JudikaturOGH

6Ob199/04i – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. September 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Wiener Neustadt eingetragenen B***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in Wiener Neudorf, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihres Geschäftsführers Mag. Hubert S*****, beide vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 9. Juni 2004, GZ 4 R 75/04k 27, womit der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 26. Februar 2004, GZ 1 Fr 3908/01t 23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens wird abgewiesen.

3. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Parteien haben kein Antragsrecht auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof, sie können die Verfahrenseinleitung nur anregen (RIS Justiz RS0058452). Der dennoch gestellte Antrag wird zurückgewiesen.

2. Der an den Obersten Gerichtshof gerichtete Antrag auf Verfahrensunterbrechung wegen zweier beim Europäischen Gerichtshof bereits anhängiger Vorabentscheidungsersuchen ist nicht berechtigt. Ansuchen anderer Gerichte um Vorabentscheidung des EuGH entfalten keine Bindungswirkung. § 90a GOG bindet nur das anfragende Gericht (RIS Justiz RS0114648). Dass das Europäische Gericht erster Instanz wegen eines beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens mit Unterbrechung vorging, verpflichtet auch unter dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und dem EuGH ein anderes Gericht nicht, sein Verfahren gleichfalls zu unterbrechen. Im Übrigen betreffen die von den Rechtsmittelwerbern zitierten Vorabentscheidungsersuchen Axel Springer AG und Weske die Offenlegung von Kommanditgesellschaften, während im nun zu beurteilenden Fall die Offenlegung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erzwungen werden soll.

3. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs:

Die Revisionsrekurswerber bekämpfen die vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, wonach die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen verfassungsrechtlich unbedenklich und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend seien und die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien nach mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften keinen Eingriff in Grundrechte nach der EMRK oder in Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft darstellen, überwiegend mit Argumenten, die der Senat in Vorentscheidungen bereits behandelt und abgelehnt hat. Soweit sie sich zur Stützung ihrer Ansicht, die Offenlegung verletze Grundrechte und es läge kein acte clair Fall vor, so dass der Oberste Gerichtshof eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen hätte, auf mehrere Erkenntnisse des EuGH und des EGMR berufen und daraus Grundrechtsbedenken ableiten, ist ihnen wie schon in den Vorentscheidungen die Verschiedenheit der von den Gerichtshöfen behandelten Rechtsmaterien entgegenzuhalten. Im Übrigen wird neuerlich auf den wesentlichen Unterschied verwiesen, dass im hier zu entscheidenden Fall eine die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des EuGH vorliegt, die keinen Zweifel darüber offen lässt, dass die Offenlegung mit den von den Rechtsmittelwerbern relevierten Grundrechten in Einklang steht. Der Senat hat auch bereits darauf verwiesen (6 Ob 90/04k ua), dass seine Auffassung durch die (neue) Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (erste Richtlinie Publizitätsrichtlinie), ABl L 221 vom 4. 9. 2003 S 13, mit welcher der Gesetzgeber der Gemeinschaft an der obligatorischen Offenlegung von Kapitalgesellschaften festhielt, bestätigt wird. Weder dem Gesetzgeber noch dem EuGH kann unterstellt werden, sie hätten verkannt, dass es sich bei den offenzulegenden Bilanzangaben um grundrechtlich geschützte Geschäftsgeheimnisse handelt. Mit der zitierten Richtlinie vom 15. Juli 2003 ist auch der Einwand der Rechtsmittelwerber, den Offenlegungsrichtlinien sei längst materiellrechtlich derogiert, endgültig widerlegt.

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die Europäische Charta der Grundrechte der Europäischen Union geht deshalb fehl, weil diese Charta (noch) nicht für die Mitgliedsstaaten der EU verbindlich ist, worauf auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. 12. 2003, GZ A 2/01, hingewiesen hat.

Mit der hilfsweisen Bekämpfung der Höhe der verhängten Zwangsstrafen wird eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG nicht geltend gemacht. Die Strafe bewegt sich durchaus im gesetzlichen Rahmen und ist schon im Hinblick auf die beharrliche Weigerung der Rechtsmittelwerber, die klare Rechtslage im Sinn der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen, unbedenklich.

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG als unzulässig zurückgewiesen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 16 Abs 4 AußStrG und § 15 Abs 1 FBG).

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