JudikaturOGH

15Os107/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. November 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klenk als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alfonso B***** wegen § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 18. Juni 2004, GZ 420 Hv 2/03d-168, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Alfonso B***** im zweiten Rechtsgang des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 8. Oktober 2002 in Wien Barbara E*****, indem er sie bis zur Bewusstlosigkeit würgte und sodann in der Neuen Donau ertränkte, vorsätzlich getötet.

Die Geschworenen haben die angeklagekonforme Hauptfrage 1. nach dem Verbrechen des Mordes einstimmig bejaht. Demgemäß blieben die Eventualfragen 1. bis 4. nach absichtlich schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 und Abs 2 StGB), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB), schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB) und fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB) unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf § 345 Abs 1 Z 5, 6 und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Der Verfahrensrüge (Z 5) ist vorweg zu entgegnen, dass allein der im Zeitpunkt der kritisierten Entscheidung des Schwurgerichtshofes vorliegende Antrag den Gegenstand des Nichtigkeitsgrundes bildet. Erst im Rechtsmittel vorgebrachte Gründe tatsächlicher Art sind hingegen verspätet und können keine Berücksichtigung finden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325, Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 281 Z 4 E 41). Die begehrte Vernehmung einer namentlich genannten Kellnerin zum Nachweis, dass Barbara E***** und der Angeklagte Stammgäste eines bestimmten Lokals waren, am 8. Oktober 2002 sowie an den Tagen zuvor dort zu Gast waren und den Eindruck eines harmonischen Liebespaares erweckten (S 127 f/V), wurde mit Recht abgelehnt (S 137/V), weil nicht erkennbar war, weshalb von der Beweisaufnahme eine Entlastung des Angeklagten (der selbst zugesteht, Barbara E***** gewürgt und ihren regungslosen Körper in die Donau verbracht zu haben; S 341 ff, 365/IV) in der Schuldfrage zu erwarten gewesen wäre. Ebenso zutreffend wurde der Antrag auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass beim Angeklagten eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorliege und nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen bei solchen Störungen "im Zusammenhang mit dem Konsum von Rauschgift oder Alkohol Panikattacken, Schizophrenieattacken und Paranoiaattacken bis zu einer Dauer von einer Stunde auftreten können und dies offensichtlich beim Angeklagten der Fall war" (S 137 ff/V), abgewiesen (S 153/V). Der Antragsteller vermochte nämlich keine dem Befund oder dem Gutachten der beigezogenen Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie anhaftenden Mängel der in §§ 125, 126 StPO bezeichneten Art, deren Vorliegen das Gesetz für die Einholung des Gutachtens eines anderen Sachverständigen voraussetzt, aufzuzeigen. Die Sachverständige wurde in der Hauptverhandlung am 17. Juni 2004 ergänzend zu ihrem schriftlichen Gutachten (ON 104) auch zur Frage eines Borderlinesyndroms befragt (S 123 ff/V). Sie legte eingehend dar, warum sie ein solches Syndrom trotz der emotionalen Instabilität des Angeklagten nicht angenommen hat.

Wenn der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ein Borderlinesyndrom wäre allein aufgrund seines ruhigen Verhaltens bei der Befundaufnahme nicht angenommen worden, die Gutachten Dris. Quatember (ON 133) und Dris. Roßmanith ließen "nur" einen anderen als den von der Sachverständigen gezogenen Schluss zu, und ferner unter Hinweis auf Angaben zu seiner Kindheit behauptet, dass "nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Ursachen solcher Borderline-Persönlichkeitsstörungen in der Entwicklung in frühester Kindheit gegeben sind", zielt sein Verlangen nach einem weiteren Gutachten der Sache nach bloß auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis ab, wird damit doch bloß eine Beweiswiederholung in der nicht (im Sinne der §§ 125 f StPO) indizierten Erwartung eines für den Angeklagten günstigeren Ergebnisses begehrt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351).

Die gegen das Unterbleiben einer Eventualfrage nach Totschlag gerichtete Fragenrüge (Z 6) lässt eine am Gesetz orientierte Darstellung vermissen, weil sie keine Verfahrensergebnisse releviert, die auf eine für die Beurteilung der Tat als Verbrechen nach § 76 StGB maßgebliche Tötung aus allgemein begreiflicher heftiger Gemütsbewegung hinweisen würden, sondern bloß unsubstantiiert aus Angaben des Angeklagten zu seiner Kindheit, dem Grad seiner Intelligenz, seiner Persönlichkeit und seiner Beziehung zum Opfer auf eine "allgemeine Begreiflichkeit im Sinne des § 76 StGB" schließt. Soweit der Angeklagte dieser Betrachtung die aktenferne Behauptung voranstellt, der Oberste Gerichtshof habe (in dem das Ersturteil im ersten Rechtsgang aufhebenden Erkenntnis; ON 156) ausgesprochen, der Abbruch einer Beziehung könne kein allgemein begreiflicher Anlass für die Tathandlung sein, und er zudem spekuliert, seine Verantwortung "in Richtung § 76 StGB war im ersten Rechtsgang vielleicht nicht so deutlich" und er "habe wohl nicht in genügend eloquenter Weise den Tathergang dargestellt", lässt er gleichermaßen eine deutliche und bestimmte Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen vermissen. Zudem entfernt er sich argumentativ von seiner Verantwortung, wonach Vorhalte der Barbara E***** wegen einer Abtreibung, ihre Vorwürfe, er sei "ein Schwächling" und "kein Mann" sowie der Umstand, dass sie ihn geschlagen habe (nicht aber der Abbruch einer Beziehung), Auslöser eines Streites waren, der der Tötung vorangegangen sein soll (AS 337 ff/IV).

In der Tatsachenrüge (Z 10a) leitet der Angeklagte aus isoliert betrachteten Verfahrensergebnissen für sich günstige Schlussfolgerungen ab. Er trachtet auf diese Weise, die Plausibilität seiner Verantwortung, er habe zu Barbara E***** eine intakte Liebesbeziehung unterhalten und geplant, mit ihr in der Tatnacht in das Ausland zu flüchten, zu stützen und behauptet überdies, diese Umstände würden die Annahme einer im Voraus geplanten Tat aus Eifersucht widerlegen, sodass der von den Geschworenen angenommene Mordvorsatz "in sich zusammenbreche".

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen das von den Geschworenen im Wahrspruch konstatierte Tatsachensubstrat zu erwecken, sondern erschöpft sich im Versuch unter Verschweigen aktenkundiger gegenteiliger Verfahrensergebnisse (etwa S 5 ff, 13 ff, 53 f, 61 f, 89/V) einer von den Laienrichtern abgelehnten Tatversion im Rechtsmittelverfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der die Argumente der Nichtigkeitsbeschwerde wiederholenden Stellungnahme der Verteidigerin bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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