JudikaturOGH

14Os12/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Jänner 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner und Hon. Prof. Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loewe als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mesut S***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 15 Ur 302/03m des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 23. Dezember 2003, AZ 10 Bs 287/03 (ON 27 des Ur-Aktes), nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Mesut S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 581 EUR zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Gegen Mesut S***** wird beim Landesgericht für Strafsachen Graz (entgegen dem auf Einleitung der Voruntersuchung nur wegen "§§ 107 ff" StGB gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft) eine Voruntersuchung wegen des Verdachts des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB geführt. Danach sei Mesut S***** dringend verdächtig, am 19. November 2003 in Feldbach

1. Regina S***** mit Gewalt, indem er sie mit seinem Fahrzeug überholte, dieses nach rechts verriss und scharf abbremste, und durch gefährliche Drohung, indem er beim Überholen der Regina S***** mit einer Faustfeuerwaffe durch seine Windschutzscheibe auf deren Auto zielte, mithin durch Drohung mit dem Tod, zu einer Handlung, nämlich zum starken Abbremsen und letztlich zum Anhalten ihres Wagens, genötigt zu haben und

2. nach diesem Vorgehen Regina S*****, Waltraud P*****, Rosina H***** und Kerstin M***** dadurch, dass er, während er auf das Auto der Frauen zuging, mit einer Faustfeuerwaffe auf die Frauen zielte, diese mit dem Tod gefährlich bedroht zu haben, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Der Beschuldigte befindet sich zu diesem Verfahren seit 20. November 2003 aus dem nunmehr nur noch aktuellen Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit d StPO in Untersuchungshaft. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz einer gegen die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gerichteten Beschwerde des Mesut S***** nicht Folge und ordnete deren Fortsetzung bis längstens 23. Februar 2004 an.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde, welche den dringenden Tatverdacht bekämpft, kommt Berechtigung zu.

Der Gerichtshof zweiter Instanz stützte den dringenden Tatverdacht auf die "Ergebnisse der Voruntersuchung", wobei er insbesondere darauf verwies, das Regina S*****, Rosina H***** und Kerstin M***** inzwischen gerichtlich vernommen werden konnten. Soweit der Beschwerdeführer eine verabredete Falschbezichtigung behauptete, sei ihm zu entgegnen, "dass dafür die Angaben der Zeuginnen jeweils für sich genommen sowie die Aussagen untereinander zu widersprüchlich sind" (S 193).

Mit diesen offensichtlich erkannten Widersprüchen hat sich - wie die Grundrechtsbeschwerde zutreffend aufzeigt - das Beschwerdegericht aber nicht auseinandergesetzt. So hat die Zeugin Regina S***** vor der Untersuchungsrichterin (ON 16) drei Varianten über die Fahrt des Autos des Beschuldigten angegeben (S 125: an der Kreuzung gegenübergestanden; S 127: das Fahrzeug ist vor mir gestanden; S 129:

das Auto befand sich im Querverkehr). Von einer Nötigung zum Anhalten hat sie überhaupt nicht gesprochen, sondern vielmehr behauptet, der Beschuldigte sei auf einen Parkplatz zugefahren, sie sei mit ihrem Auto auf der Fahrbahn weitergefahren (S 125). Das Zufahren des Beschuldigten auf einen Parkplatz haben auch die Zeuginnen Rosina H***** (S 137) und Kerstin M***** (S 155) bestätigt. Damit findet aber der Tatverdacht zum Verbrechen der (versuchten) schweren Nötigung in den Aussagen der Zeuginnen keine Deckung. Auch zum Vergehen der Drohung haben die Zeuginnen jeweils mehrere Varianten angegeben, wobei Regina S***** von einer Bedrohung durch die Windschutzscheibe, die beiden anderen Zeuginnen von einer Bedrohung durch die Seitenscheibe sprachen. Während Kerstin M***** bei dem am Parkplatz stehenden Beschuldigten keine Waffe sah (S 155), gab Rosina H***** an, der Beschuldigte habe zu diesem Zeitpunkt so in seine Jacke gegriffen, als wolle er die Pistole ziehen (S 137). Regina S***** behauptete hingegen, er habe mit der Waffe auf sie gezielt, allerdings zu einem Zeitpunkt, als er sich noch im Auto befand (S 125). Warum die Zeuginnen trotz Dunkelheit eindeutig erkannt haben, dass es sich um eine Waffe handelte, obwohl sie diese nicht näher beschreiben konnten, blieb bisher ungeklärt. Aufgrund dieser Aussagen ist somit entgegen der Meinung des Oberlandesgerichtes ein dringender Tatverdacht nicht zu begründen. Da es demnach an einer essentiellen Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft fehlt, wurde Mesut S***** durch die angefochtene Entscheidung in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Dieser Beschluss war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators - aufzuheben.

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG. Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind die Gericht verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich einen der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Zustand herzustellen. Da die Begründungsmängel fallbezogen nicht beseitigt werden können, ist der Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

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