JudikaturOGH

1Ob171/03h – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. August 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingeborg E*****, vertreten durch Dr. Heinrich Nagl und Dr. Rudolf Ruisinger, Rechtsanwälte in Horn, wider die beklagte Partei Dr. Johann S*****, vertreten durch Dr. Peter Lambert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Gewährung des Zutritts zu einer Liegenschaft, Schlüsselherausgabe und Beseitigung (Streitwert 4.360,37 EUR) infolge "außerordentlicher" Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems als Berufungsgericht vom 27. Mai 2003, GZ 2 R 226/02a-34, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die "außerordentliche" Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte, den Beklagten, ihren Halbbruder, aufgrund der am 4. 2. 2000 eingebrachten Klage schuldig zu erkennen, ihr zwei Schlüssel zu einem vom Beklagten an der Nordseite eines im Miteigentum der Streitteile stehenden Grundstücks errichteten Metalltors auszuhändigen oder dieses Tor zu entfernen und ihr überdies den ungehinderten Zutritt zu diesem Grundstück zu gewähren. Sie bewertete ihr geldwertes Interesse an der Durchsetzung des Klagebegehrens nach § 59 JN mit 60.000 S (= 4.360,37 EUR). Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Urteil vom 26. 5. 2002 statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 27. 5. 2003. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR nicht übersteige und die Revision jedenfalls unzulässig sei.

Der Beklagte bekämpft dieses Urteil mit "außerordentlicher" Revision.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

1. Nach Ansicht des Beklagten war das Berufungsgericht an die Bewertung des Streitgegenstands durch die Klägerin gebunden. Es hätte daher nicht ohne nähere Begründung aussprechen dürfen, dass der Wert des zweitinstanzlichen Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR nicht übersteige. Der zweitinstanzliche Ausspruch verstoße gegen Art 6 EMRK. Er sei "willkürlich und nichtig". Deshalb sei die erhobene "außerordentliche" Revision zulässig.

2. Gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO hat das Berufungsgericht bei allen nicht ausschließlich in Geld bestehenden Ansprüchen einen Ausspruch über den Wert des zweitinstanzlichen Entscheidungsgegenstands zu treffen. Es ist dabei nicht an die Bewertung des Klägers nach §§ 56 Abs 2 und 59 JN gebunden; sein Ausspruch ist gemäß § 500 Abs 4 ZPO unanfechtbar und bindend, soferne nicht zwingende Bewertungsvorschriften verletzt wurden, eine Bewertung gar nicht vorzunehmen war oder die Revisionszulässigkeit in den im § 502 Abs 5 ZPO angeführten Streitigkeiten unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands geregelt ist. Die hier auch nach Ansicht des Beklagten maßgebende - in § 500 Abs 3 ZPO nicht genannte - Bewertungsvorschrift des § 59 JN ist nicht zwingend in dem Sinn, dass der Wert des Streitgegenstands nach objektiven Kriterien zu bemessen wäre. Eine innerhalb des Ermessensbereichs vorgenommene Bewertung entzieht sich aber einer Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof (1 Ob 214/01d mwN). Der Oberste Gerichtshof judiziert überdies in ständiger Rechtsprechung, dass die nähere Ausgestaltung der institutionellen Garantien der Gerichtsbarkeit gemäß Art 6 EMRK dem staatlichen Ermessen vorbehalten sei, soweit nur der Grundsatz des Zugangs zu den Gerichten gewahrt bleibe. Deshalb gewähre die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf einen Instanzenzug oder, wo ein solcher bestehe, auf eine Gerichtsbarkeit in allen Instanzen samt Zugang zu einem Höchstgericht (1 Ob 362/97k = SZ 70/246 mwN). Auch Art 92 Abs 1 B-VG enthalte nur eine Bestandsgarantie für den Obersten Gerichtshof. Daraus sei nicht zu schließen, dass jede in einem gerichtlichen Verfahren ergehende Entscheidung einem Rechtszug an den Obersten Gerichtshof unterworfen sein müsse (1 Ob 196/98z mwN). An diesen Leitlinien ist festzuhalten.

3. Es trifft zu, dass die zweite Instanz die Bewertung des Entscheidungsgegenstands nur unter Berufung auf die Vorschrift des § 500 Abs 2 Z 1 lit a ZPO, nicht aber inhaltlich begründete. Das allein erlaubt jedoch - bei einem vom Kläger angegebenen Wert des Streitgegenstands von bloß 60.000 S (= 4.360,37 EUR) - noch keinen Schluss auf eine offenkundige Überschreitung des Ermessensrahmens. Auch der Beklagte vermag keine konkreten Gründe anzuführen, weshalb der zweitinstanzliche Entscheidungsgegenstand bei einer nicht an die Ansicht des Klägers gebundenen wertenden Beurteilung durch das Berufungsgericht jedenfalls 4.000 EUR übersteigen müsse. Das Berufungsgericht hat somit gegen die nach § 500 Abs 2 Z 1 iVm § 500 Abs 3 Satz 1 ZPO sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der Jurisdiktionsnorm nicht verstoßen. Der Beklagte übersieht aber auch, dass eine "außerordentliche" Revision selbst auf dem Boden seines Standpunkts, als zweitinstanzlicher Entscheidungsgegenstand habe ein Betrag von 4.360,37 EUR zu gelten, unzulässig wäre. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPO auszusprechen gehabt, ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist oder nicht. Hätte es die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt, so wäre lediglich der mit einer ordentlichen Revision verbundene Antrag an das Berufungsgericht gemäß § 508 Abs 1 ZPO, nicht dagegen die Erhebung einer außerordentlichen Revision möglich gewesen.

Nach allen bisherigen Erwägungen erweist sich die Revision des Beklagten als gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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