JudikaturOGH

13Os165/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. März 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. März 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Ratz und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trauner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Stefan G***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Steyr vom 3. Oktober 2002, GZ 11 Hv 1020/01g-132, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Wirleitner, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Stefan G***** im zweiten Rechtsgang abermals der Verbrechen (1) des Mordes nach § 75 StGB und (3) der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB, weiters der Vergehen (2) der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB und (4) nach § 27 Abs 1 SMG schuldig erkannt.

Da jener Teil des Schuldspruchs, mit dem die Geschworenen im ersten Rechtsgang die Hauptfragen 1 nach § 75 StGB (auch nunmehr fortlaufende Zahl 1), 2 nach § 190 Abs 1 StGB (fortlaufende Zahl 3), 3 nach § 297 Abs 1 StGB (fortlaufende Zahl 5) und 4 nach § 27 Abs 1 SMG (fortlaufende Zahl 7) jeweils einstimmig bejaht haben, von der kassatorischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 8. Mai 2002, AZ 13 Os 42/02 (ON 110), unberührt geblieben und (auch gemäß dem Auftrag des Obersten Gerichtshofs) demnach der vorliegenden Entscheidung zu Grunde zu legen war, hatten die Geschworenen im nunmehrigen zweiten Rechtsgang über die zu diesen Hauptfragen jeweils gestellten Zusatzfragen nach dem Vorliegen der Zurechnungsfähigkeit im Sinn des § 11 StGB zu befinden (fortlaufende Zahlen 2, 4, 6 und 8). Diese Fragen wurden von den Geschworenen stimmeneinhellig verneint.

Das darauf beruhende Urteil bekämpft der Angeklagte im Schuldspruch zu Punkt 1 (wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB) mit einer auf Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, weil er eine Eventualfrage im Sinne des § 314 Abs 1 StPO nach Tatbegehung in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden (schuldhaft herbeigeführten) Rausch (§ 287 Abs 1 StGB) vermisst. Eine derartige Eventualfrage hält der Angeklagte mit der Begründung für geboten, dass er sich (wie schon im ersten Rechtsgang und im Vorverfahren) auch nunmehr damit verantwortet hätte, gemeinsam mit dem späteren Tatopfer Roman L***** vor der Tat erhebliche Alkoholmengen konsumiert und deshalb Erinnerungslücken aufgewiesen zu haben. Dabei beruft sich der Angeklagte auch auf Angaben des Zeugen Andreas F*****, wonach sowohl der Angeklagte als auch Roman L***** eine erhebliche Alkoholbeeinträchtigung aufgewiesen hätten, sowie auf die im Urin des Roman L***** festgestellte Alkoholkonzentration von 3,85 Promille (S 287/V), aus der der Angeklagte ableitet, dass sich der beträchtliche gemeinsame Alkoholkonsum auf seine eigene Person (bei einem Körpergewicht von bloß 66 kg gegenüber jenem von 100 kg bei L*****) wesentlich stärker auswirken musste.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der in der Rüge vertretenen Auffassung des Angeklagten, die ihre Behauptung nur auf isoliert betrachtete Teile der Hauptverhandlung stützt, bot jedoch das Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, das allein dafür maßgebend ist, ob eine Eventualfrage (hier: im Sinne des § 314 Abs 1 StPO) an die Geschworenen zu richten ist, keinen Anlass für die von ihm nunmehr angestrebte Fragestellung. Entscheidend ist nämlich, ob in der Verantwortung des Angeklagten insgesamt oder sonst in der Hauptverhandlung ein Tatsachenvorbringen enthalten ist, das im Falle seiner Richtigkeit die Annahme zuließe, der Angeklagte habe sich im Zeitpunkt der Tatverübung in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand befunden (vgl 15 Os 123/00). Dies trifft hier aber nicht zu.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung vom 3. Oktober 2002 (ON 131/VII) seinen Alkoholkonsum vor der Tat mit ca 10 Seideln Bier veranschlagt (S 94/VII; im ersten Rechtsgang sprach er dagegen insoweit von 4 bis 10 Seideln und vor der Gendarmerie von bloß 4 Seideln [vgl hiezu S 33/I und S 254/I]) und darüber hinaus (wie bisher) mit 3 bis 4 "Cola-Rot" sowie mit der (jedoch mit Wasser vermischten und zudem gemeinsam mit Roman L***** getrunken) Hälfte des Inhalts einer 7/10 Liter Flasche Pernod angegeben (S 94 bis 97/VII). Ungeachtet dieser Mengenangaben stellte er aber nicht in Abrede, nach dem betreffenden Konsum in der Lage gewesen zu sein, anschließend seinen Pkw zu lenken und gemeinsam mit dem späteren Tatopfer zu einer Wohnung zu fahren (S 95/VII). Gegenüber seiner eingehenden Schilderung des tatrelevanten Geschehens im Vorverfahren und weitgehend auch noch in der Hauptverhandlung des ersten Rechtsganges (S 263 ff, 274/VI) berief sich der Angeklagte zwar im weiteren Umfang als bisher auf Erinnerungslücken und ein "Blackout", jedoch räumte er hiezu - ohne die Richtigkeit von ihm bekundeter markanter Einzelheiten in Abrede zu stellen - letztlich ein, sich bloß "jetzt" und "heute" nicht (mehr) erinnern zu können und hieraus Schlüsse auf eine Alkoholbeeinträchtigung zur Tatzeit ziehen zu wollen (insbesondere S 100 bis 105 sowie 111 bis 114/VII). Ein Vorbringen in Bezug auf eine Tatverübung im Zustand voller Berauschung lässt sich aber auch aus dem sonstigen Vorbringen der Hauptverhandlung nicht ableiten.

Von der mangelnden Bestätigung der Angaben des Angeklagten über das Ausmaß seines Alkoholkonsums durch die entsprechende polizeiliche Nachprüfung ganz abgesehen (S 131/VII), ist für den Beschwerdestandpunkt auch durch das isolierte Abstellen auf zwei Passagen aus der Aussage des Zeugen Andreas F***** nichts zu gewinnen, wonach der Angeklagte und das spätere Tatopfer in der Wohnung "herumgefallen" wären, weil keiner von beiden mehr gehen konnte und der Angeklagte im Übrigen nur "dagesessen" sei und geschaut sowie "gesoffen" hätte (S 157 und 158/VII), wird damit doch die Schilderung dieses Zeugen über das sonstige aktive und durchaus orientierte sonstige Verhalten des Angeklagten übergangen. Schließlich ist auch noch auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prim. Univ. Doz. Dr. Reinhard H***** hinzuweisen, der sowohl in seiner schriftlichen Expertise (insbesondere S 181/VI) als auch in seiner ergänzenden Ausführung in der Hauptverhandlung vom 3. Oktober 2002 (insbesondere S 193 ff/VII) eine volle Berauschung des Angeklagten zur Tatzeit und hieraus resultierende primäre Erinnerungslücken unter Bezugnahme auf dessen eingehende Tatschilderung im Vorverfahren und dessen folgerichtiges Verhalten vor und nach der Tat (einschließlich der Lenkung eines Kraftfahrzeuges vor Verübung des Mordes) ausschließt und dem Angeklagten bloß das Auftreten eines nachträglichen Verdrängungsmechanismus attestiert (S 198/VII). Nach den Ausführungen des Sachverständigen rechtfertigt die Alkoholkonzentration von 3,85 Promille im Harn des Tatopfers nicht die Annahme, dass der Angeklagte eine gleich starke Alkoholisierung aufgewiesen habe, setzt die Überwältigung des kräftemäßig weit überlegenen Tatopfers doch eine deutliche geringere Alkoholbeeinträchtigung des Angeklagten voraus (S 199/VII).

Eine Schuldfrage in Richtung einer Tatbegehung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB - die übrigens (ohne weitergehende Konkretisierung; s. Schindler WK-StPO § 313 Rz 23) eine Bejahung und nicht wie vorliegend eine Verneinung (!) der auf Zurechnungsunfähigkeit iS § 11 StGB gestellten Zusatzfrage erfordert hätte (vgl Mayerhofer StPO4, ENr 74 zu § 314) - war bei der gegebenen Sachlage sohin nicht indiziert, weshalb dem Gericht auch keine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (hier des § 314 Abs 1 StPO) unterlaufen ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch auch entgegen der inhaltlich die Argumente der Nichtigkeitsbeschwerde wiederholenden Stellungnahme der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO - zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28 Abs 1, 75 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 29. Mai 2001, GZ 15 E Vr 287/99-28, eine lebenslange Freiheitsstrafe und wies ihn gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend, dass der Angeklagte schon einmal wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat verurteilt wurde und er nunmehr neben dem Verbrechen des Mordes ein weiteres Verbrechen und zwei weitere Vergehen zu verantworten hat; als mildernd das Geständnis vor der Gendarmerie hinsichtlich des Mordes sowie nach dem Suchtmittelgesetz und die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit. Dazu führte es noch aus, dass weder das Geständnis als reumütig anzusehen sei und überdies durch die nachfolgende Verleumdung auch noch an Bedeutung verliere und nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat; zur eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit, dass der Angeklagte um seine Neigung zur Delinquenz nach Alkoholmissbrauch wusste. Die dagegen erhobene Berufung begehrt die Umwandlung der lebenslangen Freiheitsstrafe in eine zeitliche, der Ausspruch über die Anstaltsunterbringung nach § 21 Abs 2 StGB wird ausdrücklich nicht angefochten.

Auch die Berufung ist nicht im Recht.

Das Geschworenengericht hat die vorhandenen Strafzumessungstatsachen zum Vorteil des Angeklagten nicht erschöpfend festgestellt. Zusätzlich erschwerend ist die grausame Vorgangsweise beim Mord (mehrere wuchtige Schläge mit einem Gipsbeil gegen Hals- und Genickbereich sowie zahlreiche heftige Stiche mit einem Fleischermesser in den Brust- und Bauchbereich - § 33 Z 6 StGB), wobei die Frage, ob das Opfer vor seinem Tod Qualen erlitten hat, im Hinblick auf die dazu heranzuziehende Einstellung des Täters (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) nicht beachtlich ist.

Davon, dass der Angeklagte die Tat unter Umständen begangen hat, die einem Schuldausschließungsgrund gleichzusetzen seien, kann nach der Aktenlage keine Rede sein, denn die ihm vom Sachverständigen attestierte Abartigkeit wäre nur dann einem solchen Grund gleichzusetzen, wenn es beim Täter weitgehend an der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit fehlte, was vorliegend nicht der Fall war. Dem Berufungswerber kommt aber auch der Milderungsgrund des § 34 Z 11 StGB nicht zugute, weil seine Schuldfähigkeit zur Tatzeit nach der Aktenlage nicht im Grenzbereich der Zurechnungsfähigkeit angesiedelt war (vgl das Gutachten des Sachverständigen Prim. H***** in der Hauptverhandlung S 195 f/VII). Da die tatauslösenden Umstände der Norm gleichgelagerter Auseinandersetzungen entsprachen, kann der "Provokation" durch den Getöteten bei gegebener Sachlage kein strafmildernder Stellenwert zuerkannt werden (vgl 15 Os 157/02). Unter Abwägung aller für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände erscheint die vom Erstgericht ausgemessene Sanktion tat- und tätergerecht, sodass zu einer Reduktion kein Anlass besteht.

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