10ObS152/03f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Scherz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Mag. Huberta Gheneff Fürst, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Höhe der Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 23. Jänner 2003, GZ 8 Rs 337/02s 12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichtes Wien vom 7. August 2002, GZ 24 Cgs 43/02t 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
In dem vom Kläger gegen die beklagte Partei zur AZ 13 Cgs 54/00a des Arbeits und Sozialgerichtes Wien geführten Vorverfahren erkannte der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 30. Oktober 2001, 10 ObS 314/01a, die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 7. 3. 1985 ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von S 338.100 eine Versehrtenrente (Dauerrente) im Ausmaß von 80 vH der Vollrente samt Zusatzrente für Schwerversehrte in der jeweils betragsmäßig angeführten Höhe zu zahlen.
Mit Bescheid vom 6. 3. 2002 stellte die beklagte Partei aufgrund eines Antrages des Klägers fest, dass die aus Anlass des Arbeitsunfalles vom 7. 3. 1985 gebührende Versehrtenrente mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2002 gemäß § 108g ASVG mit dem durch Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 14. 12. 2001 (BGBl II 2001/439) mit 1,011 festgesetzten Anpassungsfaktor vervielfacht worden sei und die Versehrtenrente ab 1. 1. 2002 EUR 1.362,70 monatlich sowie die Zusatzrente EUR 681,35 monatlich betrage.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, "nach von Amts wegen veranlasster Aufhebung des § 205 Abs 2 Z 1 ASVG mit der verfassungswidrigen Einschränkung auf zwei Drittel des Schadens die Unfallrente seit dem 1. 1. 2001 aufgrund der festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auf der Basis der festgestellten Beitragsgrundlagen zu bemessen und zu zahlen". Weiters beantragte der Kläger für den Fall der Unterbrechung des Verfahrens nach § 74 Abs 1 ASGG die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm "eine vorläufige monatliche Leistung in Höhe von einem Drittel der bisher erbrachten Leistung seit 1. 1. 2001, zusätzlich zur im Bescheid vom 6. 3. 2002 ausgewiesenen Leistung, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Vorfrage zu zahlen." Der Kläger stützte sein Begehren darauf, dass die Bestimmung des § 205 Abs 2 Z 1 ASVG, wonach die Vollrente im Ausmaß von 66 2/3 vH der Bemessungsgrundlage gebührt, seit der seit 1. 1. 2001 vorgesehenen Besteuerung der Unfallrenten verfassungswidrig sei. Damit werde die bisher steuerfrei als Netto Rente ausbezahlte Unfallrente der vollen Besteuerung unterworfen. Der Gesetzgeber habe es unterlassen, entsprechende Begleitmaßnahmen zu erlassen und die im § 205 Abs 2 Z 1 ASVG enthaltene Beschränkung der Rente auf 2/3 des positiven Schadens aufzuheben.
Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Klage, weil das vorliegende Klagebegehren nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides sei. Das Klagebegehren sei auch inhaltlich nicht berechtigt.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 7. 3. 1985 ab 1. 1. 2002 die Versehrtenrente sowie die Zusatzrente in der im Bescheid jeweils festgesetzten Höhe zu gewähren und wies ein darüber hinausgehendes Mehrbegehren des Klägers ab. Weiters wies das Erstgericht einen Antrag des Klägers auf Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 74 Abs 1 ASGG sowie auf Zuspruch von vorprozessualen Kosten ab. Das Erstgericht verwies im Wesentlichen darauf, dass es die vom Kläger behauptete Verfassungswidrigkeit nicht aufgreifen könne. Ein Unterbrechungsgrund im Sinn des § 74 Abs 1 ASGG liege nicht vor, weil der Kläger die Richtigkeit der als Basis für die Bemessung der Versehrtenrente festgestellten Beitragsgrundlagen nicht bestritten habe. Daher scheide auch die Zuerkennung einer vorläufigen Leistung nach § 74 Abs 2 ASGG aus.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass nach dem maßgeblichen Vorbringen des Klägers die in § 74 Abs 1 ASGG genannte maßgebende Beitragsgrundlage als Vorfrage im gegenständlichen Verfahren nicht strittig sei, weshalb kein Anlass für eine Unterbrechung des Verfahrens zur Klärung dieser Vorfrage als Hauptfrage im Verwaltungsverfahren gemäß § 74 Abs 1 ASGG bestehe. In der Sache selbst verneinte das Berufungsgericht unter Hinweis auf das mittlerweile zur Unfallrenten Besteuerung ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. 12. 2002, G 85/02, das Vorliegen der vom Kläger gegen die Bestimmung des § 205 Abs 2 Z 1 ASVG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Problematik einer möglichen Verfassungswidrigkeit der genannten Bestimmung im Hinblick auf die Besteuerung der Unfallrenten eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil nach Aufhebung der Bestimmung des § 205 Abs 2 Z 1 (bzw teilweise Z 2) ASVG durch den Verfassungsgerichtshof im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Kläger zieht auch in seinen Revisionsausführungen nicht die Richtigkeit der von der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid gemäß § 108g ASVG mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2002 vorgenommenen Rentenanpassung in Zweifel. Er wiederholt lediglich seine bereits im Verfahren erster und zweiter Instanz gegen die Bestimmung des § 205 Abs 2 Z 1 ASVG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Berechnung der Vollrente in Höhe von 66 2/3 vH (statt 100 vH) der Bemessungsgrundlage sei bis zum 1. 1. 2001 sachgerecht gewesen, da diese Einschränkung als Ausgleich dafür gelten sollte, dass die Rente keiner Besteuerung unterzogen worden sei. Seit 1. 1. 2001 werde die Rente jedoch der vollen Besteuerung unterzogen. Im Rahmen dieser steuerrechtlichen Änderung sei es unterlassen worden, eine entsprechende Anpassung der Höhe der Bemessungsgrundlage in § 205 Abs 2 Z 1 ASVG vorzunehmen. Der Rentenempfänger unterliege demnach seit 1. 1. 2001 einer doppelten verfassungswidrigen Belastung, nämlich zum einen der Einschränkung der Rente auf 66 2/3 vH der Bemessungsgrundlage und zum anderen einer zusätzlichen Besteuerung dieser Rente. Eine Einschränkung der Rente auf 66 2/3 des Schadens sei durch die hinzugetretene Besteuerung seit 1. 1. 2001 nicht gerechtfertigt und stelle einen Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährte subjektive Recht auf Eigentum dar. Überdies sei derjenige, der aus einem Arbeitsunfall geschädigt worden sei und dessen Schaden nunmehr nur mit versteuerten 66 2/3 vH der Bemessungsgrundlage ersetzt werde, gegenüber einer Person, die durch einen nicht dem ASVG unterliegenden Unfall den vollen Bruttoschadenersatzanspruch gegen den Schädiger habe, im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
Während die sich aus § 411 ZPO ergebende Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die bereits entschiedene Hauptfrage verhindert, verbietet die Bindungswirkung dem Richter des Folgeprozesses, die im Vorprozess als Hauptfrage - rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbständig zu beurteilen. Aufgrund der Bindungswirkung hat der Richter des zweiten Prozesses zwischen denselben Parteien die präjudizielle Entscheidung seiner eigenen Entscheidung zugrundezulegen, ohne die Vorfrage zu prüfen ( Rechberger in Rechberger , ZPO² Rz 3 zu § 411).
In dem bereits erwähnten Vorverfahren 13 Cgs 54/00a des Arbeits und Sozialgerichtes Wien wurde die Höhe der dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 7. 3. 1985 gebührenden Versehrtenrente und Zusatzrente (Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, Höhe und Prozentsatz der Bemessungsgrundlage sowie Höhe der auf dieser Grundlage gebührenden Rentenleistungen) rechtskräftig festgestellt. Grundsätzlich steht die Rechtskraft eines Bescheides der neuerlichen Prüfung der Grundlagen dieser Entscheidung im Leistungsverfahren entgegen. Ausnahmen bestehen nur für Fälle, in denen nach dem Zeitpunkt der Entscheidung eine maßgebliche Änderung des Sachverhalts eingetreten ist, wie etwa im Fall des § 183 Abs 1 ASVG. Es werden in dieser Norm bestimmte Voraussetzungen statuiert, unter denen die Rechtskraft von Bescheiden innerhalb von bestimmten Grenzen ihre Wirksamkeit verliert, wobei sich § 183 Abs 1 ASVG nicht nur auf durch Bescheide der Unfallversicherungsträger festgestellte Renten bezieht, sondern auch dann anzuwenden ist, wenn ein Urteil oder Vergleich im gerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund der Rente bildet (SSV NF 15/47; 2/96 ua). Ein Fall des § 183 Abs 1 ASVG liegt jedoch in Bezug auf die Grundlagen der im Vorverfahren erfolgten Berechnung der Höhe der Rentenleistungen nicht vor. In Ermangelung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gemäß § 183 Abs 1 ASVG steht somit die Rechtskraft der Vorentscheidung der vom Kläger angestrebten Neubemessung seiner Rentenleistungen im Wege (SSV NF 15/47 mwN). Vom Kläger könnte somit im gegenständlichen Verfahren nur der Umfang der Anpassung der Renten im Hinblick auf den anzuwendenden Anpassungsfaktor in Frage gestellt werden, wobei von der bisherigen rechtskräftig festgesetzten - Rentenhöhe auszugehen wäre. Da der Kläger jedoch selbst, wie bereits ausgeführt, die Richtigkeit dieser von der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid gemäß § 108g ASVG mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2002 vorgenommenen Rentenanpassung nicht in Zweifel zieht, konnte seinem Klagebegehren schon aus diesem Grund kein Erfolg beschieden sein. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Revisisionsausführungen des Klägers hat daher nicht zu erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.