JudikaturOGH

10ObS129/03y – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Herbert Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kazimierz R*****, vertreten durch Dr. Manfred Wiener, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Alterspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2002, GZ 7 Rs 340/02z-37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30. Jänner 2002, GZ 30 Cgs 187/01m-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1. 9. 1931 geborene Kläger hat in Polen 379 Versicherungsmonate der Pflichtversicherung im Zeitraum 1943 bis 1981 erworben. Von 17. 8. 1943 bis 31. 3. 1945 [also vor Vollendung seines 14. Lebensjahres] hielt er sich zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder beim Landwirt Philipp H***** in *****[Bezirk W*****] auf, wo seine Eltern auch gemeldet und beschäftigt waren. Ob der Kläger dort ebenfalls [als Zwangsarbeiter] gearbeitet hat, konnte nicht festgestellt werden; wenn dies der Fall war, so war er nicht zur Sozialversicherung gemeldet und es wurden auch keine Beiträge abgeführt.

Der Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer österreichischen Pension wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 6. 9. 2001 mangels Vorliegens von Versicherungsmonaten, die nach dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Polen über Soziale Sicherheit in die österreichische Versicherungslast fallen, abgelehnt.

Die dagegen erhobene Klage beruft sich darauf, dass (auch) der Kläger im oa Zeitraum in Österreich beschäftigt gewesen sei (ON 1 und 7); er bringt dazu jedoch selbst vor, dass ihm nicht bekannt sei, ob er von dem Arbeitgeber versichert wurde (ON 1), bzw dass er als Zwangsarbeiter auf Versicherung und Anmeldung keinen Einfluss gehabt habe und aus ihm nicht bekannten Gründen nicht angemeldet worden sei (ON 7 und AS 16).

Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger habe keine Nachweise über Versicherungszeiten [in Österreich] übermittelt. Weder bei der NÖ Gebietskrankenkasse noch im Archiv der PVA seien Unterlagen über den Kläger vorhanden. Auch eine Anfrage bei der Marktgemeinde B***** habe ergeben, dass über eine Meldung und Beschäftigung des Klägers (im Gegensatz zu seinen Eltern) keine Unterlagen oder Hinweise vorlägen. Das Erstgericht wies Klagebegehren, dem Kläger ab 1. 5. 2001 eine Alterspension als österreichische Teilpension zu bezahlen, ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, dass nach Art 18 Abs 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Polen über Soziale Sicherheit, BGBl III 2000/212 (im Folgenden: Abkommen), keine Leistung zu gewähren sei wenn die nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates für die Berechnung der Leistung zu berücksichtigenden Versicherungszeiten - wie hier - nicht zwölf Monate erreichen und auf Grund dieser Versicherungszeiten allein kein Leistungsanspruch nach diesen Rechtsvorschriften bestehe. Gemäß den anzuwendenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung 1911 sei die Anerkennung von Beschäftigungszeiten als Versicherungszeiten im gegenständlichen Zeitraum nämlich nur bei Beitragsentrichtung möglich (vgl SSV 24/129 ua). Selbst wenn der Kläger in Österreich gearbeitet haben sollte, mangels Anmeldung jedoch keine Beiträge abgeführt wurden, lägen daher keine Versicherungszeiten in Österreich vor. Die Vernehmung des Klägers im Rechtshilfeweg in Polen sei unterblieben, weil er schon schriftlich dem Gericht gegenüber erklärt habe, er sei nicht zur Sozialversicherung angemeldet gewesen, woraus folge, dass auch keine Beiträge abgeführt worden sein können (Seite 2 unten bzw 3/4 des Ersturteils).

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts, legte sie seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde und sprach aus, "weiters ergänzende Feststellungen" seien - wie aus der Behandlung der Rechtsrüge ersichtlich - nicht erforderlich. Insoweit berufe sich der Kläger insbesondere auf § 229 Abs 1 Z 4 lit a ASVG hinsichtlich leistungswirksamer Ersatzzeiten, die auch auf die Wartezeit anzurechnen seien. Die Voraussetzungen leg cit seien aber schon deshalb nicht erfüllt, weil die Beschäftigung nicht in einem elterlichen Betrieb erfolgt sei (10 ObS 63/89). Weitere Ausführungen zur "Heranziehbarkeit" der Vom Kläger geltend gemachten Zeiträume 1943 bis 1945 erübrigten sich, weil die Tatbestandsvoraussetzungen für das Entstehen von Ersatzzeiten für einzelne Zweige der Pensionsversicherung vor dem 1. 1. 1956 fehlten; erscheine doch vor Vollendung des 15. Lebensjahres keine Ersatzzeitenanrechnung möglich (vgl auch 10 ObS 354/89), während Zeiten einer Lehrausbildung des damals noch minderjährigen Klägers nach dessen eigenem Vorbringen nicht vorlägen und "nach der Sachverhaltssituation auch gar nicht annehmbar" seien. Weitere Tatsachenfeststellungen seien daher entbehrlich, weshalb der Berufungswerber mit der Mängel- und Tatsachen- sowie Beweisrüge [insoweit] auf diese Ausführungen zu verweisen sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I Nr 1/2002).

Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass das Berufungsgericht das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für das Entstehen von Ersatzzeiten gemäß § 229 Abs 1 Z 4 lit a ASVG zu Recht verneint hat, macht jedoch (wie bereits die Berufung) geltend, bei richtiger Beweiswürdigung bzw ordnungsgemäß durchgeführtem Verfahren wäre "möglicherweise" (!) festgestellt worden, dass "der Kläger in besagtem Zeitraum beim Sozialversicherungsträger angemeldet war und die Beiträge auch entrichtet wurden, er somit weit mehr als 12 Monate an Betragszeiten vorweisen kann", womit das Erfordernis des Art 18 des Abkommens erfüllt wäre (Seite 4 der Revision).

Dazu wiederholt der Revisionswerber die - jeweils bereits in der Berufung (erfolglos) vorgetragenen - Einwände gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung und die aus der Unterlassung seiner Vernehmung als Partei (im Rechtshilfeweg) abgeleitete Verfahrensrüge. Er vertritt die Auffassung, das Berufungsgericht habe sich zu Unrecht (weil es die Möglichkeit der Erwirkung von Ersatzzeiten als nicht gegeben erachtete) mit der [übrigen] Mängel-, Tatsachen- und Beweisrüge nicht befasst und keine "Feststellungen" über die Mangelhaftigkeit des Verfahrens bzw die unrichtige Beweiswürdigung getroffen; dadurch habe es in "rechtswidriger Weise" die Feststellung unterlassen, dass der Kläger über die erforderlichen Beitragszeiten oder Ersatzzeiten verfüge bzw dass er in der Zeit vom 17. 8. 1943 bis 31. 3. 1945 am Hof des Landwirtes H***** in B*****, beschäftigt gewesen sei; deshalb leide das Berufungsverfahren an einem Feststellungsmangel infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Zum Vorwurf, das Berufungsgericht habe die Verfahrens- bzw Tatsachen- und Beweisrüge zur Frage, ob der Kläger "in besagtem Zeitraum beim Sozialversicherungsträger angemeldet war und die Beiträge auch entrichtet wurden, er somit weit mehr als 12 Monate an Betragszeiten vorweisen kann", nicht behandelt, ist vorerst festzuhalten, dass der Kläger eine derartige Behauptung im erstinstanzlichen Verfahren (zu Recht) gar nicht aufgestellt hat; dafür haben sich nämlich - wie bereits die Revisionsbeantwortung aufzeigt - keinerlei Anhaltspunkte (die ein allfälliges [weiteres vgl ON 4] amtswegiges Vorgehen der Vorinstanzen hätten geboten erscheinen lassen können) ergeben. Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger keine derartige Feststellung begehrt, sondern nur ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass bei einer pflichtgemäßen und vollständigen Beweiserhebung (= Durchführung seiner Parteienvernehmung) "die Voraussetzungen für einen Pensionsanspruch bewiesen worden wären". Da er jedoch selbst vorgebracht hat, dass ihm nicht bekannt sei, ob er von dem Arbeitgeber versichert wurde (ON 1), bzw dass er aus ihm nicht bekannten Gründen [offenbar] nicht angemeldet worden sei (ON 7 und AS 16), ist nicht nachvollziehbar, welche in diesem Zusammenhang relevanten Beweisergebnisse aus seiner Parteienvernehmung hätten gewonnen werden können.

Der - auch in der Revision wiederholten - Beweisrüge zu der vom Erstgericht getroffenen, vom Berufungsgericht übernommenen Feststellung, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum beim Sozialversicherungsträger nicht angemeldet war und für ihn auch keine Beiträge abgeführt wurden, fehlt aber schon deshalb die Grundlage, weil diese Tatsache nach den Prozessbehauptungen der Parteien ohnehin unstrittig ist und daher keines Beweises bedurfte (Rechberger in Rechberger² Rz 25 f vor § 266 ZPO); hat der Kläger doch Gegenteiliges selbst im Rechtsmittelverfahren nicht einmal behauptet, sondern lediglich Vermutungen über allfällige Ergebnisse seiner noch durchzuführenden Vernehmung als Partei angestellt, die - wie bereits ausgeführt - nicht nachvollziehbar sind.

Demgemäß ist aber selbst in der Unterlassung einer (ausdrücklichen) Behandlung der diesbezüglichen Rügen in der Berufung keine relevante Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (vgl dazu Kodek in Rechberger² Rz 3 viertletzter Abs zu § 503 ZPO) zu erblicken. Gleiches gilt für die bekämpfte Negativfeststellung zu der (offen gebliebenen) aber nicht entscheidungswesentlichen Frage, ob der in Österreich bei der Sozialversicherung jedenfalls nicht angemeldete Kläger, für den auch keine Beiträge abgeführt wurden, in der fraglichen Zeit tatsächlich in Österreich gearbeitet hat; entspricht es doch der Rechtsprechung des erkennenden Senates, dass in der Zeit vom 1. 1. 1939 bis 31. 3. 1952 Beitragszeiten - auch solche der Pflichtversicherung - grundsätzlich nur durch Beitragsentrichtung erworben werden konnten (SSV-NF 9/20; 9/37), welche aus dem bloßen Nachweis der versicherungspflichtigen Beschäftigung (selbst wenn er sich aus einem Arbeitsbuch ergeben würde) für sich allein noch nicht erschlossen werden kann (SSV-NF 9/20 mwN).

Was aber die in der Revision angesprochene Frage der Beweislast für die behaupteten Beitragszeiten betrifft, erscheint folgende Klarstellung geboten:

Richtig ist, dass die Verletzung von Beweislastregeln, soweit sie dem materiellen Recht angehören, stets eine revisible unrichtige rechtliche Beurteilung darstellt (Rechberger in Rechberger² Rz 12 vor § 266 ZPO). Die Beweislastverteilung kommt freilich erst und nur dann zum Tragen, wenn ein Beweis für die strittige, entscheidungswesentliche Tatsache nicht erbracht werden konnte (RIS-Justiz RS0039875), das Beweisverfahren also ohne subsumtionsfähiges Sachverhaltsergebnis geblieben ist (RIS-Justiz RS0039872). Die Frage der Beweislast stellt sich aber dann nicht mehr, wenn die Tatsacheninstanzen - wie hier - ohnehin Feststellungen getroffen haben (RIS-Justiz RS0039939 [T23 und T27]). Der Oberste Gerichtshof hat nämlich nicht (auch) zu überprüfen, ob die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung aus den einzelnen Verfahrensergebnissen richtig oder fehlerhaft ist (Kodek in Rechberger² Rz 3 aE zu § 503 ZPO; zuletzt: 10 ObS 303/02k; 10 ObS 385/02v).

Den Überlegungen der Revision zur Beweislastverteilung ist daher nur zuzugestehen, dass ein diesbezüglicher Fehler als error in iudicando, also unrichtige rechtliche Beurteilung, revisibel (RIS-Justiz RS0039939) wäre; die Frage ob einer beweispflichtigen Partei der Nachweis einer bestimmten Tatsache gelungen ist (oder nicht) ist hingegen eine solche der Beweiswürdigung (MGA JN-ZPO15 E 78 zu § 503 ZPO) und im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbar (RIS-Justiz RS0112242; 7 Ob 269/02p mwN). Bei Vorliegen entsprechender (positiver) Sachverhaltsfeststellungen bedarf es nicht des Rückgriffs auf die Anwendung von Beweislastregeln, weil es dann ja keine Rolle mehr spielt, wen die Beweislast trifft, wenn die zu beweisende Tatsache (oder das Gegenteil dieser Tatsache) ohnehin feststeht (RIS-Justiz RS0039939 [T23]; RS0039875 [T1] bis [T4]; RS0039872 [T1] und [T2]; 3 Ob 242/99f; 8 ObA 59/00k; 7 Ob 134/01h; 7 Ob 111/02b; 10 ObS 303/02k; 10 ObS 385/02v; zuletzt: 10 ObS 109/03g). Im Übrigen ist - abgesehen von der hier nicht in Betracht kommenden Sonderbestimmung des § 87 Abs 4 ASGG - auch in Sozialrechtssachen von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die Beweislastverteilung auszugehen (SZ 60/231 = SSV-NF 1/48 uva; RIS-Justiz RS0086050). Auch im Verfahren vor dem Sozialgericht gelten daher die Regeln der objektiven Beweislast. Ein Anspruch kann nur bejaht werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind. (10 ObS 21/01p, 10 ObS 67/02d, 10 ObS 343/02t; 10 ObS 391/02a).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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