11Os127/03 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Februar 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Frank Willi Georg S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. März 2003, GZ 22 Hv 20/03p-68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Frank Willi Georg S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB (Punkt C des Urteilssatzes), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (D), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (B 2, 3b) und der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (B 3c)sowie der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A), der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B 1, 3a) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (E) schuldig erkannt.
Danach hat er, zusammengefasst wiedergegeben, in Graz (zu A) am 23. Mai 2002, im September 2002 und am 27. Oktober 2002 Karin L***** durch Versetzen von Schlägen, Stößen, einem Tritt und durch Würgen leichte, im Spruch näher angeführte Verletzungen, sowie nachts zum 14. Oktober 2002 der Viktoria L***** durch Kneifen in die Brust ein Hämatom zugefügt;
(zu B) im Mai und Oktober 2002 Karin L***** in mehrfachen Angriffen auf im Spruch detailliert beschriebene Weise mit Gewalt und durch gefährliche Drohung, teilweise mit dem Tod, teilweise mit einer erheblichen Verstümmelung zu im Spruch konkretisierten Handlungen, Duldungen und Unterlassungen genötigt oder zu nötigen versucht; (zu C) in der Nacht zum 14. Oktober 2002 mit der am 29. April 1993 geborenen unmündigen Viktoria L***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er ihren Genitalbereich betastete und einen Finger in die Scheide einführte; (zu D) in derselben Nacht außer dem Fall des § 206 StGB an der unmündigen Viktoria L***** in mehrfachen Angriffen geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er sie am Geschlechtsteil streichelte, und
(zu E) durch die zu C und D angeführten Straftaten die minderjährige Viktoria L*****, die seiner Aufsicht als Lebensgefährte ihrer Mutter unterstand, unter Ausnutzung seiner Stellung zur Unzucht missbraucht. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z 3, 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der auch den Strafausspruch und das Adhäsionserkenntnis mit Berufung anficht.
Rechtliche Beurteilung
Die aus Z 3 erhobene Kritik, die Zeugin Viktoria L***** sei anlässlich ihrer Vernehmung durch den Untersuchungsrichter in der Beweistagsatzung vom 24. November 2002 nicht über die ihr nach § 152 Abs 1 Z 2a und 3 StPO (als unmündiges Opfer von Sexualverbrechen) zustehenden Entschlagungsrechte belehrt worden und habe daher auch nicht darauf verzichtet, ist unberechtigt, weil die angeführten Zeugnisverweigerungsrechte dem unmündigen Tatopfer nicht von vornherein, sondern erst nach Durchführung einer kontradiktorischen Vernehmung zukommen, für diese selbst daher noch keine Berücksichtigung finden können.
Die unter demselben Nichtigkeitsgrund vorgebrachten Einwände gegen die Zulässigkeit der Vernehmung der Zeugen Karin L*****, Dr. Ursula G***** und Mag. Gabriela K***** gehen ebenfalls ins Leere. Karin L***** hatte in der Hauptverhandlung vom 15. Mai 2003 auf ein allfällig bestehendes Entschlagungsrecht (nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 72 Abs 2 StGB) ausdrücklich verzichtet (S 114/I). Dass die Zeugen Dr. G***** und Mag. K***** unter ausdrücklichem Verzicht auf ihr in § 152 Abs 1 Z 5 StPO begründetes Entschlagungsrecht aussagten, ohne von ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht entbunden worden zu sein, bewirkt der Beschwerdeansicht zuwider keine Nichtigkeit. Weshalb darin eine Umgehung des zur alleinigen Disposition der Zeugen stehenden Entschlagungsrechtes gelegen sein soll, ist nicht nachvollziehbar und wurde auch nicht erläutert.
Nicht zielführend ist die Verfahrensrüge (Z 4). Der Antrag auf Einholung der Krankengeschichte über die Verletzung der (linken) Hand des Angeklagten lässt nicht erkennen, inwieweit hiedurch bewiesen werden könnte, dass der Angeklagte die Verletzungen der Karin L***** nicht hätte zufügen können. Darüber hinaus gelangten die Tatrichter beweiswürdigend zur Überzeugung, dass die Tatbegehung dem Angeklagten ungeachtet der behaupteten Verletzung möglich war, zumal er auch mit der unverletzten Hand die Zeugin attackieren konnte (US 15). Zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über das behauptete Vorliegen psychischer Traumata bei Karin L***** als Motivation für deren angebliche Einflussnahme auf ihre Tochter Viktoria zur Erwirkung unrichtiger Anschuldigungen war das Schöffengericht schon deshalb nicht verhalten, weil es mit mängelfreier Begründung eine Beeinflussung der Viktoria L***** durch ihre Mutter verneinte (US 12).
Die Zufügung eines Hämatoms im linken Brustbereich Viktoria L*****s (Schuldspruch A 3) stützte das Erstgericht auf die Aussage des Tatopfers und den Befund des LKH Graz (US 14), während die Urheberschaft für einen weiteren spürbaren Knoten dem Angeklagten nicht angelastet wurde. Der Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens über die möglichen Entstehungsweisen "der Knoten" wurde daher zutreffend als unzulässiger Erkundungsbeweis (in Ansehung des Hämatoms) und (in Bezug auf den zweiten Knoten) nicht entscheidungsrelevant abgewiesen.
Der Antrag auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie, hier - der Sache nach - über die Aussageehrlichkeit der Zeugin Viktoria L*****, erfordert den Nachweis von Mängeln des (Erst )Gutachtens der in §§ 125 und 126 StPO bezeichneten Art, welche durch eine nochmalige Vernehmung des Sachverständigen (hier Dr. B*****) nicht beseitigt werden können. Die substratlose Behauptung einer in der Lehre angeblich anderen Sicht der Konfabulationsproblematik reicht dafür nicht hin, ganz abgesehen davon, dass die Verteidigung die ihr offen gestandene Möglichkeit, den Sachverständigen anlässlich der Gutachtenserörterung damit zu konfrontieren, ungenützt ließ (S 35 ff, 39/II).
Die Vernehmung der Zeugen Dr. Barbara L***** und Brigitte H*****, durch deren Aussagen eine extreme Eifersucht der Karin L***** bewiesen werden sollte, konnte ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten unterbleiben, weil der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen vermochte, inwieweit dieser Umstand die dem Gericht durch die Gesamtheit der ihm bereits vorliegenden Verfahrensergebnisse vermittelte Sach- und Beweislage maßgeblich verändern hätte können (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 63). Gleiches gilt für die Zeugen G***** und R*****, die bezeugen sollten, dass Viktoria L***** ihnen gegenüber andere Erlebnisse schilderte als im Strafverfahren. Soweit in der Mängelrüge (Z 5) Feststellungen zum Alkohol-, Ecstasy- und Medikamentenkonsum des Angeklagten vermisst werden und in der Vernachlässigung darauf hinweisender Verfahrensergebnisse eine Unvollständigkeit in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes releviert wird, ist davon keine für die rechtliche Beurteilung entscheidende Tatsache betroffen. Mit dem Versuch hinwieder, aus Widersprüchen in den Aussagen der Viktoria L***** - mit denen sich die Tatrichter in ihren beweiswürdigenden Erwägungen auseinandergesetzt haben - Bedenken an der Richtigkeit der den Schuldspruch tragenden Feststellungen zu erwecken, bekämpft der Beschwerdeführer lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
Der im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) erhobene, auf sämtliche Schuldspruchfakten bezogene Vorwurf unzureichender Feststellungen zur subjektiven Tatseite verfehlt schon wegen seiner allgemeinen Formulierung, womit dem Gebot der deutlichen und bestimmten Bezeichnung der Nichtigkeitsgründe nicht entsprochen wird, aber auch durch die Missachtung der tatsächlich getroffenen Konstatierungen (US 8 ff) eine prozessordnungsgemäße Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.
Auch die Subsumtionsrüge (Z 10), welche unter Verweis auf eigenständig interpretierte Aussagepassagen der Zeugin Viktoria L***** die Urteilsannahmen zum Faktum C, wonach der Angeklagte einen Finger in die Scheide des Opfers eingeführt hat, bestreitet und das Verhalten des Beschwerdeführers dem Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB unterstellt wissen will, orientiert sich damit nicht am Urteilssachverhalt, wie es für eine gesetzmäßige Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlich wäre.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als zum Teil nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, zum Teil als offenbar unbegründet bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 und § 285d Abs 1 Z 2 StPO), woraus sich die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.