1Ob23/06y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land Tirol, Innsbruck, Eduard Wallnöfer-Platz 1, vertreten durch Dr. Heinz Knoflach, Dr. Eckart Söllner, Dr. Erik R. Kroker und Dr. Simon Tonini, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 140.901,40 sA und Feststellung (Streitwert EUR 10.000,--), infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2005, GZ 2 R 225/05p-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. Juni 2005, GZ 11 Cg 186/04g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.064,13 (darin EUR 344,02 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Landesregierung der beklagten Partei beschloss im Jahr 1977 im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des Landes die Schaffung eines Pistengütesiegels, das den Betreibern von Schigebieten, in denen detailliert geregelte Qualitätskriterien eingehalten werden, über deren Antrag verliehen werden kann. Die Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Gütesiegels erfolgt auf Grund eines Ansuchens des Pistenerhalters oder des betreibenden Unternehmers. Die Verleihung des Gütesiegels berechtigt das Unternehmen bzw den Pistenerhalter zur Verwendung des Emblems im Schriftverkehr und im Rahmen der Tourismuswerbung. Einem bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten Schigebietbetreiber wurde das Pistengütesiegel über dessen Antrag verliehen. Nach einer Kontrolle des Schigebiets im Februar 1994 wurde die Zuerkennung des Pistengütesiegels um weitere drei Jahre (bis 15. 7. 1997) verlängert. Am 11. 3. 1997 erlitt eine Schifahrerin im betreffenden Schigebiet dadurch einen schweren Unfall, dass sie nach einem Sturz über den an eine nur wenige Meter breiten Schiweg grenzenden ungesicherten Pistenrand über eine steile Böschung stürzte und erst nach 50 Metern zum Stillstand kam. In einem zwischen der verletzten Schifahrerin und dem Pistenbetreiber geführten Verfahren, an dem sich die hier beklagte Partei als Nebenintervenientin beteiligt hatte, wurde rechtskräftig die Haftung des Pistenbetreibers für die Unfallsfolgen festgestellt.
Die klagende Partei begehrt nun die Zahlung von EUR 140.901,40 samt Zinsen sowie die Feststellung, die beklagte Partei habe ihr für alle aus dem Schiunfall in Zukunft entstehenden Schäden zu 50 % zu haften. Die klagende Partei habe als Haftpflichtversicherer Zahlungen an die Verletzte geleistet und Prozesskosten im Vorprozess getragen. Sie werde in Zukunft weitere Zahlungen an die Geschädigte zu leisten haben. Die „geleisteten Zahlungen" seien gemäß § 67 VersVG auf die klagende Partei als Haftpflichtversicherer übergegangen. Die beklagte Partei habe durch beigezogene Sachverständige das Schigebiet des Versicherungsnehmers kontrolliert und dabei festgestellt, dass sich alles in einem tadellosen Zustand befinde. Entgegen den vertraglichen Verpflichtungen habe sie es unterlassen, dem Versicherungsnehmer entsprechende Maßnahmen zur Absicherung der späteren Unfallstelle zu empfehlen bzw zur Erlangung des Pistengütesiegels zu fordern. Da sie dies unterlassen habe, habe die beklagte Partei für den der Verletzten entstandenen Schaden „aus vertraglich übernommenen Schutz- und Sorgfaltspflichten sowie im Sinne des § 1299 ABGB für ihre Gehilfen als Sachverständige" solidarisch mit ihrem Versicherungsnehmer zu haften; das Verschulden bzw die Haftung werde mit 50 % angenommen.
Die beklagte Partei wandte dagegen im Wesentlichen ein, bei der Verleihung des Pistengütesiegels handle es sich dem Wesen nach um eine Lizenzierung der Zeichenverwendung. Die Verpflichtung der beklagten Partei liege darin, die Verwendung des Zeichens zu gestatten, wogegen der Pistenhalter verpflichtet sei, die für die Vergabe aufgestellten Richtlinien einzuhalten. Aus den der Verleihung des Gütesiegels notwendigerweise vorangehenden Kontrollmaßnahmen könne keine Haftung der beklagten Partei konstruiert werden, zumal es gerade die Verpflichtung des Pistenhalters sei, für die Sicherheit auf den Schipisten zu sorgen. Die Beklagte sei keine vertragliche Verpflichtung zur Sicherung des Schigebietes oder zu einer Haftungsübernahme eingegangen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das von der beklagten Partei gewährte Tiroler Pistengütesiegel beinhalte keine Haftungsgrundlage für die Abwälzung von an den Pistenhalter herangetragenen Schadenersatzansprüchen Dritter. Gegenstand der Verleihung sei nur die für den Pistenhalter damit verbundene Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit als zum Führen des Gütesiegels berechtigt auszuweisen. Dass die Tauglichkeit des Schigebiets für die Zubilligung des Gütesiegels durch von der beklagten Partei beigezogene Sachverständige überprüft werden müsse, bedeute keineswegs, dass im Falle der Attestierung des Vorliegens der Voraussetzungen eine Haftungsüberwälzung auf das Land erfolge. Die Überprüfung des Schigebiets befreie den Pistenhalter nicht von seinen ihn aus dem jeweiligen Vertragsverhältnis zum einzelnen Schigebietsbenützer treffenden Verpflichtungen. Der Pistenhalter könne auch nicht auf Grund der Ausstellung des Gütesiegels - noch drei Jahre später - darauf vertrauen, dass alle Sicherheitsvorkehrungen in eine jegliche weitergehende Haftung ausschließenden Art und Weise eingehalten würden. Die Ausstellung des Pistengütesiegels sei rechtlich als eine Sonderform der Auslobung im Sinne des § 860 ABGB zu betrachten. Schon aus der Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung werde klar, dass eine Verantwortlichkeit der beklagten Partei als Ausstellerin des Gütesiegels nicht in Betracht komme.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Beim Tiroler Pistengütesiegel handle es sich um eine von der Landesregierung in Form einer Urkunde verliehene Auszeichnung für Schigebiete in Tirol, die über eine festgelegte Mindestausstattung verfügen und einen bestimmten Standard aufweisen. Der Zweck der Verleihung bestehe einerseits darin, einen Anreiz zur Qualitätssteigerung bzw Qualitätssicherung zu schaffen, andererseits darin, den Pistenhaltern die Möglichkeit zu eröffnen, ihr Schigebiet mit dieser Auszeichnung zu bewerben. Bei der Prüfung, ob das betroffene Schigebiet diese Mindestanforderungen erfüllt, entfalte die beklagte Partei keinerlei beratende Tätigkeit, sodass - unabhängig von der Unentgeltlichkeit dieser Überprüfung - eine Haftung nach § 1300 ABGB nicht in Frage komme. Am erhöhten Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB wäre die beklagte Partei nur dann zu messen, wenn sie dem Versicherungsnehmer der klagenden Partei gegenüber zu einer gutachterlichen oder beratenden Tätigkeit verpflichtet gewesen wäre, was jedoch gerade nicht der Fall gewesen sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob aus der Verleihung eines Pistengütesiegels Regressansprüche abgeleitet werden könnten, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine Piste einen sicherheitstechnischen Mangel aufgewiesen hat.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der klagenden Partei erweist sich - ungeachtet der dargelegten Erwägungen des Berufungsgerichts - als unzulässig, weil keine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage zu lösen ist.
Unstrittig ist, dass die Verleihung des Pistengütesiegels in den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung des beklagten Landes fällt, sodass über Antrag des Pistenhalters auf Verleihung des Gütesiegels eine nach allgemeinen privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilende Vereinbarung zustandegekommen ist. Die Frage, welche wechselseitigen Rechte und Pflichten sich aus dieser Vereinbarung ergeben, ist durch Auslegung der maßgeblichen Abreden, hier vor allem des Textes der von der beklagten Partei aufgelegten Broschüre über das Tiroler Pisten-Gütesiegel (Blg ./A bzw ./1), zu ermitteln. Fragen der Vertragsauslegung stellen regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0044358), sofern nicht infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936). Eine derartige erhebliche Fehlleistung ist dem Berufungsgericht bei Beurteilung der Frage, ob die beklagte Partei gegenüber dem Pistenhalter Überprüfungs-, Informations- oder Aufklärungspflichten zur Förderung dessen wirtschaftlicher Interessen übernommen hat, nicht unterlaufen.
Zutreffend hat das Berufungsgericht auf den primären Zweck der Verleihung des Pistengütesiegels hingewiesen, nämlich den Pistenbetreibern einen Anreiz zur Qualitätssteigerung bzw Qualitätssicherung zu verschaffen, womit diesen gleichzeitig die Möglichkeit geboten wird, ihr Schigebiet mit dieser Auszeichnung zu bewerben. Auch die von der beklagten Partei durch einschlägige Sachverständige durchgeführten Kontrollen vor der Verleihung des Pistengütesiegels bzw der Verlängerung der Zuerkennung haben ganz ersichtlich primär den Zweck, dem verleihenden Land die notwendigen Informationen über die Beschaffenheit des Schigebietes und die Erfüllung der in den allgemeinen Richtlinien vorgesehenen Standards zu verschaffen. Wenn das Berufungsgericht im Übrigen davon ausgegangen ist, die Verleihung des Pistengütesiegels ändere nichts daran, dass (weiterhin) allein der Pistenbetreiber für die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsstandards verantwortlich ist, so erscheint dies gerade im Hinblick auf die Unentgeltlichkeit der Tätigkeit der beklagten Partei und der klaren Zielrichtung der von ihr veranlassten Überprüfungsmaßnahmen unbedenklich. Auch die Revisionswerberin vermag nicht überzeugend darzulegen, aus welchem Grunde ihr Versicherungsnehmer als redlicher Erklärungsempfänger das Verhalten der beklagten Partei dahin hätte verstehen dürfen, sie wolle sich dazu verpflichten, ihm bei der Einhaltung der erforderlichen Maßnahmen behilflich zu sein und ihn - bei sonstiger Haftung für nachteilige Folgen - auf Unzukömmlichkeiten hinzuweisen. Das Argument, der vornehmliche Nutzen der Erteilung des Pistengütesiegels liege auf Seiten der beklagten Partei, ist ersichtlich ungeeignet, ist doch im Gegenteil klar erkennbar, dass primär der jeweilige Pistenhalter, der zu Werbezwecken auf diese Auszeichnung hinweisen kann, von der Verleihung profitiert. Soweit sich die Revisionswerberin schließlich im Revisionsverfahren auf einen Rückgriffsanspruch (nach § 896 ABGB) beruft, weil die Verletzte ihre Ansprüche auch direkt gegenüber der beklagten Partei geltend machen hätte können, womit eine solidarische Haftung vorgelegen sei, liegt eine unzulässige Neuerung vor, auf die schon deshalb nicht eingegangen werden kann. Dies gilt insbesondere auch für die Behauptung, die Verletzte habe darauf vertrauen dürfen, dass sie eine durch von der beklagten Partei beigezogene Sachverständige begutachtete Abfahrt benütze. Nur am Rande ist darauf hinzuweisen, dass auch damit die notwendige Kausalität nicht dargetan wäre, zumal nicht behauptet wird, die Verletzte hätte von einer Pistenbenutzung Abstand genommen, wenn das Schigebiet nicht mit dem Gütesiegel ausgezeichnet gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass sich ihr Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme darstellt.