13Os81/04 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matschegg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Anton H***** und weitere Beschuldigte wegen (ua) des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, AZ 30 Rk 7/04y des Landesgerichtes Leoben, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 11. Mai 2004, AZ 9 Ns 37/04g, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Dr. Anton H*****, Dr. Bernd R***** und Dr. Andreas Ha***** (ua) wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, AZ 30 Rk 7/04y des Landesgerichtes Leoben, wurde zum AZ 9 Ns 37/04g desselben Gerichtes dadurch, dass der Beschluss vom 11. Mai 2004 über die Befangenheitsanzeigen des Präsidenten und weiterer zweiundzwanzig Richter dieses Gerichtshofes von einem der beiden sich nicht für befangen erklärten Richter an Stelle des funktionell zuständigen Gerichtshofs zweiter Instanz gefasst wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 74 Abs 2 zweiter Satz StPO verletzt.
Gemäß dem letzten Satz des § 292 StPO wird dieser Beschluss aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an das Oberlandesgericht Graz verwiesen.
Text
Gründe:
Beim Landesgericht Leoben langte am 6. Februar 2004 zu AZ 30 Rk 7/04y ein (mit dem 26. Jänner 2004 datierter) Subsidiarantrag des Privatbeteiligten Engelbert T***** ein, womit dieser die Einleitung der Voruntersuchung gegen den emeritierten Rechtsanwalt Dr. Anton H*****, den im Ruhestand befindlichen Richter Dr. Bernd R***** (zuletzt Richter des Bezirksgerichtes Liezen) und den Richter des Oberlandesgerichtes Graz, Dr. Andreas Ha***** (ua) wegen des Verbrechens des Missbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB beantragte, nachdem seine betreffende Anzeige zu AZ 2 St 457/03w von der Staatsanwaltschaft Leoben am 17. Dezember 2003 gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt worden war.
Mit Ausnahme zweier Richter des Gerichtshofes (Mag. Dieter B***** und Mag. Harald S*****, ON 20 verso) zeigten zu AZ 9 Ns 37/04g die übrigen einundzwanzig Richter sowie dessen Präsident Dr. Peter F***** (ON 27) und der Vizepräsident Dr. Paul E. W***** (ON 1) jeweils wegen enger dienstlicher oder persönlicher Kontakte zu allen oder einigen der drei Angezeigten ihre Befangenheit an (ON 1, 3, 6, 7, 9 bis 26). Mit Beschluss vom 11. Mai 2004 wurde durch den (nach der Geschäftsverteilung dieses Landesgerichtes für die Vertretung des Vizepräsidenten zuständigen) Richter Mag. Dieter B***** den Befangenheitsanzeigen des Präsidenten Dr. Peter F***** sowie der weiteren zweiundzwanzig Richter (einschließlich des Vizepräsidenten) Berechtigung zuerkannt.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokuratur in der von ihm gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang.
§ 72 Abs 2 StPO sieht die Verpflichtung jedes einzelnen Richters vor, auf dem in § 22 GOG vorgesehenen Weg alle Gründe anzuzeigen, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Über die Berechtigung der Befangenheitsanzeige einer Gerichtsperson hat (ebenso wie über die Zulässigkeit ihrer Ablehnung) in der Regel der Vorsteher des Gerichtes, dem sie angehört, zu entscheiden (§ 74 Abs 1 StPO). Betreffen Befangenheitsanzeige oder Ablehnung ein ganzes Gericht erster Instanz oder dessen Vorsteher, so entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz (§ 74 Abs 2 StPO).
Zur Entscheidung über die Befangenheitsanzeige des Präsidenten des Landesgerichtes Leoben ist daher der Gerichtshof zweiter Instanz berufen. Vorliegendenfalls wurde jedoch der Beschluss von einem Richter des Landesgerichts, somit von einem funktionell unzuständigen Richter gefasst.
Diese Gesetzesverletzung war unter gleichzeitiger Aufhebung des den Verfahrensmangel begründenden Beschlusses aufzuzeigen.