2Ob251/04g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang K*****, vertreten durch Mag. Max Verdino, Rechtsanwalt in St. Veit/Glan, gegen die beklagte Partei D*****, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, wegen EUR 5.868,72 sA, infolge Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 21. Juli 2004, GZ 3 R 112/04m-24, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes St. Veit/Glan vom 22. Jänner 2004, GZ 4 C 414/03v-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei werden zurückgewiesen.
Die Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der Kläger zog sich am 18. 5. 2002 bei einem Sturz beim Fußballspielen einen Bruch des Kahnbeines an der rechten Hand zu. Er ließ sich noch am selben Tag im Krankenhaus der beklagten Partei untersuchen. Der behandelnde Oberarzt erklärte dem Kläger nach Anfertigung eines Röntgenbildes, auf welchem die Fraktur noch nicht erkennbar war, dass nichts gebrochen wäre. Als der Kläger auf seine starken Schmerzen hinwies, bewegte der behandelnde Oberarzt nochmals das Handgelenk, wiederholte seine zuvor getätigte Aussage und verwies darauf, dass auch eine Prellung sehr schmerzhaft sei. Er verschrieb dem Kläger eine Salbe und riet ihm, Eis auf die verletzten Stellen aufzulegen. Außerdem bestellte er ihn zu einem Kontrolltermin für den 23. 5. 2002, was auch auf der Ambulanzkarte vermerkt wurde. Bei der vorliegenden Art der Verletzung ist eine Wiederbestellung nach fünf Tagen fachgerecht. Durch das aufgelegte Eis wurden die Schmerzen geringer. Der Kläger ging deshalb und wegen der Auskunft, dass nichts gebrochen sei, nicht zur Kontrolle, sondern nach einer Woche wieder arbeiten. Da die Schmerzen weiter anhielten, ging er am 8. 7. 2002 an seinem Arbeitsort Bregenz in das dort gelegene Krankenhaus, wo die Kahnbeinfraktur festgestellt wurde. Der Kläger ließ sich deshalb am 25. 7. 2002 im Unfallkrankenhaus Klagenfurt operieren. Wäre der Bruch schon eine Woche nach der Verletzung behandelt worden, hätte eine Gipsruhigstellung mit Daumeneinschluß primär für sechs Wochen genügt. Durch die Operation erlitt der Kläger zusätzliche Schmerzen und hatte weitere Kosten für Behandlungs- und Besuchsfahrten sowie für die Beischaffung zweier Krankengeschichten zu tragen, die bei konservativer Behandlung mit Gips nicht entstanden wären. Der Kläger begehrt von der beklagten Partei wegen Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten Zahlung von Schmerzengeld und den Ersatz seiner Aufwendungen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete unter anderem ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden am Zustandekommen des Schadens, weil er den Kontrolltermin nicht wahrgenommen habe.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung eines Ersatzbetrages von EUR 2.634,36 sA und wies ein Mehrbegehren von EUR 3.234,36 ab. Die beklagte Partei hafte für das Verschulden ihres behandelnden Oberarztes, weil dieser bei der Erstbehandlung den Kläger nicht darauf verwiesen habe, dass ein Bruch des Kahnbeins nicht ausgeschlossen werden könne. Auch den Kläger treffe ein Verschulden, weil er den Kontrolltermin nicht wahrgenommen habe. Eine Verschuldensteilung von 1 : 1 rechtfertige den Zuspruch des halben (angemessenen) Schmerzengeldes sowie der halben weiteren Kosten. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Ein dem Spitalsarzt anzulastendes Fehlverhalten, für welches der Krankenhausträger als Partner des abgeschlossenen Behandlungsvertrages nach § 1313a ABGB zu haften habe, liege dann vor, wenn der Arzt nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen sei oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt habe (RIS-Justiz RS0038202). Der mit dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag umfasse auch die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Der Umfang der Aufklärungspflicht sei nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Auch das Unterlassen der sogenannten therapeutischen Aufklärung, also der mit ärztlichen Maßnahmen und Untersuchungen verbundenen ärztlichen Beratung des Patienten, könne einen Behandlungsfehler darstellen (10 Ob 24/00b).
Da der behandelnde Oberarzt es unterlassen habe, auf Möglichkeit einer üblicherweise erst später erkennbaren Fraktur des Handkahnbeines (3 Ob 314/97s) hinzuweisen, sonder apodiktisch versichert habe, dass ein Bruch auszuschließen sei, habe die beklagte Partei eine Verletzung der Aufklärungspflicht zu verantworten. Der Kläger habe seinerseits die nötige Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vermissen lassen, weil er den Kontrolltermin nicht wahrgenommen habe.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und inwieweit sich durch die Wiederbestellung zu einer Kontrolluntersuchung konkret Hinweise auf allfällige Folgen des Ausbleibens zu diesem Termin erübrigen. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wurde dem Kläger am 3. 8. 2004 zugestellt.
Der Kläger begehrt mit seiner am 23. 9. 2004 beim Erstgericht überreichten Revision die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes im Sinne einer gänzlichen Stattgebung seines Klagebegehrens.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revision, die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Sinne der Abweisung des gesamten Klagebegehrens abzuändern.
Beide Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der klagenden Partei ist verspätet, die der beklagten Partei unzulässig.
Zur Revision der klagenden Partei:
Nach ständiger Rechtsprechung endet die Rechtsmittelfrist bei Zustellung einer Entscheidung in der verhandlungsfreien Zeit (15. 7. bis 25. 8.) am 22. September 2004 (RIS-Justiz RS0036496 uva). Die am 23. 9. 2004 überreichte Revision der klagenden Partei ist daher verspätet. Die vom Kläger in seiner verspäteten Revision relevierte Frage, ob die beklagte Partei zwecks Erkennbarkeit der Wichtigkeit der Kontrolluntersuchung durch ihn verpflichtet gewesen wäre, ihn über die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Kontrolltermins zu belehren, kann daher nicht behandelt werden.
Zur Revision der beklagten Partei:
Die Revision ist entgegen der Meinung des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung nicht absolut unzulässig, weil der Streitwert, über den das Berufungsgericht entschieden hat, EUR 4.000 überstieg. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Pflicht des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RIS-Justiz RS0038176 mzwN). Der Umfang der im konkreten Fall vorzunehmenden Aufklärung ist eine Rechtsfrage, deren Lösung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (7 Ob 233/00s mzwN, 10 Ob 24/00b). Der Arzt hat zwar grundsätzlich nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinzuweisen, doch erweitert sich der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Vorliegen sogenannter typischer Gefahren.
Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung zutreffend wiedergegeben und dem behandelnden Arzt eine Verletzung der Aufklärungspflicht schon deshalb vorgeworfen, weil dieser - apodiktisch - das Vorliegen eines Handkahnbeinbruches ausgeschlossen habe, obwohl ein solcher üblicherweise erst später sicher diagnostiziert werden könne. Seine Beurteilung, die Bestellung eines Patienten zu einem weiteren Kontrolltermin, ohne bereits bei der Erstbehandlung auf die Möglichkeit eines vorhandenen, aber noch nicht erkennbaren Kahnbeinbruchs hinzuweisen, genüge nicht der geforderten ärztlichen Aufklärungspflicht, liegt im Rahmen dieser Rechtsprechung. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung liegt daher nicht vor. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat nicht auf die Verspätung der Revision der klagenden Partei, die klagende Partei hat nicht auf die Unzulässigkeit der Revision der beklagten Partei hingewiesen. Beide Parteien haben daher die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.