2Ob161/01t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois B*****, vertreten durch Dr. Josef Kaiblinger, Rechtsanwalt in Gunskirchen, gegen die beklagte Partei ***** Versicherungs AG, *****, sowie des der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenienten Otto F*****, beide vertreten durch Dr. Christoph Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wegen EUR 13.081,11 (S 180.000,--) sA und Feststellung (Streitwert EUR 2.180,19 = S 30.000,--), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 2. Mai 2001, GZ 4 R 184/00g-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei und ihres Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 20. Juni 2000, GZ 4 Cg 106/99a-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (Ausspruch des Zurechtbestehens der Klageforderung mit EUR 8.648,07 und des Zurechtbestehens der Gegenforderung mit EUR 3.150,37) aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger kam am 27. 9. 1998 gegen 05 Uhr 30 bei Dunkelheit und starkem Nebel sowie feuchter Asphaltfahrbahn als unbestimmten Grades alkoholisierter Lenker eines Fahrrades auf der für ihn gesehen linken Straßenseite einem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten und von Elfriede F***** gelenkten Renault Espace entgegen und wurde von diesem niedergestoßen.
Der Kläger begehrt unter Einbekennung eines Mitverschuldens von 2/3 Zahlung von Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle zukünftigen Schäden aus dem Unfallsereignis. Die Lenkerin des Renault Espace habe infolge einer überhöhten Ausgangsgeschwindigkeit den Kläger nicht bzw zu spät erkannt.
Die beklagte Partei wendete ein, dass die Lenkerin wegen Dunkelheit und Nebels langsam und mit Abblendlicht gefahren sei. Das Fahrrad des Klägers sei unbeleuchtet und auf der Fahrbahnseite des Renaults gefahren. Der Unfall stelle für die Lenkerin ein unabwendbares Ereignis dar.
Der Eigentümer des Fahrzeuges trat der beklagten Partei als Nebenintervenient bei und hat eine außer Streit gestellte Gegenforderung von S 57.800,-- kompensando eingewendet. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 119.000,-- statt und wies ein Mehrbegehren von S 61.000,-- ab und stellte weiters die Haftung der beklagten Partei für die künftigen Schäden im Ausmaß von 1/4 fest. Das über diese Quote hinausgehende Feststellungsmehrbegehren wurde abgewiesen.
Es stellte unter anderem fest, dass die Summenkollisionsgeschwindigkeit der beiden Fahrzeuge ca 55 km/h betragen habe (Geschwindigkeit des Klägers 45 km/h offensichtlich richtig 10 km/h und Geschwindigkeit des Renault 10 km/h offensichtlich richtig 45 km/h). Das Fahrrad des Klägers sei vom Scheinwerfer her beleuchtet gewesen, wobei der Lichtkegel stark nach unten geneigt gewesen sei. Die PKW-Lenkerin habe entweder eine Ausgangsgeschwindigkeit von 58 km/h oder von 67 km/h anstatt zulässiger 51 km/h eingehalten.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, zufolge des Fehlverhaltens der Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges habe die beklagte Partei ein Mitverschulden von 1/4 zu vertreten. Zur selben Haftungsquote käme man aber auch, wenn die beklagte Partei nur die Gefährdungshaftung treffe. Den ihr obliegenden Entlastungsbeweis habe die beklagte Partei nicht erbracht. Die Aufrechnung mit der Gegenforderung des Nebeninterventienten sei unzulässig, weil es sich bei diesem nicht um einen streitgenössischen Nebenintervenienten gehandelt habe. In seiner im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung sprach das Berufungsgericht aus, dass die Klageforderung mit S 119.000,-- zu Recht und mit S 61.000,-- nicht zu Recht und die Gegenforderung mit S 43.350,-- zu Recht bestehe und verpflichtete daher die beklagte Partei zur Zahlung von S 75.650,-- sA. Das Mehrbegehren von S 104.350,-- sA wies es ab. Es stellte weiters die Haftung der beklagten Partei für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 27. 9. 1998 im Ausmaß von 1/4 fest und wies das Feststellungsmehrbegehren ab.
In diesem Berufungsverfahren wurde unter anderem die Feststellung, die Summenkollisionsgeschwindigkeit (und damit implizit auch die Bremsausgangsgeschwindigkeit der PKW-Lenkerin) habe 55 km/h betragen, von der beklagten Partei bekämpft. Das Berufungsgericht erledigte diese Beweisrüge dahingehend, "dass der beklagten Partei und ihrem Nebenintervenienten der Beweis, jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG eingehalten zu haben, nicht gelungen sei", weshalb die beklagte Partei für die gewöhnliche von einem PKW ausgehende Betriebsgefahr einzustehen und daher zu 1/4 zu haften habe. Eine Haftungsbegrenzung im Sinn des § 15 EKHG nahm es allerdings nicht vor.
Diese Entscheidung des Berufungsgerichtes wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 29.3.2001 zur Gänze aufgehoben und dem Berufungsgericht eine Erledigung der Beweisrüge aufgetragen; ob nämlich eine Partei ein Verschulden zu vertreten habe oder die Gefährdungshaftung Platz greife, könne nur auf Grund der getroffenen Feststellungen beurteilt werden. Dass das Verschulden und die vom Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr etwa gleich zu werten wären, entbinde das Berufungsgericht nicht von seiner Verpflichtung, auf die Behandlung einer Beweisrüge einzugehen und zu entscheiden, ob es die erstgerichtlichen Feststellungen übernehme oder gegebenenfalls prozessordnungsgemäß selbst andere Tatsachenfeststellungen treffe. Die Ausführung im Berufungsurteil, dass die Beweiswürdigungsrüge dahin erledigt werde, dass der beweisbelasteten Partei der Entlastungsbeweis iSd § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen sei, sei keine solche andere Tatsachenfeststellung. Die Frage, ob Verschuldenshaftung oder Gefährdungshaftung greifen, könne bei einem Feststellungsbegehren, das im Falle der Gefährdungshaftung nur mit den Höchstgrenzen des EKHG zu Recht besteht, nicht offen gelassen werden. Sollte nach der vom Berufungsgericht vorzunehmenden Prüfung der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes neuerlich lediglich eine Gefährdungshaftung für die Betriebsgefahr des PKWs angenommen werden können, werde daher zu beachten sein, dass diese Haftung mit den Haftungshöchstbeträgen nach § 15 EKHG begrenzt ist. Mit dem nunmehr im 2. Rechtsgang ergangenen Teilurteil hat das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichtes hinsichtlich des Leistungsbegehrens neuerlich bestätigt und im Übrigen also im Umfang des stattgebenden Ausspruchs über das Feststellungsbegehren (Punkt II. 2.) ohne Rechtsvorbehalt aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der vom Obersten Gerichtshof wahrgenommene Aufhebungsgrund richte sich inhaltlich lediglich auf das Feststellungsbegehren, weil bei einem Leistungsbegehren von zuletzt S 180.000,-- und einer Verurteilung zur Zahlung von S 75.650,-- die Haftungshöchtsbeträge des § 15 EKHG zunächst nicht entscheidungsrelevant seien. Die Gefährdungshaftung des EKHG rechtfertige allein eine Haftungsquote von einem Viertel. Der beklagten Partei sei der ihr obliegende Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen, weil, wie schon in der Vorentscheidung ausgesprochen, ein besonders sorgfältiger Lenker bei der gegebenen Sichtweite die höchst zulässige Geschwindigkeit nicht voll ausgeschöpft hätte und bei starkem Nebel "nicht hart am Limit" gefahren wäre.
Das Feststellungsbegehren sei noch nicht entscheidungsreif. Die Beweiswürdigung des Erstgerichtes über die von der PKW-Lenkerin eingehaltene Ausggangsgeschwindigkeit weise einen formellen Begründungsmangel auf, weshalb diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung zu treffen sei.
Die ordentliche Revision gegen das bestätigende Teilurteil sei nicht zulässig, weil der Berufungssenat in der Frage der Schadensteilung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gefolgt sei. Gegen das Teilurteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den Gründen der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Eventualantrages berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 341/00m das Urteil des Berufungsgerichtes zur Gänze, also nicht nur hinsichtlich des Feststellungsbegehrens aufgehoben wurde und dem Berufungsgericht eine Erledigung der Beweisrüge aufgetragen wurde. Je nach dem Ergebnis diese Prüfung hätte das Verschulden der Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs oder die Einbringung des Entlastungsbeweises bejaht oder verneint werden können.
Die nunmehr angefochtenen Entscheidung lässt eine Erledigung der Beweisrüge neuerlich vermissen, weil sich das Berufungsgericht auf den unrichtigen Standpunkt stützte, der Aufhebungsbeschluss habe inhaltlich nur das Feststellungsbegehren betroffen. Dabei wird übersehen, dass im Verfahren über das Feststellungsbegehren die Ausgangsgeschwindigkeit des PKWs noch gar nicht feststeht, weil das Berufungsgericht dem Erstgericht diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung aufgetragen hat. Erst wenn diese Feststellung getroffen wird, kann im Zusammenhang mit der ebenfalls festzustellenden Sichtweite beurteilt werden, ob der PKW-Lenkerin einerseits ein Verschulden durch Überschreitung der gebotenen (relativen) Höchstgeschwindigkeit nachgewiesen werden kann, oder andererseits, ob der beklagten Partei der - mögliche - Nachweis gelungen ist, dass die Lenkerin jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat (§ 9 Abs 2 EKHG). In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass nach dem Gutachten des im Zivilverfahren beigezogenen Sachverständigen (ON 10 S 7) auch eine Summenkollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h nicht ausgeschlossen werden kann, woraus sich eine entsprechend verringerte Ausgangsgeschwindigkeit ergäbe. Damit könnte aber der beklagten Partei im Verfahren über das Feststellungsbegehren unter Umständen (auch) der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG gelingen. Wäre dies der Fall, stünde die Entscheidung über das Feststellungsbegehren im Widerspruch mit der Entscheidung über das Leistungsbegehren, was der Rechtssicherheit widerstreiten würde. Dem Erstgericht war daher eine neuerliche Entscheidung auch über das Leistungsbegehren aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.