9ObA14/04f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Univ. Prof. Mag. Dr. Michaela Windischgrätz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Ernst Fiedler und Dr. Bernd Illichmann, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Karl H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lirk ua, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 6.333,33 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Oktober 2003, GZ 11 Ra 90/03i 14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Mai 2003, GZ 16 Cga 121/03x 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 499,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 83,24 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Im Vorprozess begehrte der nunmehrige Beklagte als Kläger von der nunmehrigen Klägerin und damaligen Beklagten S 838.572,03. Er sei Dienstnehmer der (damaligen) Beklagten gewesen. Neben dem Dienstvertrag habe ein Beratungsvertrag bestanden, der jedoch in der Folge bezüglich des Entgeltanspruchs Bestandteil des Dienstvertrages geworden sei.
Die damalige Beklagte und nunmehrige Klägerin wendete im Vorprozess ein, dass kein Arbeitsverhältnis bestanden habe, sondern der damalige Kläger als freier Berater tätig geworden sei. Allerdings habe sich herausgestellt, dass ihm die erforderliche Qualifikation gefehlt habe.
Schließlich schlossen die Parteien im Vorprozess folgenden Vergleich:
"1) Die beklagte Partei ist verpflichtet, dem Kläger zu Handen des Klagevertreters binnen 14 Tagen einen Betrag von EUR 38.000,- inklusive USt (Beratungshonorar sowie EUR 5000,- inklusive EUR 751,45 USt und EUR 491,26 Hälfte Pauschalgebühr) zu bezahlen.
2) Mit Abschluss dieses Vergleichs sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche zwischen den Streitteilen aus welchem Rechtsgrund auch immer bereinigt und verglichen.".
Die nunmehrige Klägerin überwies auf Grund dieses Vergleichs an den nunmehrigen Beklagten EUR 31.666,67 und EUR 5.000, .
Zur Hereinbringung des auf EUR 38.000,- fehlenden Restbetrages führt dieser gegen die nunmehrige Klägerin zu 8 E 141/03 des BG Salzburg Fahrnisexekution.
Mit ihrer daraufhin erhobenen Oppositionsklage begehrt die Klägerin, die Exekution für unzulässig zu erklären und festzustellen, dass die betriebene Forderung nicht bestehe. Der im Ausland ansässige Beklagte habe iSd § 3a Abs 10 Z 4 UStG eine wirtschaftliche Beratung erbracht, sodass die Steuerschuld nach § 19 Abs 1 UStG auf den Empfänger der Beratungsleistung - hier also auf die nunmehrige Klägerin - übergehe ("Reverse Charge"). Da der geschuldete Betrag als Beratungshonorar ausgewiesen und ein Betrag von EUR 38.000,- inklusive Umsatzsteuer vereinbart gewesen sei, sei die Klägerin verpflichtet gewesen, die Umsatzsteuer abzuführen. Sie habe daher den vereinbarten Bruttobetrag von EUR 38.000,- um die Umsatzsteuer von EUR 6.333,- vermindert. Nach ständiger Judikatur könne sie ihr Abzugsrecht mit Oppositionsklage geltend machen.
Der Beklagte wendete dagegen ein, im Titelverfahren Dienstnehmerforderungen erhoben zu haben. Er sei nie Unternehmer gewesen. Der Ausdruck "Beratungshonorar" sei im Vergleich lediglich auf Wunsch der Beklagten gewählt worden, die damit Konsequenzen wegen der Nichtanmeldung des Beklagten bei der Sozialversicherung habe vermeiden wollen. Es sei besprochen worden, dass es jeder Partei überlassen bleibe, die steuerliche Behandlung aus eigenem zu veranlassen. Der Vergleich enthalte eine Generalklausel, sodass für die nunmehrige Klägerin, die im Übrigen die abgeführte Umsatzsteuer ohnedies im Wege der Rückverrechnung zurückbekommen werde, jede Aufrechnungsmöglichkeit ausgeschlossen sei. Überdies komme die geltend gemachte Bestimmung des UStG von vornherein nicht zum Tragen, weil der Beklagte damals seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die von der Klägerin geltend gemachten Tatsachen nicht neu iSd § 35 EO seien, sondern bereits im Titelverfahren geltend zu machen gewesen wären.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Nach der im fraglichen Zeitraum anzuwendenden Fassung des § 19 Abs 1 UStG werde bei Beratungsleistungen die Steuer vom Empfänger geschuldet, wenn
- der leistende Unternehmer weder im Inland einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte habe und
- der Leistungsempfänger Unternehmer sei und im Inland (Sitz), gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte habe.
Wenngleich Feststellungen darüber fehlten, ob der Beklagte einen Wohnsitz im Inland gehabt habe, sei die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes jedenfalls zutreffend.
Unter "Reverse Charge System" verstehe man den Übergang der Steuerschuld: Erbringen ausländische Unternehmer von diesem System betroffene Leistungen, werde die Umsatzsteuer vom Leistungsempfänger geschuldet. Die Leistung sei daher ohne Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen. Der österreichische Unternehmer habe die Umsatzsteuer Schuld selbst zu ermitteln, könne die Steuer aber wie eine in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen.
Der von der Beklagten gezogene Vergleich mit der Rechtsprechung zum Brutto Titel sei unzutreffend. Der Regressanspruch des Arbeitgebers hinsichtlich Sozialversicherungs- und Steuerabgaben entstehe im Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung, während die Steuerschuld beim Reverse Charge System bereits mit der Ausführung der Leistung entstehe. Selbst wenn daher sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung des Reverse Charge Systems vorlägen, wäre zum Zeitpunkt des Vergleichs die Steuerschuld bereits entstanden gewesen, sodass kein neues Ereignis vorliege, das zum Gegenstand einer Oppositionsklage gemacht werden könnte.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, inwieweit eine Steuerpflicht nach dem Reverse Charge System eine Oppositionsgrund darstellt, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO iVm § 1 ASGG an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision nicht gebunden. Es ist daher aufzugreifen, dass die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichtes umschriebene Rechtsfrage die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht erfüllt.
Auf die umfangreichen Ausführungen der Revision zum Reverse Charge System, zu dessen Auswirkungen im Oppositionsprozess und insbesondere zur Frage, ob dem die Leistung empfangenden Unternehmer durch die Abfuhr der Umsatzsteuer ein Aufrechnungsanspruch oder ein Schuldtilgungseinwand erwächst, kommt es für die Entscheidung überhaupt nicht an. All diese Überlegungen beruhen auf einem Verständnis des Exekutionstitels, also des im Vorprozess geschlossenen Vergleichs, das durch dessen Inhalt nicht gedeckt ist.
Die Meinung der Klägerin, der Vergleich sei einem aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung bekannten und in ihrem Sinn zu beurteilenden Bruttotitel gleichzuhalten, ist unrichtig. Nach der von der Revisionswerberin angesprochenen Rechtsprechung ist der Arbeitnehmer berechtigt, den Bruttolohn einzuklagen, wobei die Rechtskraft des erwirkten Bruttotitels die Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers nicht berührt (RIS Justiz RS0000636; zuletzt etwa 9 ObA 100/03a); nach allgemeinem und von der Rechtsprechung gebilligten Verständnis ist bei solchen Titeln völlig klar, dass der Arbeitnehmer letztlich nur den Nettolohn erhalten soll. Dies wird mit dem Zusatz "brutto" in allgemein anerkannter Weise zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz dazu fehlt im hier zu beurteilenden Fall jeglicher Anhaltspunkt, aus dem geschlossen werden könnte, dass die damals klagende Partei weniger von der Beklagten erhalten soll, als aus dem klaren Vergleichswortlaut zum Ausdruck kommt. Aus der Formulierung "38.000,- inklusive Umsatzsteuer" kann dies von vornherein nicht erschlossen werden, weil daraus nur geschlossen werden kann, dass der Betrag, den der Zahlungsempfänger enthalten soll, auch Umsatzsteuer enthält. Dazu kommt, dass in der folgenden Aufschlüsselung des Vergleichsbetrages Umsatzsteuer nur im Zusammenhang mit den Verfahrenskosten angeführt wird. Überdies lässt die Revisionswerberin auch völlig unbeachtet, dass - wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat - beim Reverse Charge System die Leistung ohne Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen und es Sache des Leistungsempfängers ist, die Umsatzsteuerschuld selbst zu ermitteln (Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts I Rz 1494). Damit kann aber keineswegs unterstellt werden, dass die damalige Beklagte ohne eine entsprechende Vereinbarung berechtigt wäre, vom vereinbarten Vergleichsbetrag einen Abzug vorzunehmen.
Dazu kommt, dass im Vorprozess die zwischen den Parteien strittige Frage, ob der damalige Kläger im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder selbständig tätig war, offen geblieben ist; mit ihrer nunmehrigen Rechtsauffassung unterstellt die damalige Beklagte ihren Prozessstandpunkt als richtig, ohne dass eine entsprechende Einigung aus dem Vergleich ersichtlich wäre. Es wäre Sache der damaligen Beklagten gewesen, einen ihrem Standpunkt entsprechenden Vergleich abzuschließen oder - falls dies nicht möglich gewesen wäre - vom Vergleich Abstand zu nehmen und eine Klarstellung durch Urteil anzustreben. Nunmehr nachträglich dem Vergleich eine ihr genehme Deutung zu geben und ihn - ohne auf eine rechtfertigende Grundlage im Vergleichstext verweisen zu können - dahin zu interpretieren, dass dem Beklagten nur ein Teil des im Vergleich genannten Betrages auszuzahlen sei, ist nicht zulässig.
Der geltend gemachte Oppositionsgrund liegt daher nicht vor, ohne dass nähere Ausführungen zu den in der Revision aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit dem Reverse Charge System erforderlich sind.
Da somit keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, ist die Revision nicht zulässig.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.