8ObA49/05x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Johannes Denk als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Günther H*****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei ÖBB Infrastruktur Betrieb AG, 1010 Wien, Elisabethstraße 9, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen 400 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 2. März 2005, GZ 12 Ra 127/04i 13, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits und Sozialgericht vom 20. September 2004, GZ 8 Cga 131/04h 7, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die Parteibezeichnung der Beklagten wird auf „ÖBB Infrastruktur Betrieb AG" berichtigt.
2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 199,87 EUR (darin enthalten 33,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 6. 11. 1979 bei der Rechtsvorgängerin der nunmehrigen Beklagten (in der Folge immer: Beklagte) beschäftigt. Er hat eine Plandienststelle als Fahrdienstleiter inne. Der Kläger ist nicht Mitglied der Gewerkschaft der Eisenbahner.
Wegen der von der Bundesregierung per Gesetz geplanten Schaffung eines neuen ÖBB Dienstrechts organisierte die Gewerkschaft zunächst einen zwölfstündigen Warnstreik am 4. 11. 2003 von 0.00 Uhr bis 12.00 Uhr. Nach dem Beschluss der ÖBB Reform im Ministerrat kam es schließlich zu einem dreitägigen Streik vom 12. 11. bis 14. 11. 2003.
Der Kläger war vom 3. 11. auf 4. 11. 2003 zu einer Nachtschicht (planmäßiges Dienstende 4. 11. 2003 6.30 Uhr) und vom 12. 11. auf 13. 11. 2003 zu einer weiteren planmäßigen Dienstschicht im Ausmaß von 12,08 Stunden eingeteilt. An diesen Tagen hätte der Kläger im Rahmen seiner Diensteinteilung Fahrdienstleitertätigkeiten verrichten müssen. Er fand sich an den betreffenden Tagen am Dienstort ein und bekundete seine Arbeitsbereitschaft.
Zuvor war ein Rundschreiben der Beklagten an alle Mitarbeiter ausgesendet worden, wonach eine Beteiligung am Streik einer Arbeitsverweigerung gleichkomme und die Nichterfüllung der vertraglichen Arbeitspflicht mit disziplinären Maßnahmen geahndet werden könne.
Der Kläger bot für die Zeit des Streiks die Inanspruchnahme von Zeitausgleich an. Das lehnte die Beklagte ab. Aufgrund des Streiks war es der Beklagten während der genannten Zeiträume nicht möglich, personen oder güterbefördernde Züge zu führen. Auch sämtliche Tätigkeiten als Fahrdienstleiter waren während des gesamten Streikzeitraums aufgrund der faktischen Verhältnisse nicht möglich.
Der Kläger begehrt 400 EUR brutto. Die Beklagte habe zu Unrecht einen Lohnabzug für die Streiktage vorgenommen. Er habe sich an beiden Tagen arbeitsbereit gemeldet und sei am Streik nicht beteiligt gewesen. Das Streikrisiko treffe den Dienstgeber. Überdies habe die Beklagte den Kläger in Kenntnis der Bestreikung unter Androhung von Bezugskürzungen und weiteren Sanktionen ausdrücklich angewiesen, seine Arbeitspflicht zu erfüllen. Dieser Arbeitsaufforderung sei der Kläger nachgekommen. Es verstoße daher gegen Treu und Glauben, wenn die Dienstgeberin die Entgeltzahlung gerade auch gegenüber den im Sinne der vorangegangenen Weisung arbeitsbereiten (nicht streikenden) Dienstnehmern verweigere. Das gelte insbesondere im Zusammenhang damit, dass der Kläger sogar die Inanspruchnahme von Zeitausgleich angeboten habe.
Die Beklagte wendet ein, wegen des Streiks sei der Zugsverkehr völlig zum Erliegen gekommen. Es sei nicht möglich gewesen, den Kläger zu beschäftigen. Dieser Umstand sei nicht von der Dienstgeberin zu vertreten. Es handle sich um einen unzulässigen und rechtswidrigen politischen Streik, der sich gegen den Staat richte und daher niemals der Arbeitgebersphäre zugerechnet werden könne. Der Entgeltanspruch nach § 1155 ABGB könne nur jenen Arbeitswilligen erhalten bleiben, die weder an der Vorbereitung und Durchführung des Arbeitskampfes beteiligt gewesen seien noch in deren Interesse der Arbeitskampf geführt worden sei. Der Kläger habe von den Streikergebnissen profitiert.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt. Der Kläger sei leistungsfähig und arbeitsbereit gewesen. Der Streik sei der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil abgesehen von der Entscheidung SZ 3/84 höchstgerichtliche Judikatur zum Lohnanspruch Arbeitswilliger im Falle eines schlichten Teilstreiks nicht vorliege.
Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Der Entgeltanspruch arbeitsbereiter Arbeitnehmer bestehe gemäß § 1155 ABGB unabhängig davon, ob die konkrete Betriebsstörung von einem einzelnen Arbeitnehmer oder durch das Verhalten eines größeren Teils der Belegschaft herbeigeführt worden sei. Das gelte jedenfalls dann, wenn ein auf ein bestimmtes Unternehmen begrenztes Ereignis vorliege und gerade die unternehmerische Sphäre eines bestimmten Arbeitgebers betroffen sei. Ausgehend von diesen allgemein anerkannten Grundprinzipien des individuellen Arbeitsrechtes könne der Lohnanspruch arbeitswilliger Dienstnehmer nicht anders beurteilt werden. Im Übrigen bleibe bei einem „schlichten" Teilstreik die Kampfmittelparität grundsätzlich gewahrt. Überdies habe hier die Beklagte an alle Mitarbeiter ein Rundschreiben gesendet und damit gezeigt, dass sie ein Interesse an der Erbringung der Arbeitsleistung gehabt habe.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass die Beklagte in ihrer Revision unter Vorlage eines Firmenbuchauszuges vorbrachte, dass die Österreichische Bundesbahnen Holding Aktiengesellschaft die ÖBB Infrastruktur Betrieb AG gegründet habe, auf die das dem Teilbetrieb Schieneninfrastrukturbetrieb der Österreichischen Bundesbahnen zuzuordnende Dienstverhältnis des Klägers im Rahmen der Abspaltung dieses Teilbetriebes mit Wirkung zum 31. Dezember 2004 übergegangen sei (§ 27 BBG). Die ÖBB Infrastruktur Betrieb AG sei hinsichtlich des mittels Betriebsteilüberganges auf sie übergegangenen Dienstverhältnisses des Klägers und der daraus resultierenden Rechte und Pflichten partielle Gesamtrechtsnachfolgerin der Österreichischen Bundesbahnen. Es habe daher eine Berichtigung der Parteienbezeichnung zu erfolgen.
Dieses Vorbringen der Beklagten bestritt der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung nicht. Der Kläger stimmte der beantragten Berichtigung der Parteienbezeichnung ausdrücklich zu.
Da unstrittig ist, dass der hier streitverfangene Lohnanspruch des Klägers jenen Betrieb betraf, der im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die nunmehrige Beklagte übertragen wurde, war die Parteienbezeichnung gemäß § 235 Abs 5 ZPO antragsgemäß zu berichtigen.
Der erkennende Senat hat in seiner zu 8 ObA 23/05y ergangenen Entscheidung vom 20. Dezember 2005 in einem ebenfalls die „November Streiks" 2003 betreffenden Verfahren unter ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes in der Lehre dargelegt, dass den Arbeitgeber die Obliegenheit trifft, den ernstlich arbeitswilligen Arbeitnehmer unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass er die angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will oder kann. Der Arbeitgeber kann sich somit nicht nachträglich darauf berufen, die Arbeitsbereitschaft des im Betrieb anwesenden Arbeitnehmers sei für ihn deshalb nicht von Vorteil gewesen, weil wegen des Streiks des Großteils der Belegschaft der gesamte Betrieb stillgestanden sei. Gibt der Arbeitgeber eine entsprechende Erklärung nicht ab, hat er im Ergebnis schlüssig die weitere Anwesenheit des Klägers für allenfalls auch während des Streiks erforderliche Arbeiten verfügt und dessen Arbeitsbereitschaft angenommen. Darauf, in wessen Sphäre der Streik bei der Beklagten fiel, ob sich also der Kläger darauf berufen könnte, dass die Voraussetzungen des § 1155 ABGB verwirklicht sind, kommt es daher nicht an.
Diese Grundsätze haben auch für den vorliegenden Fall zu gelten: Der Kläger erschien jeweils zum planmäßigen Dienstbeginn im Betrieb und bekundete seine Arbeitsbereitschaft. Im konkreten Fall erfolgte nicht nur keine Zurückweisung der angebotenen Arbeitsbereitschaft durch die Beklagte, sondern die Beklagte hatte bereits zuvor Rundschreiben unter anderem an den Kläger ausgesendet, mit welchen sie darauf hinwies, dass eine Beteiligung an einem Streik einer Arbeitsverweigerung gleichkomme und eine Nichterfüllung der vertraglichen Arbeitspflicht mit disziplinären Maßnahmen geahndet werden könne. Die Beklagte hat somit keine Erklärung abgegeben, die Dienste des Klägers streikbedingt nicht in Anspruch zu nehmen. Sie kann daher die Zahlung des auf die Streiktage entfallenden Lohns nicht unter Berufung auf §§ 1155 ABGB verweigern.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.