2Ob295/03a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Rudolf B*****, 2.) Peter S*****, 3.) Günther M*****, 4.) Otto Helmut P*****, 5.) Gerhard T*****, 6.) Ing. Bernhard H*****, 7.) Verlassenschaft nach dem am 18. 12. 2002 verstorbenen Dr. Josef B*****, 8.) Helmut H*****, 9.) Johann K*****,
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Die 33 Kläger begehrten in ihren verbundenen Klagen Zahlung von je EUR 23.340,18 sA. Sie behaupteten, sich im Zuge von Blutplasmaspenden in den Plasmapheresestellen einer Betreibergesellschaft in Wien, Linz und Klagenfurt im Zeitraum 1969 bis 1980 mit dem Hepatitits-C-Virus infiziert zu haben. Der Klagevertreter habe namens 259 Geschädigter Ansprüche geltend gemacht und zwar teilweise mittels Klage bereits vor dem Konkurs der Betreibergesellschaft, teilweise durch Anmeldung im Konkurs. Drei dieser Klagen seien als Testklagen ausgewählt und sei dieses Verfahren zu 7 Cg 8/99v des LGZ Wien durchgeführt worden, während die Verfahren der Kläger überwiegend bis zur rechtskräftigen Entscheidung in diesem Verfahren dem Grunde nach unterbrochen worden seien, um Kosten zu sparen. Mit Zwischenurteil des LGZ Wien vom 25. 10. 2000 sei die Haftung der Betreibergesellschaft für im Zusammenhang mit den Plasmaspenden den Klägern zugefügten Schäden dem Grunde nach aus dem Rechtsgrund der mangelhaften medizinischen Aufklärung festgestellt worden. Am 28. 6. 2001 sei ein außergerichtlicher Vergleich zwischen den Hepatitis-C-Opfern und den Haftpflichtversicherern der Betreibergesellschaft des Inhaltes abgeschlossen worden, dass die Haftpflichtversicherer an die 259 vom Klagevertreter vertretenen Betroffenen eine Entschädigung von insgesamt EUR 7,412.629,08 (S 102 Mio), einen Betrag von EUR 363.364,17 (S 5 Mio) für die nicht vom Klagevertreter vertretenen Betroffenen sowie einen Betrag von weiteren EUR 363.364,17 (S 5 Mio) an die Sozialversicherungsträger auszuzahlen haben. Hiebei habe es sich lediglich um etwas mehr als die Hälfte der für die gesamte Zeit des Versicherungsschutzes zur Verfügung stehenden Versicherungssumme von insgesamt EUR 14.534.566,83 (S 200 Mio) gehandelt. Hauptursache für die unterbliebene Auszahlung der gesamten Versicherungssumme sei, dass der Beklagte in seinem im Verfahren 7 Cg 8/99v des LGZ Wien erstatteten Gutachten vom 28. 12. 1999 zwar die Kausalität zwischen Plasmaspende und Eintritt der Hepatitis-C-Erkrankung, nicht jedoch die behaupteten katastrophalen hygienischen Missstände in der Plasmapheresestelle bejaht habe.
Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich seine Entscheidung im Rahmen der (eingehend) dargestellten höchstgerichtlichen Judikatur zur Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen gegenüber verfahrensfremden Personen halte.
Rechtliche Beurteilung
Die Kläger erhoben außerordentliche Revision. Ihrer Zulassungsbeschwerde ist zuzugeben, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehlt, ob der Schutzzweck der gerichtlichen Sachverständigenbestellung in einem "Musterprozess" sich auch auf Kläger erstreckt, deren Verfahren bis zur Erledigung des "Musterprozesses" unterbrochen wurden; es ist auch zweifelhaft, ob die dies verneinende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes in Einklang mit den Grundsätzen der jüngeren Rechtsprechung zur Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten steht (vgl RIS-Justiz RS0017178, RS0026316, RS00106433, RS0114126). Allerdings muss die aufgezeigte, im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage im vorliegenden Fall aus folgenden Erwägungen nicht beantwortet werden:
Die Gutachtenserstattung des Beklagten erfolgte auf der Grundlage von Zeugenaussagen. Während (leitende) Ärzte der Plasmapheresestelle das Vorliegen von Umständen, aus denen sich Hygienemängel ergeben würden, verneinten, wurden solche Umstände von Laborpersonal und Patienten geschildert. Wie schon das Erstgericht ausgeführt hat, sind das schriftliche Gutachten vom 28. 12. 1999 und das mündliche Ergänzungsgutachten vom 12. 5. 2000 als Einheit zu sehen. In seinem schriftlichen Gutachten versuchte der Beklagte noch die Widersprüche in den Zeugenaussagen aufzulösen und meinte er, dem damaligen Stand der Wissenschaft sei entsprochen worden. Nach weiteren in seiner Anwesenheit durchgeführten Zeugenaussagen ergänzte er sein Gutachten mündlich dahin, dass nach diesen Zeugenaussagen Hygienemängel vorliegen würden; letztlich hänge dies davon ab, welchen Zeugenaussagen man Glauben schenke. Das Gutachtensergebnis war also alternativ. Je nachdem wie die Würdigung der Zeugenaussagen - die nur dem Gericht zustand - ausfallen würde, wären hygienische Missstände anzunehmen oder nicht. Das Gericht konnte diese Beweiswürdigungsfrage im Vorprozess in seinem Zwischenurteil aber offen lassen, weil es die Haftung der damals beklagten Partei bereits aus anderen Gründen (Verletzung der Aufklärungspflicht) bejahte. Die im Zuge der späteren Vergleichsverhandlungen diskutierte versicherungsrechtliche Problematik (Serienschaden, Umfang der Versicherungsdeckung) spielte bei der Fällung des Zwischenurteiles keine Rolle. Zum von den Klägern nunmehr hergestellten Zusammenhang zwischen dem schriftlichen Gutachten vom 28. 12. 1999 und dem Vergleichsabschluss unterhalb der Gesamtversicherungssumme ist noch Folgendes zu bemerken: Einerseits darf dieses Gutachten nicht isoliert gesehen werden, sondern ist das Endergebnis der Sachverständigentätigkeit nach mündlicher Gutachtensergänzung wesentlich; andererseits war die Beweiswürdigung der divergierenden Zeugenaussagen allein Sache des Gerichtes und nicht des Sachverständigen. Mehr als die Abgabe eines im Ergebnis schließlich doch alternativen Gutachtens konnte vom Beklagten nicht erwartet werden. Im Übrigen hat auch der damalige Beklagtenvertreter das Ergänzungsgutachten als für ihn nachteilig angesehen, weil er sich auf Grund der Gutachtenserörterung veranlasst sah, die Vernehmung weiterer Zeugen zum Beweis dafür zu beantragen, dass die Hygienebedingungen dem damaligen Stand der Technik entsprochen haben, wovon er bislang auf Grund des schriftlichen Gutachtens ausgegangen sei. Schließlich hat sich auch das Versicherungskonsortium in seiner Vergleichsargumentation nicht auf das schriftliche Sachverständigengutachten, sondern nur auf das Zwischenurteil bezogen (vgl Beilagen ./i und ./J). Dass in diesem eine Beweiswürdigung in der Hygienefrage (weil entbehrlich) nicht enthalten war, kann dem Beklagten aber nicht angelastet werden.
Schon aus diesem (im Wesentlichen bereits vom Erstgericht genannten) Grund sind die Klagsforderungen nicht berechtigt. Mangels rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten kommt es auf die Kausalität des schriftlichen Gutachtens für den Vergleichsabschluss nicht an, weshalb das Berufungsgericht auf die diesbezügliche Verfahrensrüge der Kläger nicht weiter eingehen musste. Da es somit der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, war die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen.