1Ob300/04f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****Gesellschaft m. b. H. Co KG, H*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Hans Ambros, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Benjamin M*****, vertreten durch Dr. Maximilian Schludermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 181.612,49 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Oktober 2004, GZ 11 R 33/04k-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Jänner 2004, GZ 9 Cg 61/03m-26, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Text
Begründung:
Der vormalige Erstbeklagte gründete 1999 eine Handelsgesellschaft m. b. H. und war vom 22. 4. 1999 bis 16. 3. 2001 deren handelsrechtlicher Geschäftsführer. Diese Gesellschaft und die klagende Partei nahmen 1999 anlässlich einer Messe geschäftliche Kontakte auf. Der vormalige Zweitbeklagte (in der Folge: Beklagter) nahm an dieser Messe als Vertreter einer dritten Gesellschaft, deren Gesellschafter und Geschäftsführer er von 1993 bis 2000 war, teil. Während des Zeitraums von ein bis zwei Monaten führte der Beklagte noch ein weiteres Unternehmen, dessen „Masse er 1998 gekauft hatte". Nach der erwähnten Messe „wurden laufend Geschäfte zwischen dem Geschäftsführer der klagenden Partei" und jenem der Handelsgesellschaft abgeschlossen, „die anfangs auch regelmäßig bezahlt wurden". Der Beklagte kannte den Geschäftsführer der Handelsgesellschaft seit 1987. Er hatte selbst Waren an diese Gesellschaft geliefert. Aus dieser geschäftlichen Beziehung entwickelte sich eine Freundschaft zwischen dem Beklagten und dem Geschäftsführer der Handelsgesellschaft. Nachdem der Beklagte seinen Geschäftsanteil an der Gesellschaft, deren Geschäftsführer er war, 2001 verkauft hatte, war er bei der Handelsgesellschaft „als Angestellter im Bereich Verkaufsleitung und Expansion" tätig. Er „war mit keiner Vollmacht oder sonstigen Vertretungsbefugnis" für seine Dienstgeberin „ausgestattet". Weil aber der Beklagte „in einer höheren Position, in der Verkaufsleitung, arbeitet(e), wurde er von anderen Mitarbeitern als 'Chef' gesehen". Er wusste „durch seine oftmalige Tätigkeit vor Ort ... um die Nachfrage und den Absatz der Filialen Bescheid und wurde deshalb immer wieder" vom Geschäftsführer und einem Mitarbeiter der Handelsgesellschaft „im Bereich Einkauf ... befragt". Nur dieser Mitarbeiter und der Geschäftsführer leisteten indes „Unterschriften" für die Gesellschaft. Neben seiner Tätigkeit als Angestellter der Handelsgesellschaft war der Beklagte noch Geschäftsführer einer Immobilienmaklergesellschaft. In dieser Eigenschaft vermittelte er auch der Handelsgesellschaft als seiner Dienstgeberin „Geschäftslokale". „Um immer wieder auftretende Zahlungsschwierigkeiten gegenüber Lieferanten zu verringern bzw hinauszuzögern, kam es vor, dass Waren unter dem Einkaufspreis verkauft wurden". Der Beklagte „hatte keinerlei Einfluss auf die Gestaltung der Verkaufspreise". Etwa im März 2001 verlor der Geschäftsführer der Handelsgesellschaft „den Überblick ... und holte auf Empfehlung" des Beklagten eine andere Person „als neuen, firmenbuchrechtlichen Geschäftsführer" in das Unternehmen. Auch der neue Geschäftsführer „wandte sich des Öfteren" an den Beklagten, „zumal dieser die Situation der Filialen und der Firma kannte". Am 5. 7. 2001 kam es wegen „mangelnder Bezahlung der Warenlieferungen ... zu einem Gespräch" zwischen dem Geschäftsführer der klagenden Partei, dem der Handelsgesellschaft, deren Mitarbeiter im Bereich Einkauf und dem Beklagten. Es „wurden diverse Produkte ausgewählt und die Abwicklung der Lieferung besprochen". Als die Frage der Zahlung erörtert wurde, äußerte sich der Beklagte „dahingehend, dass bis jetzt alles gezahlt worden sei und bestätigte, dass das auch weiterhin bezahlt werde". Im Übrigen erklärte er sinngemäß, „dass 'wir bezahlen', um die etwas hektische Situation zu beruhigen". Er wollte damit jedoch „nicht zum Ausdruck bringen, dass er gegebenenfalls persönlich für die Bezahlung der Warenlieferungen aufkommen wird". Auf Grund dieses Gesprächs lieferte die klagende Partei die vereinbarten Waren an die Handelsgesellschaft. Der Geschäftsführer der klagenden Partei „hätte dieses Geschäft nicht abgeschlossen", wenn sich der Beklagte beim Gespräch vom 5. 7. 2001 „nicht wie festgestellt ... geäußert hätte". Am 2. 8. 2001 wurde über das Vermögen der Handelsgesellschaft der Konkurs eröffnet. Die nach wie vor ungetilgte Forderung aus den am 5. 7. 2001 vereinbarten Warenlieferungen wurde von der klagenden Partei im Konkurs der Handelsgesellschaft mit einem Betrag von 357.006,05 DM angemeldet. Die Forderungsanmeldung wurde nicht bestritten.
Die klagende Partei begehrte den Zuspruch von 181.612,49 EUR sA - das entspricht nach deren Umrechnung 357.006,05 DM - und brachte vor, der Beklagte sei gewerberechtlicher Geschäftsführer der Handelsgesellschaft, bei wirtschaftlicher Betrachtung aber auch deren Miteigentümer gewesen. Er habe einen „bestimmenden Einfluss" auf ihre Geschäfte ausgeübt. Die von der klagenden Partei gelieferten Waren, die den Klagegrund bildeten, seien unter dem Einkaufspreis verkauft worden. Damit habe der Beklagte zumindest grob fahrlässig die Nichtzahlung dieser Lieferungen in Kauf genommen. Dadurch habe er die Tatbilder des § 156 und des § 159 StGB, aber auch jene der §§ 146 ff StGB als Schutznormen, durch deren Einhaltung die Schädigung von Gläubigern hintangehalten werden solle, verwirklicht. Der Beklagte habe den Geschäftsführer der klagenden Partei bei der Besprechung am 5. 7. 2001 „über die Zahlungsunfähigkeit" der Handelsgesellschaft „getäuscht", habe er doch geäußert, „die klagende Partei bekomme ja Geld". Diese Erklärung habe die klagende Partei zu weiteren Warenlieferungen, durch die die Handelsgesellschaft bereichert worden sei, veranlasst. Der Beklagte habe ferner die persönliche Haftung für die Zahlung des Klageanspruchs übernommen. Im Konkurs über das Vermögen der Handelsgesellschaft bestehe keine Aussicht auf Zuweisung einer Quote.
Der Beklagte wendete ein, keine Schutznorm verletzt zu haben. Er sei nicht handelsrechtlicher, sondern nur gewerberechtlicher Geschäftsführer und Angestellter der Handelsgesellschaft gewesen. Er habe ferner keinen bestimmenden Einfluss auf deren Geschäfte ausgeübt. Deshalb habe er auch die Preisgestaltung des Unternehmens nicht beeinflusst. Überdies habe er keine „Haftungserklärungen" abgegeben, „nichts in Auftrag gegeben oder ... bestellt" und keine Zusagen gemacht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte sei nach seiner Stellung im Unternehmen nicht für die Handelsgesellschaft zeichnungsberechtigt gewesen. Er sei ferner nicht deren Bevollmächtigter gewesen, habe auch sonst keinen bestimmenden Einfluss auf Entscheidungen der Gesellschaft ausgeübt und mit deren Preisgestaltung nichts zu tun gehabt. Als gewerberechtlicher Geschäftsführer habe er nur gegenüber dem Gewerbeinhaber und der Behörde für die Einhaltung gewerberechtlicher Vorschriften gehaftet. Solche Bestimmungen seien nicht verletzt worden. Nach dem objektiven Verständnis der beim Gespräch vom 5. 7. 2001 gemachten Äußerung „wir bezahlen" habe er auch keine persönliche Haftung für die Zahlung von Warenlieferungen übernommen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der Beklagte deshalb, weil er die Handelsgesellschaft weder als Geschäftsführer noch als Bevollmächtigter vertreten und auch sonst keinen bestimmenden Einfluss „auf Entscheidungen" der Gesellschaft ausgeübt habe, Schutznormen nicht zu Lasten der klagenden Partei verletzt haben könne. Es bestehe auch kein sekundärer Feststellungsmangel zur Frage, ob für den Beklagten am 5. 7. 2001 die bevorstehende Insolvenz der Handelsgesellschaft erkennbar gewesen sei und ob er den Geschäftsführer der klagenden Partei durch seine Äußerung, Warenlieferungen würden bezahlt werden, über „die bestehende Insolvenzsituation getäuscht" habe. Da feststehe, dass der Beklagte „nicht in die finanzielle Gebarung" der Handelsgesellschaft „eingebunden" gewesen sei „und keinen bestimmenden Einfluss auf das Unternehmen gehabt" habe, insbesondere „nicht in die Preisgestaltung eingebunden" gewesen sei, sei „die als fehlend gerügte Feststellung entbehrlich". Die Äußerung des Beklagten „wir haben immer bezahlt, wir werden bezahlen" sei auf dem Boden der für die Auslegung rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen maßgebenden Vertrauenstheorie auch nicht als Übernahme einer persönlichen Haftung zu verstehen. Die Revision ist, wie aus den Ausführungen zu 2. folgen wird, zulässig; sie ist im Rahmen ihres Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Kridadelikt und Haftungsübernahme
1. 1. Die klagende Partei wiederholt zur Frage eines durch den Beklagten begangenen Kridadelikts die Berufungsausführungen zur Beweisrüge. Insoweit hielt das Berufungsgericht zutreffend fest, die klagende Partei habe es zunächst unterlassen, konkret anzugeben, welche getroffenen Feststellungen sie überhaupt bekämpfe. Erst die Auflistung begehrter Ersatzfeststellungen verdeutlicht, welche unrichtigen Feststellungen das Erstgericht getroffen haben soll. Das Berufungsgericht setzte sich mit den Einwänden der klagenden Partei auseinander, verwarf sie und übernahm "die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung". Somit haftet dem angefochtenen Urteil der behauptete Verfahrensmangel nicht an. Die klagende Partei führt im Kern bloß eine in dritter Instanz unzulässige Beweisrüge aus. Soweit sie eine "erschöpfende Erörterung" ihrer Beweisrüge im Berufungsverfahren vermisst, ist ihr bloß zu entgegnen, dass sich das Berufungsgericht nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis bzw mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinandersetzen musste, um eine Beweisrüge durch nachvollziehbare Erwägungen mängelfrei zu erledigen (RIS-Justiz RS0043162).
1. 2. Der Oberste Gerichtshof tritt auf dem Boden der getroffenen Feststellungen der Ansicht der Vorinstanzen bei, dass der Beklagte als Angestellter der Handelsgesellschaft jedenfalls kein Kridadelikt zu Lasten der klagenden Partei beging. Er war zum einen kein leitender Angestellter im Sinne des § 161 iVm § 309 Abs 2 StGB, zum anderen beschränkt sich die klagende Partei nunmehr auf die bloße Behauptung, selbst wenn der Beklagte „nicht bestimmenden Einfluss, Vollmacht etc. im Rahmen der ... (Handelsgesellschaft) ... gehabt hätte, konnte er als Beteiligter strafbare Tatbestände erfüllen, so den gemäß § 159 StGB". Die klagende Partei bleibt allerdings jede Begründung dafür schuldig, durch welches feststehende Verhalten der Beklagte andere Personen im Sinne des § 12 StGB zur Ausführung von Kridadelikten bestimmt oder zu deren Ausführung in anderer Weise beigetragen haben soll. Nach ständiger Rechtsprechung muss in diesem Kontext auch die bloße Wiederholung der im Berufungsverfahren zur unterlassenen Einholung des Gutachtens eines Buchsachverständigen gescheiterten Mängelrüge des Verfahrens erster Instanz in der Revision erfolglos bleiben (Kodek in Rechberger, ZPO² § 503 Rz 3 mN aus der Rsp).
Nicht stichhältig ist ferner die Ansicht der klagenden Partei, die Äußerung des Beklagten vom 5. 7. 2001 über die Bezahlung künftiger Warenlieferungen sei als „persönliche Haftungserklärung" aufzufassen. Insoweit genügt gemäß § 510 Abs 3 ZPO ein Hinweis auf die richtigen gegenteiligen Erwägungen des Berufungsgerichts.
2. Betrugsvorwurf
2. 1. Das Berufungsgericht verneinte einen Feststellungsmangel zur Frage, ob der Beklagte am 5. 7. 2001 über eine seiner Dienstgeberin drohenden Insolvenz Bescheid wissen musste. Der Sache nach brachte die klagende Partei als Berufungswerberin zum Ausdruck, dem Beklagten sei die damals "bestehende Insolvenzsituation" seiner Dienstgeberin bewusst gewesen, berief sie sich doch in der Folge auf den Betrugstatbestand als Vorsatzdelikt. Deshalb ist schließlich die Rede von einer Zusicherung des Beklagten "wider besseren Wissens". Das Berufungsgericht hielt Feststellungen insoweit für entbehrlich, weil der Beklagte "keinen bestimmenden Einfluss auf das Unternehmen gehabt" habe und auch nicht in dessen "finanzielle Gebarung eingebunden" gewesen sei. Die Verwirklichung des Tatbilds des Betrugs nach § 146 StGB setzt indes nicht voraus, dass der Täter in die „finanzielle Gebarung" desjenigen Dritten, der durch das deliktische Verhalten unrechtmäßig bereichert werden soll, „eingebunden" war oder auf ihn einen „bestimmenden Einfluss" hatte.
Bisher steht fest, dass der Beklagte "um die Nachfrage und den Absatz der Filialen Bescheid" wusste und "die Situation der Filialen und der Firma kannte". Es ist ferner geklärt, dass der Geschäftsführer der klagenden Partei das den Klagegrund bildende „Geschäft nicht abgeschlossen" hätte, wenn sich der Beklagte beim Gespräch vom 5. 7. 2001 „nicht wie festgestellt ... geäußert hätte". Angesichts dessen wäre der bereits im Berufungsverfahren gerügte Feststellungsmangel nur dann nicht entscheidungswesentlich, wenn die klagende Partei im Verfahren erster Instanz kein den Betrugsvorwurf tragendes Vorbringen erstattet hätte. Die klagende Partei hat aber im Verhandlungstermin vom 5. 11. 2003 zureichende Behauptungen aufgestellt und sich gerade (auch) zur Untermauerung des Betrugsvorwurfs auf die Besprechung vom 5. 7. 2001 gestützt (ON 25 S. 1 f).
2. 2. Ergäbe eine Ergänzung des Beweisverfahrens, dass der Beklagte dem Geschäftsführer der klagenden Partei am 5. 7. 2001 tatsächlich wider besseres Wissen - demnach in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit seiner Dienstgeberin - zusicherte, diese werde die Warenlieferungen "bezahlen", so erscheint eine Verwirklichung des Tatbilds der §§ 146, 147 Abs 3 StGB in Verbindung mit den - unter 2. 1. hervorgehobenen - bereits feststehenden Tatsachen nicht jedenfalls ausgeschlossen. Es bedürfte dann jedoch weiterer Feststellungen zu solchen Begleitumständen der Besprechung vom 5. 7. 2001, die eine Beurteilung der subjektiven Tatseite ermöglichen. Unklar ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, der Beklagte habe durch seine Erklärung „wir bezahlen" die „etwas hektische Situation ... beruhigen" wollen. Allein daraus lässt sich für eine abschließende rechtliche Beurteilung des gegenüber dem Beklagten erhobenen Betrugsvorwurfs - insbesondere in Ansehung eines Täuschungsvorsatzes - nichts gewinnen.
3. Ergebnis
Die Urteile der Vorinstanzen sind zufolge der erörterten Feststellungsmängel aufzuheben. Das Erstgericht wird im zweiten Rechtsgang auf Grund ergänzender Feststellungen, die eine abschließende rechtliche Beurteilung der Betrugsfrage erlauben, neuerlich zu entscheiden haben. Abschließend ist zu betonen, dass die unter 1. behandelten Fragen endgültig erledigte Streitpunkte betreffen, die im fortgesetzten Verfahren nicht mehr erfolgreich aufgerollt werden können (siehe dazu RIS-Justiz RS0042031). Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.