JudikaturOGH

12Os36/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juni 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Habl, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in den Strafsachen gegen Karen R***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 U 264/00v und 4 U 17/02y des Bezirksgerichtes Vöcklabruck, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil vom 12. Dezember 2002, GZ 4 U 17/02y-42, die Abfassung eines Protokollsvermerks (4 U 264/00v), die Unterlassung der Verständigung der Bewährungshilfe von der Hauptverhandlung und der Einsicht in den Vorakt gemäß § 494a Abs 3 StPO (jeweils 4 U 17/02y) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Oshidari, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Gesetz wurde verletzt

A) in der Jugendstrafsache gegen Karen R***** wegen des Vergehens

nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 4 U 264/00v des Bezirksgerichtes Vöcklabruck, durch die Abfassung eines Protokollsvermerkes nach § 458 Abs 2 StPO in der Bestimmung des § 32 Abs 2 JGG;

B) in der Jugendstrafsache gegen Karen R***** wegen des Vergehens

nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 U 17/02y des Bezirksgerichtes Vöcklabruck, durch

l. die Unterlassung der Ladung der im Verfahren AZ 15 Hv 111/02w des Landesgerichtes Wels bestellten Bewährungshelferin zur Hauptverhandlung am 12. Dezember 2002 in der Bestimmung des § 40 JGG;

2. das Urteil vom 12. Dezember 2002 (ON 42) soweit damit

a) zum Schuldspruch dieses Gerichtes vom l. Februar 2001, GZ 4 U 264/00v-10, (neuerlich) nachträglich eine Strafe ausgesprochen wurde, in der Bestimmung des § 15 Abs 1 JGG,

b) die Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 10. September 2002, GZ 15 Hv 111/02w-18, unterblieb, in der Bestimmung des § 31 Abs 1 StGB,

c) die Anwendung der Bestimmung des § 5 Z 4 JGG unterblieb, in der letzterwähnten Vorschrift;

3. die unterbliebene Einsichtnahme in den Akt über die frühere Verurteilung der Karen R*****, AZ 4 U 264/00v des Bezirksgerichtes Vöcklabruck, in der Bestimmung des § 494a Abs 3 StPO. Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden das Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 12. Dezember 2002, GZ 4 U 17/02y-42, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch, ferner die darauf beruhenden Verfügungen sowie die gemäß § 494 Abs 1 StPO erteilten Weisungen nach §§ 50, 51 Abs 2 StGB aufgehoben und die Sache zur dem Gesetz entsprechenden Strafneubemessung an das Bezirksgericht Vöcklabruck verwiesen.

Der (verfehlte - § 16 Abs 1 JGG) Antrag der Staatsanwaltschaft vom 7. Jänner 2002 auf "Widerruf" der bedingten Strafnachsicht zu AZ 4 U 264/00v des Bezirksgerichtes Vöcklabruck (S 59) wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom l. Februar 2001, GZ 4 U 264/00v-10, wurde (ua) die am 31. Dezember 1984 geborene (damals) Jugendliche Karen R***** des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 Abs 1 JGG wurde der Ausspruch der zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten. Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde durch einen Vermerk im Sinne des § 458 Abs 2 StPO ersetzt (ON 10).

Wegen des in der Probezeit (am 10. Mai 2002) begangenen Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 2, 84 Abs 1 StGB verhängte der Einzelrichter des Landesgerichtes Wels mit rechtskräftigem Urteil vom 10. September 2002, GZ 15 Hv 111/02w-18, über die genannte Jugendliche unter Einbeziehung des zuvor angeführten Schuldspruchs gemäß §§ 15 Abs l, 16 JGG iVm § 494 a Abs 1 Z 3 StPO eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen, wovon er gemäß § 43a Abs 1 StGB 60 Tagessätze unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Zugleich wurde gemäß § 50 (Abs 1) StGB Bewährungshilfe angeordnet und gemäß § 494a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO ausgesprochen, dass ein nachträglicher Strafausspruch zu AZ 4 U 264/00v des Bezirksgerichtes Vöcklabruck nicht mehr in Betracht kommt (S 83).

Gemäß § 494a Abs 7 StPO wurde dem Bezirksgericht Vöcklabruck eine Entscheidungsausfertigung übermittelt, welche spätestens am 28. Oktober 2002 dort einlangte (vgl die Verfügung vom selben Tag auf S 84 in AZ 4 U 264/00v des Bezirksgerichtes Vöcklabruck). Nach der am 12. Dezember 2002 ohne vorherige Verständigung der zu AZ 15 Hv 111/02w des Landesgerichtes Wels bereits bestellten Bewährungshelferin (ON 24) durchgeführten Hauptverhandlung sprach der Richter des Bezirksgerichtes Vöcklabruck Karen R***** - ohne in den Akt über die frühere Verurteilung durch dasselbe Gerichtes Einsicht genommen zu haben (vgl ON 42) - mit rechtskräftigem Urteil, GZ 4 U 17/02y-42, der (am 23. bzw 26. August 2001 begangenen) Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, des Raufhandels nach § 91 Abs 2 (zu ergänzen: erster Fall) StGB und des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte die Jugendliche ohne Anwendung des § 5 Z 4 JGG (S 177) - erneut unter Einbeziehung des eingangs erwähnten Schuldspruchs des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 1. Februar 2001 gemäß §§ 15 Abs 1, 16 JGG - zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Wochen. Gleichzeitig wurden Karen R***** Weisungen erteilt (S 177).

Rechtliche Beurteilung

Durch die dargestellten Vorgänge wurde – wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – das Gesetz mehrfach verletzt:

Im Verfahren AZ 4 U 264/00y des Bezirksgerichtes Vöcklabruck war gemäß § 32 Abs 2 JGG die Abfassung eines Vermerkes nach § 458 Abs 2 StPO anstelle eines Protokolles im Hinblick auf den dort ausgesprochenen Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe (§ 13 Abs 1 JGG) unzulässig.

Da sich diese - dem Schuldspruch nachfolgende Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil der Verurteilten ausgewirkt hat, kann es mit ihrer Feststellung sein Bewenden haben (§ 292 StPO).

Im Verfahren AZ 4 U 17/02y des Bezirksgerichtes Vöcklabruck unterblieb entgegen der Bestimmung des § 40 JGG die Verständigung der zu AZ 15 Hv 111/02w des Landesgerichtes Wels bestellten Bewährungshelferin von der Hauptverhandlung am 12. Dezember 2002. Die Unterlassung der Einsicht in den in derselben Strafabteilung geführten Vorakt AZ 4 U 264/00v, in dem die Verständigung des Landesgerichtes Wels über die bereits erfolgte nachträgliche Straffestsetzung aktenkundig war (S 83), verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 494a Abs 3 StPO.

Im Zeitpunkt der Urteilsfällung war die gesetzlich nur einmal zulässige nachträgliche Straffestsetzung zu dem im Verfahren AZ 4 U 264/00v des Bezirksgerichtes Vöcklabruck erfolgten Schuldspruch bereits mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes Wels vom 10. September 2002, GZ 15 Hv 111/02w-18, vorgenommen worden. Der nochmalige nachträgliche Strafausspruch verstößt daher gegen die Bestimmung des § 15 Abs 1 JGG.

Die dem Urteil vom 12. Dezember 2002, GZ 4 U 17/02y-42, zu Grunde liegenden Taten wurden am 23. und 26. August 2001, sohin vor dem am 10. September 2002 gefällten Urteil des Landesgerichtes Wels, GZ 15 Hv 111/02w-18, begangen, weshalb durch die unterbliebene Bedachtnahme auf dieses Vor-Urteil das Gesetz in der Bestimmung des § 31 Abs 1 StGB verletzt wurde (vgl 12 Os 12, 13/92).

Darüber hinaus wäre bei der Bemessung der Strafe am 12. Dezember 2002 von der durch § 5 Z 4 JGG reduzierten Strafdrohung auszugehen gewesen. Ein der Verurteilten durch diese Gesetzesverletzung entstandener Nachteil ist nicht auszuschließen, weshalb der Strafausspruch aufzuheben und dem Erstgericht die Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung aufzutragen war. Dabei wird zu beachten sein, dass die für die inzwischen junge Erwachsene Karen R***** bestellte Bewährungshelferin gemäß § 40 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen.

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