1Ob143/04t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Liselotte S*****, 2.) KR Gerhard K*****, und
3.) Reg. Rat Harald L*****, alle vertreten durch Dr. Erich Jungwirth, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen EUR 24.403,04 sA infolge "außerordentlicher" Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. April 2004, GZ 14 R 253/03h-32, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Oktober 2003, GZ 31 Cg 4/02i-27, abgeändert wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Die Kläger machen als Erben nach der Einantwortung des Nachlasses aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatzansprüche geltend, weil im Verlassenschaftsverfahren Schmuck der Erblasserin vor Ablauf der Ediktalfrist vom Verlassenschaftskurator mit gerichtlicher Bewilligung weit unter dem wahren Wert verkauft worden sei. Entsprechend ihren Erbquoten begehren sie (nach rechtskräftigen Teilabweisungen in erster Instanz) von der Beklagten die Zahlung von EUR 6.100,76 sA (Erstklägerin), EUR 6.100,76 sA (Zweitkläger) und EUR 12.201,52 sA (Drittkläger).
Die Beklagte wendete ein, der Schmuck sei ohnedies zu Preisen über dem Schätzwert verkauft wurde, sodass die Kläger keinen Schaden erlitten hätten. Die Rechtsansicht des Verlassenschaftsgerichts, den Verkauf zu genehmigen, sei zumindest vertretbar gewesen. Das Erstgericht sprach den Klägern die bereits genannten Beträge zu und wies ein Mehrbegehren (rechtskräftig) ab. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die dagegen erhobene "außerordentliche" Revision der Kläger legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof direkt vor.
Rechtliche Beurteilung
Diese Vorgangsweise widerspricht der seit Inkrafttreten der WGN 1997 geltenden Rechtslage:
Gemäß § 55 Abs 1 Z 2 und Abs 5 JN wären bei Beurteilung der Revisionszulässigkeit die je EUR 20.000,- nicht übersteigenden Ansprüche der Kläger nur bei materieller Streitgenossenschaft nach § 11 Z 1 ZPO zusammenzurechnen. Eine solche kann etwa vorliegen, wenn Miterben Erbschaftsgläubigern gegenüberstehen oder eine Forderung des Erblassers geltend machen (RIS-Justiz RS0035470). Im vorliegenden Fall hingegen begehren die Kläger Schadenersatz aus dem Titel der Amtshaftung, weil Nachlassvermögen ohne gesetzliche Grundlage und unter dem wahren Wert veräußert worden sei. Sie verlangen somit Ersatz des - jeweils eigenen - Schadens, den jeder von ihnen durch das angeblich rechtswidrige Verhalten des Verlassenschaftsgerichts erlitten hat. Wie mehrere aus einem Unfallereignis Geschädigte (RIS-Justiz RS0110982) machen die Kläger lediglich gleichartige, auf einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grund beruhende Ansprüche im Sinne des § 11 Z 2 ZPO geltend, nicht jedoch solche, die sie als materielle Streitgenossen erscheinen ließen, wie dies § 55 Abs 1 Z 2 JN fordert. Eine Zusammenrechnung der einzelnen Ansprüche findet daher nicht statt (vgl. 2 Ob 215/99b).
Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision - außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO - jedenfalls unzulässig, wenn - wie hier - der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert zwar 4.000 EUR, nicht aber insgesamt 20.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nach § 508 Abs 1 ZPO einen nach § 508 Abs 2 ZPO befristeten Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss hinreichend erkennen lassen, warum die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird.
Im vorliegenden Fall haben die Rechtsmittelwerber das Rechtsmittel rechtzeitig beim Erstgericht eingebracht, ihrer Revision fehlt allerdings die ausdrückliche Erklärung, dass der Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs durch das Berufungsgericht gestellt werde. Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage war das Rechtsmittel jedenfalls nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Im Streitwertbereich des § 502 Abs 3 ZPO sind Rechtsmittel gegen Entscheidungen, gegen die nach dem Ausspruch der zweiten Instanz die ordentliche Revision nicht zulässig ist, nur dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen (§ 507b Abs 2 ZPO). Sollte das Erstgericht der Meinung sein, einer solchen Vorgangsweise stehe das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags entgegen, das Berufungsgericht möge seinen Zulässigkeitsausspruch abändern, wird es einen - mit Fristsetzung verbundenen - Verbesserungsauftrag zu erteilen haben (§ 84 Abs 3 ZPO iVm § 474 Abs 2 Satz 2 ZPO - ständige Rechtsprechung RIS-Justiz RS0109623 und RS0109501).
Die geschilderte Vorgangsweise ist auch dann einzuhalten, wenn die Revision als "außerordentliche" Revision bezeichnet wird. Der Oberste Gerichtshof darf über diese nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz nach § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass eine ordentliche Revision doch zulässig sei (6 Ob 11/03s; 4 Ob 71/04a uva).
Aus diesen Erwägungen ist der Akt dem Erstgericht zurückzustellen.