4Nc14/06f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Sarah-Magdalena, Lisa-Maria, Anna-Katharina, Theresa-Franziska, Fabienne-Emanuela und David-Emanuel R*****, auf Grund der Vorlage des Aktes 2 P 115/04f des Bezirksgerichts Bad Radkersburg zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichtes Bad Radkersburg vom 17. 2. 2006, GZ 2 P 115/04f-146, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache der mj Anna-Katharina R*****, geboren am 7. 9. 1995, der mj Theresa-Franziska R*****, geboren am 23. 10. 1996 und des mj David-Emanuel R*****, geboren am 30. 1. 2002, an das Bezirksgericht Bludenz wird nicht genehmigt. Die Pflegschaftssache ist weiter vom Bezirksgericht Bad Radkersburg zu führen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Pflegschaftssache der Minderjährigen Sarah-Magdalena, Lisa-Maria, Anna-Katharina, Theresa-Franziska, Fabienne-Emanuela und David-Emanuel R***** wird seit 1996 beim Bezirksgericht Bad Radkersburg geführt, dies ungeachtet der Tatsache, dass einige der Kinder (wechselnd) bei der Kindesmutter in Vorarlberg leben. Am 30. 12. 2005 hielt das Bezirksgericht Bad Radkersburg fest, dass sich nach übereinstimmender Angabe der Bezirkshauptmannschaft Radkersburg und des Kindesvaters die Kinder Anna-Katharina, Theresa-Franziska und David-Emanuel (nunmehr) ständig bei der Kindesmutter in Vorarlberg aufhalten, während die drei anderen Kinder ständig beim Kindesvater in der Steiermark wohnen.
Bezüglich der mj Sarah-Magdalena und Lisa-Maria ist die Obsorge bereits rechtskräftig den Eltern entzogen und der Bezirkshauptmannschaft Radkersburg als Jugendwohlfahrtsträger übertragen worden (Beschluss des Bezirksgerichts Bad Radkersburg vom 30. Mai 2005). Für die weiteren vier Kinder ist das Obsorgeverfahren anhängig. Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 1. 12. 2005, GZ 1 R 256/05g-141, wurde die vorläufige Entziehung der Obsorge im Teilbereich der Pflege und Erziehung und Übertragung an den Jugendwohlfahrtsträger aufgehoben und dem Bezirksgericht Bad Radkersburg die Fortsetzung des Obsorgeverfahrens (im Sinn eines bereits am 16. 8. 2005 ergangenen Aufhebungsbeschlusses, GZ 1 R 182/05z-119) und die endgültige Obsorgeentscheidung aufgetragen.
Mit Beschluss vom 17. 2. 2006 übertrug das Bezirksgericht Bad Radkersburg die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache der mj Anna-Katharina, Theresa-Franziska und David-Emanuel gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Bludenz. Zur Begründung verwies es auf den ständigen Aufenthalt dieser Kinder bei der Kindesmutter in Vorarlberg.
Das Bezirksgericht Bludenz verweigerte die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens (ungeachtet des bloß drei Kinder betreffenden Übertragungsbeschlusses für alle sechs Kinder) mit dem Hinweis darauf, dass das Obsorgeverfahren weit fortgeschritten sei und - nach Einholung des vom Rekursgericht aufgetragenen Ergänzungsgutachtens - das Stadium der Entscheidungsreife erlangt habe. Die Führung des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Bludenz sei nicht zweckmäßiger als vor dem Bezirksgericht Bad Radkersburg.
Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.
Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nur unter dieser Voraussetzung kann der Grundsatz durchbrochen werden, wonach jedes Gericht in Rechtssachen, die rechtmäßigerweise bei ihm anhängig gemacht wurden, bis zur deren Beendigung zuständig bleibt, wenn sich auch die Umstände, die bei Einleitung des Verfahrens für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebend waren, während des Verfahrens geändert haben (§ 29 JN). Als Ausnahmebestimmung ist § 111 JN grundsätzlich einschränkend auszulegen (Mayr in Rechberger, ZPO2, § 111 JN Rz 1 mwN; Fucik in Fasching-Konecny2, § 111 JN Rz 2 mwN). Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht setzt daher voraus, dass dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Dies trifft dann zu, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird (RIS-Justiz RS0046929).
Offene Anträge hindern eine Zuständigkeitsübertragung grundsätzlich nicht (Fucik aaO Rz 3 mwN; Mayr aaO Rz 4 mwN). Die Übertragung liegt jedoch nicht im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen anzusehen, wenn - wie hier - das bislang das Verfahren führende Gericht bereits wesentliche Ermittlungen gepflogen und damit eingehende Tatsachenkenntnis erworben hat, sodass es mit den Problemen der zu beurteilenden Anträge vertraut geworden ist (s Fucik aaO mwN). Im vorliegenden Fall steht darüber hinaus noch keineswegs fest, dass die nunmehr von der Mutter betreuten Kinder weiter in ihrer Obsorge und damit auch im Sprengel des Gerichts, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll, verbleiben werden, leben doch Geschwister nach wie vor im Sprengel des Bezirksgerichts Bad Radkersburg. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand ist offen, ob nicht im Interesse eines gemeinsamen Lebens der Geschwister deren gemeinsame und von den Eltern getrennte Unterbringung im Sprengel des Bezirksgerichts Bad Radkersburg - wie von der Sachverständigen empfohlen - vorzusehen sein wird. Die „Aufspaltung" des Pflegschaftsverfahrens vor endgültiger Klärung der Obsorge erhöht die Gefahr, dass bei der Entscheidung die gemeinsamen Interessen aller Kinder nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Die Zuständigkeitsübertragung war daher nicht zu genehmigen.