9Ob128/04w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. A***** T*****, geboren am 4. Oktober 1998, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Mag. ***** T*****, *****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 4. September 2004, GZ 51 R 56/04s 128, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs der Mutter wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antrag des Vaters vom 9. Oktober 2003, über die Mutter wegen Vereitelung des mit Beschluss ON 101 vom 23. Mai 2003 festgesetzten Besuchsrechts eine Beugestrafe zu verhängen, abgewiesen wird.
Text
Begründung:
Im Zuge einer langwierigen Auseinandersetzung der Eltern um das Besuchsrecht des Vaters zum mj. A***** hat das Rekursgericht mit Beschluss vom 23. 5. 2003 folgende Besuchsrechtsregelung getroffen:
„Der Besuch des Vaters ...zu seinem Sohn... wird in der Form geregelt, dass der Vater berechtigt ist, seinen Sohn an jedem 2. Samstag in der Zeit von 13.15 Uhr bis 16.45 Uhr zu sich zu nehmen.
Der Besuch erfolgt unter Übergabebegleitung durch den Verein für Soziale Arbeit (begleitete Besuchstage), wobei die Mutter verpflichtet ist, den mj. A***** T***** um 13.00 Uhr zu übergeben, sodass der Vater seinen Sohn um 13.00 Uhr im Rahmen der begleiteten Besuchstage abholen kann. Der Vater ist wiederum verpflichtet, seinen Sohn um 16.45 Uhr im Rahmen der begleiteten Besuchstage zurückzubringen."
Am 6. 10. 2003 teilte das zuständige Jugendamt mit, dass die Mutter zur Einhaltung des Besuchsrechts nicht bereit sei, sodass es bisher zu keinem Kontakt zwischen Vater und Kind gekommen sei.
Daraufhin beantragte der Vater mit dem im Spruch genannten Antrag, über die Mutter nach § 19 AußStrG eine Geldstrafe von EUR 2.500,- oder andere angemessene Zwangsmittel zu verhängen.
Die Mutter trat diesem Antrag mit der Begründung entgegen, dass der Besuchsrechtsbeschluss nicht exequierbar sei. Außerdem habe sich der Vater geweigert, „begleitete" Besuche zu akzeptieren. Ferner behauptete die Mutter eine Änderung des maßgebenden Sachverhalts, ohne diese Änderung aber zu konkretisieren.
Der Vater erklärte sich in der Folge damit einverstanden, die ersten beiden Besuche in Besuchsbegleitung ausschließlich in der „Lindenschule" abzuwickeln. Auch diese Termine scheiterten jedoch, weil die Mutter erklärte, sie sei nicht in der Lage, den dafür zu leistenden „Elternbeitrag" (ca 20 EUR) aufzubringen. Sie sei aber bereit, die Besuche zu ermöglichen, wenn der Elternbeitrag zur Gänze vom Vater übernommen werde.
Am 13. 2. 2004 teilte das zuständige Jugendamt schließlich unter Vorlage eines Schreibens des Vereins für Soziale Arbeit mit, dass die begleiteten Besuchstage nicht durchgeführt werden könnten. Sie seien an der mangelnden Bereitschaft der Mutter, sich auf ein Arbeitsbündnis mit dem Verein für Soziale Arbeit einzulassen, gescheitert.
Am 13. 04. 2004 vereinbarten die Eltern, dass der Vater seinen Sohn am 1. 5. 2004 um 13.30 Uhr gemeinsam mit einer von der Erstrichterin vorgeschlagenen Besuchsbegleiterin bei einem näher bezeichneten Spielplatz zu übernehmen habe und berechtigt bzw verpflichtet sei, das Kind an diesem Ort um 17.00 Uhr ebenfalls in Begleitung der Besuchsbegleiterin wieder der Mutter zu übergeben. Zur Vorbereitung dieses Termins vereinbarten die Eltern zwei Termine (17. und 24. 4. 2004), bei dem Mutter und Kind die Besuchsbegleiterin kennenlernen sollten.
Nach einem von der Besuchsbegleiterin vorgelegten Bericht vom 6. 5. 2004 sei die Mutter zu diesen Terminen zwar erschienen, habe aber das Kind am 17. 4. 2004 überhaupt nicht und am 24. 4. 2004 nur fünf Minuten mit der Besuchsbegleiterin allein gelassen. Dem Ansinnen der Mutter, es seien weitere „Kennenlerntermine" mit der Besuchsbegleiterin notwendig, sei die Besuchsbegleiterin entgegengetreten. Beim folgenden Termin mit dem Vater sei es zu keiner Kontaktaufnahme zwischen diesem und dem Kind gekommen. Das Kind sei die ganze Zeit angeschnallt im Auto gesessen, dessen Fenster nur einen Spalt geöffnet gewesen sei. Die Mutter habe erklärt, ihr Kind wolle seinen Vater nicht sehen und sie wolle ihren Sohn auch nicht dazu zwingen oder überreden. Sie könne sich ein Zusammentreffen zwischen Vater und Sohn nur in einem geschützten Rahmen, zB in einem SOS Kinderdorf, vorstellen, wobei auch dafür eine spezielle Vorbereitung des Kindes erforderlich sei, um Angst und Panik des Kindes vor seinem Vater zu reduzieren. Tatsächlich sei der Minderjährige aber sehr wohl zu Gesprächen bereit gewesen und habe in keinem Zeitpunkt der Interaktion mit seinem Vater (das Kind habe sich ständig in einem Fahrzeug befunden) Ängste oder Panikreaktionen gezeigt.
Mit Beschluss vom 14. 6. 2004 verhängte das Erstgericht daraufhin über die Mutter gemäß § 19 AußStrG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000, . Es schloss vor allem aus dem eben wiedergegebenen Bericht der Besuchsbegleiterin, dass die Mutter ohne Verhängung einer Beugestrafe auch künftig Gerichtsaufträge unbefolgt lassen werde. Die im Laufe des bisherigen Verfahrens erfolgte Rücksichtnahme auf ihre Wünsche sei als Schwäche ausgelegt worden und habe nicht die gewünschten Ergebnisse gezeitigt.
Das von der Mutter angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Dem primären Einwand der Mutter, dass die Besuchsrechtsregelung vom 23. 5. 2003 schon deshalb nicht durchsetzbar sei, weil der Verein für Soziale Arbeit, dessen Mitwirkung vorgesehen sei, nicht mehr existiere, hielt das Rekursgericht entgegen, dass der Arbeitsbereich dieses Vereins von der Institution „Ambulante Familienarbeit Tirol", einer Einrichtung des SOS Kinderdorfs Imst, übernommen worden sei. Im Gegensatz zur Meinung der Mutter könne angesichts der Formulierung der Besuchsrechtsregelung auch kein Zweifel darüber bestehen, dass die Übergabe des Kindes an den Vater in den seinerzeitigen Räumlichkeiten des Vereins für Soziale Arbeit hätte erfolgen sollen. Im Übrigen habe die Mutter - im Gegensatz zum Vater - die Arbeit dieses Vereins durch ihre Weigerung, den erforderlichen Elternbeitrag zu leisten, torpediert. Sie habe jede Zusammenarbeitsbereitschaft vermissen lassen. Bemühungen ihrerseits, einen Kontakt zwischen Vater und Sohn zu ermöglichen, seien nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Vielmehr sei sie bestrebt, diesen Kontakt zumindest zu verzögern, wenn nicht sogar vollständig zu verhindern. Die Auffassung des Erstgerichtes, dass eine Beugestrafe notwendig sei, sei daher zutreffend.
Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist im Sinne des hier noch anzuwendenden § 14 AußStrG 1854 zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der Vater, dem Gelegenheit gegeben wurde, sich zum Revisionsrekurs zu äußern, bestreitet dies primär unter Hinweis auf § 14 Abs 3 AußStrG 1854. Die in dieser Bestimmung normierte Rechtsmittelbeschränkung, die auf den Wert des Entscheidungsgegenstandes abstellt, ist aber nach der Rechtsprechung auf die Bekämpfung von Geldbußen, die als angemessene Zwangsmittel im Sinn des § 19 AußStrG 1854 verhängt werden, nicht anzuwenden. Beschwerdegegenstand ist in diesem Fall nämlich nicht die Strafe als Geldwert, sondern die Bestrafung als solche (RIS Justiz RS0008617; zuletzt 1 Ob 31/04p). Die Zulässigkeit des Revisionsrekurs hängt daher von den in § 14 Abs 1 AußStrG genannten Kriterien ab, die hier verwirklicht sind, weil das Rekursgericht die Rechtslage in einer den Anforderungen dieser Gesetzesstelle entsprechenden Weise verkannt hat.
Zunächst kritisiert die Mutter zu Recht den Umstand, dass das Erstgericht seiner Entscheidung den Bericht der Besuchsbegleiterin vom 6. 5. 2004 zugrunde gelegt hat, ohne der Mutter vorher Gelegenheit zu geben, zu diesem Bericht Stellung zu nehmen. Auch das Rekursgericht hat sich mit den Rekursausführungen der Mutter zu diesem Bericht inhaltlich nicht näher auseinandergesetzt. Nun trifft es zwar zu, dass die Mutter mit ihren den Bericht betreffenden Rekursausführungen den von der Besuchsbegleiterin geschilderten Sachverhalt über weite Strecken gar nicht bestreitet sondern lediglich den daraus gezogenen Schlussfolgerungen andere Wertungen des Geschehens entgegensetzt. Letztendlich ist aber der Einwand richtig, dass in dieser für die erstgerichtliche Entscheidung offenbar ausschlaggebenden Frage die Entscheidungsgrundlage nicht mangelfrei erhoben wurde.
Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass die Ausführungen der Revisionsrekurswerberin, wonach sie als „erfahrene und ihre Verantwortung im Sinne des Kindeswohls wahrnehmende" Mutter stets bemüht gewesen sei, einen Besuchskontakt zum Vater zu ermöglichen, in krassem Gegensatz auch zu den übrigen Feststellungen der Vorinstanzen stehen, die sehr wohl das Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens sind.
Eine Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage vor der Entscheidung über den Antrag auf Verhängung einer Beugestrafe zur Durchsetzung der mit Beschluss vom 25. 5. 2003 erfolgten Besuchsrechtsregelung ist aber aus folgenden Gründen nicht erforderlich:
Wie die Revisionsrekurswerberin zutreffend aufzeigt, lässt schon die Formulierung der Besuchsrechtsregelung die notwendigen Konkretisierung vermissen, zumal darin nicht festgelegt ist, wo der Vater den Minderjährigen zu übergeben bzw zu übernehmen hat. Nähere Ausführungen, ob dieser Ort - wie das Rekursgericht meint dem Titel im Auslegungsweg zu entnehmen ist, sind entbehrlich, weil eine Durchsetzung der Besuchsrechtsregelung in der bisherigen Form schon deshalb nicht möglich ist, weil - unbestritten - der im Beschluss vom 23. 5. 2003 vorgesehene „Übergabebegleiter" - nämlich der Verein für Soziale Arbeit - nicht mehr existiert. Zwangsmittel nach dem hier noch anzuwendenden § 19 Abs 1 AußStrG 1854 können aber nur verhängt werden, wenn die Leistung, die durchgesetzt werden soll, noch möglich ist (RIS Justiz RS0007310; zuletzt etwa 1 Ob 58/03s). Dies ist hier nicht mehr der Fall. Der vom Rekursgericht dagegen ins Treffen geführte Umstand, dass eine andere Institution die Aufgaben des im Besuchsrechtsbeschluss genannten Vereins übernommen habe, ändert daran nichts, weil damit kein „automatischer" Übergang der im Beschluss festgelegten Funktion des „Übergabebegleiters" verbunden ist. Dazu bedarf es vielmehr einer neuerlichen Beschlussfassung, vor der den Eltern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss. Die zwangsweise Durchsetzung des insofern überholten Beschlusses kommt damit nicht mehr in Betracht.
Aus dieser Überlegung sind daher - ohne dass auf die weiteren Einwände der Revisionsrekurswerberin eingegangen werden muss - die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Antrags des Vaters auf Verhängung einer Beugestrafe abzuändern.