15Os29/05m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. April 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fuchsloch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ramazan C***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall FrG und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 9 Hv 8/05m des Landesgerichtes Ried im Innkreis, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Mehmet K***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 9. Februar 2005, AZ 10 Bs 39/05i (ON 359), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Mehmet K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Über Mehmet K***** wurde mit Beschluss des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 11. August 2004 aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft verhängt (S 133/V).
Nach mehreren Fortsetzungsbeschlüssen und nach Einbringung eines Strafantrages durch die Staatsanwaltschaft (ON 345) ordnete der Untersuchungsrichter mit Beschluss vom 4. Februar 2005 die Fortdauer der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO an (ON 349). Der dagegen gerichteten Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Linz mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge.
Danach besteht gegen den Beschwerdeführer der dringende Verdacht, von Mitte 2003 bis zur Inhaftierung gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise von Fremden - überwiegend aus der Türkei - in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert zu haben, dass dies gegen einen nicht bloß geringfügigen Vermögensvorteil für ihn oder einen anderen geschieht, und hiedurch das Verbrechen der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall FrG begangen zu haben, indem er als LKW-Fahrer „Schleppungen von der Türkei in den Schengenraum und weiter nach England" durchführte und für diese Zwecke auch Reisepässe besorgte oder „organisierte".
In der Grundrechtsbeschwerde wird geltend gemacht, dass das Oberlandesgericht den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr richtig beurteilt habe und dass die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft wegen ihrer Dauer unverhältnismäßig gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. In Ansehung des genannten Haftgrundes bringt der Beschuldigte vor, das Beschwerdegericht habe übersehen, dass auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr bestehen müsse, er würde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens in der zum Ausdruck gebrachten Weise (§ 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO) straffällig werden.
Das Oberlandesgericht hat das Erfordernis dieser bestimmten Tatsachen (§ 180 Abs 2 zweiter Teilsatz StPO) jedoch entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht übersehen, sondern vielmehr - worüber die Einwände teils hinweggehen, so dass sich das Beschwerdevorbringen gar nicht mit der Gesamtheit der Erwägungen des Oberlandesgerichtes zum Haftgrund befasst - im Hinblick auf den „mutmaßlichen Tatzeitraum, während dessen der Beschwerdeführer soziale Unterstützung bezog und unangemeldet bei Transportfirmen tätig war", im „lukrativen Anreiz dieser (indizierten) Schleppertätigkeit trotz sozialer Absicherung" (S 5 der Entscheidung) jene Umstände erblickt, welche fallbezogen die angesprochenen Tatsachen konstituieren. Die solcherart vom Oberlandesgericht dargelegte Tatsachenannahme lässt - dem wie erwähnt nicht auf die Gesamtheit der Argumentation eingehenden Vorbringen zuwider - keine Willkür in der Begründung der Beschwerdeentscheidung erkennen.
Die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ist an der Bedeutung der Sache und an der zu erwartenden Strafe zu messen (§ 180 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Dazu bringt der Beschwerdeführer Folgendes vor:
Laut Strafantrag der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis (ON 345) liege ihm außer dem Verbrechen der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall FrG auch jenes der kriminellen Organisation nach § 278a StGB zur Last. Die Anklagebehörde habe sich - bei der nach § 484 Abs 1 erster Satz iVm § 207 Abs 2 Z 3 StPO gebotenen Anführung der Stellen des Strafgesetzes, deren Anwendung beantragt wird - nur auf Z 1 des § 278a StGB bezogen. Dies habe er in der Beschwerde an das Oberlandesgerichtes geltend gemacht, das in der nunmehr angefochtenen Entscheidung eingeräumt habe, dass zur Strafbarkeit nach § 278a StGB alle in jener Gesetzesstelle genannten Voraussetzungen (und nicht nur die in § 278a Z 1 StGB bezeichneten) erforderlich sind.
Das Oberlandesgericht führte dazu aus, dass der - in der Grundrechtsbeschwerde nicht relevierte - dringende Tatverdacht hinsichtlich des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall FrG „die Haft allein trägt" (S 3 der Beschwerdeentscheidung), sodass es sich erübrige, „das weitere Faktum dahin zu überprüfen, ob sich der Verdacht iSd § 180 StPO verdichtet hat (Mayerhofer StPO5 E 8b zu § 180)".
Ausgehend von einem in dieser Richtung (§ 104 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall FrG) gegebenen dringenden Tatverdacht beurteilte das Beschwerdegericht die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft auch aus dem Blickwinkel des § 194 Abs 3 StPO, wobei es die durch die Auswertung zahlreicher Telefonüberwachungsprotokolle (von der Beschwerde unbestritten) bedingte Schwierigkeit und den besonderen Umfang der Untersuchung (bei Involvierung von 16 Beschuldigten) berücksichtigte (S 5 f der Entscheidung).
Damit befasst sich die Beschwerde gar nicht, indem sie zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Haft darauf verweist, dass bei „Wegfall des Anklagepunktes nach § 278a StGB in Bezug auf den verbleibenden Anklagevorwurf keine gesetzliche Mindeststrafe vorgesehen sei". Insoweit wird auf den Umstand Bezug genommen, dass das Verbrechen der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall FrG mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, jenes der kriminellen Organisation nach § 278a StGB mit solcher von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist. Auf die zuletzt genannte Strafdrohung nahm das Oberlandesgericht jedoch in der Beschwerdeentscheidung überhaupt nicht Bezug.
Das auf den „Wegfall" des Vorwurfs nach § 278a StGB abstellende Beschwerdevorbringen zeigt demnach nicht auf, dass vom Oberlandesgericht die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft gemessen an der Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe unrichtig beurteilt worden wäre.
Somit wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Verteidigers - ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.