifft nicht zu:

In der dazu zitierten Entscheidung 8 ObA 289/94 hatte der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung vertreten, dass der (damals zu erbringende) Beweis des Familienwohnsitzes vom Arbeitnehmer nur durch Vorlage einer polizeilichen Wohnsitzbestätigung erbracht werden konnte. Zur Frage der Widerlegbarkeit dieses Beweise nahm der Oberste Gerichtshof jedoch nicht Stellung.

Auch die nunmehr geltende Bestimmung macht den in Rede stehenden Anspruch von der Vorlage einer amtlichen Meldebestätigung abhängig. Mit dieser Vorlage hat der Arbeitnehmer - insoweit ist dem Revisionswerber beizupflichten - den ihm obliegenden Nachweis erbracht.

Dies bedeutet aber keineswegs, dass dieser Nachweis unwiderlegbar sein soll. Ein derartiges Ergebnis - das auf eine Abkoppelung des Anspruchs auf erhöhtes Taggeld von den eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen hinauslaufen würde - ist dem Wortlaut des KV nicht zu entnehmen. Das bedeutet keineswegs, dass § 9 I Z 3 lit c des KV bedeutungslos ist. Vielmehr folgt aus dieser Bestimmung, dass der Arbeitnehmer mit der Vorlage der Meldebestätigung den ihm obliegenden Nachweis erbracht hat und dass der Arbeitgeber, der sich mit diesem Nachweis nicht zufrieden geben will, nun seinerseits beweisen muss, dass der vom Arbeitnehmer angegebene Wohnsitz nicht der Hauptwohnsitz iSd von den Kollektivvertragsparteien erkennbar übernommenen Begriffsbestimmungen des MeldeG ist.

Dass nach diesen Kriterien die Wohnungen der betroffenen Arbeitnehmer in Wien und Kärnten nicht als Hauptwohnsitz anzusehen sind, wird in der Revision nicht schlüssig bestritten. Stattdessen wird geltend gemacht, dass das Abstellen auf den im üblichen Sinn ausgelegten Begriff des Hauptwohnsitzes in Österreich oder in dem Inland gleichgestellten Grenzbezirken bei Ausländern zu einem Verstoß gegen den „verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz" bzw zu einer mittelbaren Diskriminierung „von EU-Bürgern" führen würde. Dabei handelt es sich aber um einen rechtlichen Aspekt, der nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, sondern - unter Verstoß gegen das Neuerungsverbot - erstmals im Berufungsverfahren vorgebracht wurde. Auf diesen Einwand ist daher das Berufungsgericht zu Recht nicht eingegangen.

Kosten wurden nicht verzeichnet.

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