12Os134/02 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Habl, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trauner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard Ernst W***** wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 8 Hv 43/02x des Landesgerichtes Ried im Innkreis, über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, dass die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Linz vom 28. Oktober 2002, AZ 10 Bs 212/02, in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Oshidari, und des Verteidigers Mag. Rosenauer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Durchführung der (nur unzulänglich aufgerufenen) Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 473 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO und Art 6 Abs 3 lit c MRK.
Das in Abwesenheit des Angeklagten ergangene Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 28. Oktober 2002, 10 Bs 212/02, wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Neudurchführung des Berufungsverfahrens aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 24. Juli 2002, 8 Hv 83/02x-21, wurde - unter anderem - Gerhard Ernst W***** wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Umfang eines weiteren Vorwurfs wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB erfolgte ein rechtskräftiger Freispruch.
Gegen den schuldigsprechenden Teil dieses Urteils meldete der Angeklagte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (S 188), führte aber das Rechtsmittel bloß als Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe aus (ON 26).
Im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Linz, AZ 10 Bs 212/02, wurde der Angeklagte zu dem für den 28. Oktober 2002 angeordneten Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung unter seiner aktenkundigen Adresse in *****, ordnungsgemäß geladen. Der Berufungswerber war allerdings in der Zwischenzeit (ohne Kenntnis des Berufungsgerichtes) zu einem anderen Verfahren des Landesgerichtes Ried im Innkreis in Untersuchungshaft genommen worden, sodass er zum Verhandlungstermin durch Justizwachbeamte vorgeführt wurde. Am 28. Oktober 2002 wurde die Berufungsverhandlung durch die Schriftführerin zwar am Gang vor dem Verhandlungssaal aufgerufen, nicht jedoch über die Aufrufanlage, welche mit dem am Oberlandesgericht Linz eigens eingerichteten Vorführzimmer verbunden ist. Dadurch war es dem Angeklagten nicht möglich, an der Berufungsverhandlung teilzunehmen. Erst nach Urteilsverkündung stellte sich heraus, dass der aus der Haft vorgeführte Angeklagte im Vorführungszimmer vergeblich auf den dort nicht wirksamen Aufruf der Berufungsverhandlung gewartet hatte.
Rechtliche Beurteilung
Das Vorgehen des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht verletzt - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - das Gesetz.
Nach § 471 Abs 4 StPO iVm § 489 kann die Berufungsverhandlung auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen, indes nicht erschienenen Angeklagten durchgeführt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich der Vorsitzende des Berufungssenats davon überzeugt, dass dem Angeklagten die Teilnahme an der Verhandlung ermöglicht wird. Zum Wesen einer öffentlichen Berufungsverhandlung im Sinn des § 472 Abs 1 StPO gehört daher auch der Aufruf der Sache durch den Schriftführer (analog § 239 StPO), mit dem sichergestellt werden soll, dass allen zu einem in der Ladung bezeichneten Verhandlungssaal geladenen Personen die Möglichkeit offen steht, sich am Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu beteiligten (§ 471 StPO) und dort ihre Rechte (§ 473 StPO) zu wahren. Ist bei einem Gericht ein eigener Vorführraum für geladene, aber verhaftete Personen eingerichtet, die zur Verhandlung eskortiert werden müssen, hat der Vorsitzende darauf zu dringen, dass auch den dort allenfalls aufhältigen Verfahrensbeteiligten der Beginn der Berufungsverhandlung zur Kenntnis gelangen kann (vgl S. Mayer Commentar zweiter Teil 179 f). Infolge Durchführung der Berufungsverhandlung in - durch den unzulänglichen Aufruf der Sache verursachter - Abwesenheit des Angeklagten war dieser daran gehindert, sein Recht auf Anhörung im Berufungsverfahren (§ 473 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 StPO, Art 6 Abs 3 lit c MRK) auszuüben. Dieser gesetzwidrige Vorgang wirkt sich somit zu seinem Nachteil aus, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.