8ObS1/06i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und ADir. Reg.Rat. Winfried Kmenta als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hilde S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Mag. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 19.370 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. November 2005, GZ 8 Rs 70/05h-11, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Jänner 2005, GZ 21 Cgs 288/04g-7, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin 531,90 EUR (darin enthalten 88,65 EUR USt) an anteiligen Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bis 31. 8. 1983 zunächst bei einer AG und dann bei einer GmbH (Tochtergesellschaft der AG) als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Vom 10. 9. 1983 bis 31. 1. 1984 war die Klägerin arbeitslos. Seit 1. 2. 1984 ist sie in Pension. Bereits mit ihrem Eintritt in die AG wurde ihr eine mündliche Pensionszusage unter der Voraussetzung der Zurücklegung einer ununterbrochenen Angestelltendienstzeit von 15 Jahren bei der AG erteilt. Die zustehende Versorgungsleistung war als Zuschuss zur gesetzlichen Pensionsleistung nach dem ASVG gestaltet. Der Anspruch entstand mit Zuerkennung der gesetzlichen Pension und sollte mit Einstellung der Leistung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung erlöschen. Die Höhe des Pensionszuschusses war mit 35 % des letzten, auf der Basis der Normalarbeitszeit ermittelten Bruttoaktivbezuges bestimmt. Steuern und Abgaben hatte die Klägerin selbst zu tragen. Die GmbH übernahm die Pensionszusage der AG mit Schreiben vom 4. 10. 1979 unter Anrechnung der Vordienstzeiten.
Im Dezember 1982 bezog die Klägerin ein Bruttomonatsgehalt von 14.308,68 S (1.039,85 EUR). Bei Beendigung des Dienstverhältnisses trat der Geschäftsführer der GmbH an die Klägerin heran und teilte ihr mit, dass die GmbH nicht in der Lage sei, der Klägerin den Pensionszuschuss in der zugesagten Höhe auszuzahlen, sondern nur einen (nicht näher genannten) geringeren Betrag. In der Folge erhielt die Klägerin rund 3.640 S brutto (264,75 EUR brutto) 14 x jährlich ausgezahlt. Die letzte Auszahlung erfolgte mit November 2003. Mit Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 5. 2. 2004 wurde über das Vermögen der GmbH der Konkurs eröffnet.
Die Beklagte erkannte der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von
2.813 EUR (12 mal Nettopension) zu. Den darüber hinausgehenden Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid ab.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von 19.370 EUR an Insolvenz-Ausfallgeld. § 3d IESG, auf den die Beklagte ihren Zuspruch von nur 12 Monatspensionsbeträgen und die Abweisung des Mehrbegehrens gestützt habe, sei richtlinienwidrig. Die Klägerin stehe vielmehr der Barwert der versicherungsmathematisch berechneten Pensionsansprüche zu.
Die Beklagte wendet ein, dass der Anspruch der Klägerin deshalb ausschließlich nach § 3d IESG zu beurteilen sei, weil Art 8 der InsolvenzRL für eine unmittelbare Anwendung nicht ausreichend konkretisiert sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Selbst bei Annahme einer nicht ausreichenden nationalen Umsetzung der InsolvenzRL sei diese nicht ausreichend determiniert. Eine unmittelbare Anwendung der RL scheide aus.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung in der Hauptsache nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung dazu fehle, ob Art 8 der InsolvenzRL durch § 3d IESG ordnungsgemäß umgesetzt sei und ob Art 8 der InsolvenzRL unmittelbar anwendbar sei.
Inhaltlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, dass Voraussetzung für eine unmittelbare Wirksamkeit des Art 8 der InsolvenzRL wäre, dass Art 8 der InsolvenzRL für eine individuelle Anwendung zureichend bestimmt sei und den Mitgliedsstaaten keinen besonderen Ermessensspielraum gewähre. Der den Mitgliedsstaaten durch Art 8 der InsolvenzRL eingeräumte Ermessensspielraum sei jedoch derart weit gefasst, dass daraus das von der Klägerin gewünschte Ergebnis, nämlich der Zuspruch einer versicherungsmathematisch errechneten Abgeltung des gesamten Pensionszuschusses, nicht abgeleitet werden könne.
Die von der Klägerin angestrebte „richtlinienkonforme Interpretation" des § 3d Abs 2 IESG scheitere wegen des klaren gegenteiligen Wortlautes.
Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Im Revisionsverfahren geht die Klägerin davon aus, dass der Tatbestand des § 3d Abs 2 IESG verwirklicht sei. Danach gebührt als Insolvenz-Ausfallgeld für nach dem Stichtag gebührende Leistungen ausschließlich eine einmalige Zahlung von 12 Monatsbeträgen, wenn am Stichtag Anspruch auf Leistung einer Pension aus einer Leistungszusage besteht, die - wie hier - nicht dem BPG unterliegt. Ebenso unstrittig ist, dass die Beklagte diese sich aus § 3d Abs 2 IESG gebührende Leistung bereits zuerkannte.
In der Revision hält die Klägerin allerdings an ihrem bereits in erster Instanz vertretenen Standpunkt fest, dass § 3d Abs 2 IESG dem Art 8 der InsolvenzRL widerspreche.
Der erkennende Senat hat in der Entscheidung 8 ObS 29/05f vom 23. 2. 2006, auf die verwiesen wird, ausführlich zu den auch hier relevanten Fragen Stellung bezogen und ist zum Ergebnis gelangt, dass die in Art 8 der InsolvenzRL angesprochenen „notwendigen Maßnahmen" den Mitgliedsstaaten einen relativ weiten Spielraum der Umsetzung überlassen. „Notwendige Maßnahmen" werden, abhängig von der sozialen Notwendigkeit, betriebliche Ruhegeldansprüche zu sichern, von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat verschieden sein. Daraus ergibt sich, dass unabhängig von der Frage der Richtlinienkonformität des § 3d IESG, die daher auch nicht abschließend zu behandeln ist, eine ausreichende Bestimmtheit des Art 8 InsolvenzRL als Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung zu verneinen ist. Diese Grundsätze gelten auch für den hier zu beurteilenden Fall. Schon aus diesem Grund war der Revision ein Erfolg zu versagen.
Der in der Revision angesprochene Staatshaftungsanspruch ist - wie die Revisionswerberin selbst erkennt - nicht Gegenstand des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG:
Hängt - wie hier - die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab, so entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (RIS-Justiz RS0085871; 8 Ob 20/98v). Die Klägerin hat einen Kostenzuspruch nach Billigkeit beantragt.