JudikaturOGH

13Os15/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. März 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loewe als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter W***** wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG über die vom Generalprokurator gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 26. Mai 2003, GZ 5 U 51/03s-7, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, in Abwesenheit des Angeklagten Peter W***** und seines gesetzlichen Vertreters Robert W*****, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 26. Mai 2003, GZ 5 U 51/03s-7, verletzt § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 SMG sowie § 65 StGB. Dieses Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, wird im Schuld-, Sanktions- und Kostenausspruch aufgehoben und

1. Peter W***** von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe Mitte des Jahres 2001 in Holland den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich einen Joint Marihuana erworben und besessen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen,

2. die Sache im Umfang der weiteren Aufhebung zur Verfahrenserneuerung an das Bezirksgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 26. Mai 2003, GZ 5 U 51/03s-7, das auch einen Teilfreispruch enthält, wurde der am 12. Oktober 1986 geborene Jugendliche Peter W***** der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat er (zu ergänzen: den bestehenden Vorschriften zuwider nachstehend genannte Suchtgifte) erworben und besessen, und zwar

1./

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der von ihm gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen, im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung ausgedehnten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der vorliegende Schuldspruch mehrfach mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die Grundvoraussetzung für die obligatorische (bedingte) Verfahrenseinstellung durch das Gericht gemäß § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG, nämlich das Vorliegen einer bloß "geringen Suchtmittelmenge" darf - entgegen der Argumentation des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt - nicht durch Zusammenrechnung der zu verschiedenen Zeiten zum eigenen Gebrauch erworbenen Suchtmittelmengen (EvBl 1982/110, 13 Os 20/94, 13 Os 62/03 ua) oder allein auf Grund der Suchtgiftart (hier ua Heroin) verneint werden.

Eine - weder durch Gesetz oder durch Verordnung definierte - "geringe Suchtmittelmenge" im Sinn des § 35 Abs 1 SMG ist vielmehr immer dann gegeben, wenn sie deutlich unter der für § 28 Abs 1 SMG maßgebenden Grenzmenge liegt und das Ausmaß des in § 9a SGG 1951 vorgesehen gewesenen Wochenvorrates nicht erreicht; dabei sind auch die nach den Umständen des Einzelfalls bestehenden Verhältnisse des Täters, insbesondere der Grad seiner Abhängigkeit vom betreffenden Suchtmittel, zu berücksichtigen (subjektiver Maßstab). Demgemäß ist die "geringe Menge" keine konstante Größe, sondern von Fall zu Fall (nach Art und Konzentration des Suchtmittels, Ausmaß der Drogenabhängigkeit des Täters, dessen Gewöhnung an das Suchtmittel usw) individuell verschieden (vgl Kodek/Fabrizy, Das neue österreichische Suchtmittelgesetz § 35, Anm 2.2.; Mayrhofer, Nebenstrafrecht4 SMG § 35 E 1 und 2).

Diese Kriterien der "geringen Suchtmittelmenge" sind in Ansehung der Punkte 1./a und b sowie 2./ des Schuldspruches jedenfalls gegeben, hat der Verurteilte doch in einem Zeitraum von ca 1 ½ Jahren zu verschiedenen Zeitpunkten bloß drei Marihuanazigaretten und 5 Mal 1 bis 2 Gramm Marihuana zum Eigengebrauch erworben und besessen. Die durch die SGV idF BGBl II Nr 145/2001 für THC (= psychoaktiver Wirkstoff des Suchtgiftes Marihuana) mit 20 Gramm festgesetzte Grenzmenge liegt deutlich über diesen Mengen.

Aber auch "1 Line Heroin", die Peter W***** im Zeitraum von ca einer Woche zweimal zum Eigengebrauch erworben und besessen hat (Punkt 3./ des Schuldspruches), stellt ersichtlich nur eine "geringe Suchtmittelmenge" dar. Entgegenstehende Anhaltspunkte, etwa ein außerordentliches Gewicht und/oder ein sehr hoher Reinheitsgehalt dieses Suchtgiftes (Grenzmenge gemäß SGV idgF: 3 Gramm reines Heroin) oder eine Fallgestaltung, dass beim Erwerb der zweiten Linie Heroin die zuvor erworbene Linie noch nicht verbraucht war, gehen weder aus den Akten hervor noch werden solche im vorerst gekürzt und sodann nachträglich ausgefertigten Urteil bezeichnet. Da auch die übrigen Voraussetzungen nach § 35 Abs 3, 5 bis 7 SMG vorlagen, hätte das Bezirksgericht Wiener Neustadt das Verfahren somit zwingend gemäß § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 SMG für eine Probezeit von zwei Jahren einstellen müssen.

Der Schuldspruch zu Punkt 1./a) verletzt überdies § 65 StGB, weil in den Niederlanden der Erwerb und Besitz von nicht mehr als 30 Gramm Cannabis bzw Marihuana nach § 11 Abs 5 des nlBetMG in Form des Anpassungsgesetzes vom 7. Februar 2002 straffrei ist (vgl auch 11 Os 106/94).

Da sich die Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, war über deren Feststellung hinaus nach § 292 letzter Satz StPO mit Kassation des Schuld-, Sanktions- sowie Kostenausspruches, zum Anklagevorwurf des Suchtgifterwerbs und Besitzes betreffend einen Joint Marihuana in Holland sofort mit Freispruch und im Übrigen mit Verweisung der Sache an das Erstgericht vorzugehen, das wegen des seit der Einholung einer Auskunft und einer Stellungnahme nach § 35 Abs 1 Z 1 und Z 2 SMG verstrichenen längeren Zeitraums die Voraussetzungen für eine vorläufige Verfahrenseinstellung iS der §§ 35, 37 SMG neu zu prüfen haben wird.

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