12Os88/02 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Traar als Schriftführer, in der Auslieferungssache Jonathan Z*****, AZ 272 Ur 20007/01d des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Juli 2002, AZ 22 Ns 4/02, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Karauschek, jedoch in Abwesenheit des Auszuliefernden in öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In dem das Ersuchen der Republik Frankreich um Auslieferung des Jonathan Z***** betreffenden Verfahren AZ 272 Ur 20007/01d des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Juli 2002, AZ 22 Ns 4/02, das Gesetz in der Bestimmung des Art 9 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens BGBl 1969/320 iVm § 16 Abs 3 ARHG. Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Beschlussfassung über die Zulässigkeit der Auslieferung unter Beachtung der bezeichneten Gesetzesbestimmungen aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. März 2002, GZ 4b Vr 2466/00-151, wurde Jonathan Z*****, geboren am 5. März 1978, Staatsangehöriger von Sierra Leone, des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 4 Z 3 SMG als Beteiligter nach (richtig:) § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt. Demnach hat er zumindest im Dezember 1999 in Wien zur strafbaren Handlung der gesondert verfolgten Claudia S*****, die den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer nicht mehr genau feststellbaren Menge im Dezember 1999 aus Kolumbien nach Österreich einführte, wobei die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift begangen wurde, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmachte, beigetragen, indem er Claudia S***** 20 Gramm Kokain für den Eigenbedarf sowie einen Geldbetrag von DM 7.000,-- für den im Dezember 1999 durchgeführten Suchtgifttransport übergab. Von der weiteren Anklage, er habe im März 2000 in Wien die gesondert verfolgte Claudia S***** dazu bestimmt, den bestehenden Vorschriften zuwider 2 Kilogramm Kokain, sohin Suchtgift in einer übergroßen Menge, von Kolumbien über Paris und via Budapest nach Wien zu bringen, wurde Jonathan Z***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Zu AZ 272 Ur 20007/01d des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ist ein Verfahren anhängig, dem das Ersuchen der Republik Frankreich um Auslieferung des Jonathan Z***** zur Vollstreckung einer mit Urteil des Großinstanzgerichtes von Bobigny vom 23. Jänner 2001, Zl 0008921006, ausgesprochenen Freiheitsstrafe von acht Jahren zugrundeliegt. Dem dort gefällten Schuldspruch zufolge hat Jonathan Z***** am 26. März 2000 an der Einfuhr von 1.958,3 Gramm Kokain durch (die im selben Urteil mitverurteilte) Claudia S***** (geborene G*****) nach Frankreich durch Hilfe, Unterstützung bzw Förderung bei der Vorbereitung und Begehung der Straftat wissentlich teilgenommen, indem er der Genannten die Geldmittel für die Finanzierung der Flugtickets zur Verfügung stellte und als Auftraggeber sowie (in Aussicht genommener) Empfänger der Kokainlieferung auftrat. Wegen dieser Tat war gegen Jonathan Z***** in Frankreich bereits am 20. November 2000 ein Haftbefehl erlassen worden (Zahl der Voruntersuchung: 9/00/54).
Ungeachtet des mit - wie dargelegt rechtskräftigem - Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. März 2002, GZ 4b Vr 2466/00-151, ergangenen Freispruchs von jenem Teil des Anklagevorwurfs, der die Beteiligung an dem von Claudia S***** am 26. März 2000 durchgeführten illegalen Transport von (annähernd) zwei Kilogramm Kokain von Kolumbien nach Frankreich (mit der weiters ins Auge gefassten Verbringung nach Wien) zum Gegenstand hatte, erklärte das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 16. Juli 2002, AZ 22 Ns 4/02, die Auslieferung des Jonathan Z***** laut dem vorerwähnten Ersuchen der Republik Frankreich (und zwar für den Fall der Erhebung eines Rechtsmittels gegen das in Frankreich in Abwesenheit des Auszuliefernden ergangene Urteil auch zur Strafverfolgung wegen der in Rede stehenden Tat) für zulässig. Den von Jonathan Z***** im Auslieferungsverfahren erhobenen Einwand der Identität der einerseits in der Republik Frankreich abgeurteilten, andererseits im Inlandsverfahren dem rechtskräftigen Teilfreispruch (mit-)zugrunde liegenden Tat begegnete das Oberlandesgericht Wien mit der Auffassung, dass die Erzeugung, die Einfuhr, die Ausfuhr und das Inverkehrsetzen eines Suchtgiftes real konkurrierende Tathandlungen seien, weshalb der vom französischen Urteil umfasste Vorwurf der Bestimmung der Claudia S***** zur Einfuhr von 1.958,3 Gramm Kokain nach Frankreich bzw der Beteiligung an dieser Tat inhaltlich nicht mit dem Verdacht gleichzusetzen sei, der Auszuliefernde habe die Genannte zur Verbringung dieser Suchtgiftmenge nach Österreich zu bestimmen versucht.
Rechtliche Beurteilung
Dieser Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Im hier maßgebenden europäischen Auslieferungsrecht ist der Grundsatz des "ne bis in idem" als die Vertragsstaaten bindendes fundamentales Prinzip verankert (Art 9 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, BGBl 1969/320 in der geltenden Fassung), dem auch § 16 Abs 3 ARHG entsprechend Rechnung trägt. Demnach kommt die Bewilligung einer Auslieferung an den ersuchenden Staat nicht in Betracht, wenn die vom Auslieferungsersuchen betroffene Person wegen des auslieferungsrelevanten Verhaltens - wie hier durch den vom Landesgericht für Strafsachen Wien gefällten Teilfreispruch - bereits rechtskräftig abgeurteilt worden ist.
Der im Anlassfall gebotene Vergleich des einerseits im Ersuchen der Republik Frankreich um Auslieferung des Jonathan Z***** bezogenen Sachverhaltes mit den Tatsachengrundlagen des mit dem Teilfreispruch erledigten Anklagevorwurfs führt zu dem Ergebnis, dass die in der Republik Österreich unter Anklage gestellte Beteiligung an der Ausfuhr von etwa zwei Kilogramm Kokain aus Kolumbien und der tatplangemäßen Verbringung dieser Suchtgiftmenge über Paris via Budapest nach Wien eindeutig auch jene Planteilakte miteinschließt, die dem (wenn auch in seiner Abwesenheit) mit dem vorbezeichneten Urteil des Großinstanzgerichts von Bobigny gefällten Schuldspruch des Jonathan Z***** (Beteiligung an der Einfuhr des Suchtgifts aus Kolumbien nach Frankreich durch Claudia S*****) zugrunde liegen. Die dazu vom Oberlandesgericht Wien ins Treffen geführten Rechtserwägungen in Richtung Realkonkurrenz von innerhalb des Tatplans eigenständigen Handlungsphasen vernachlässigen, dass der im Inland erhobene Anklagevorwurf explizit auch die in der Republik Frankreich urteilsgegenständlichen Teilakte beinhaltete, weshalb der im Inland in Rechtskraft erwachsene Freispruch nach dem - wie dargelegt - fundamentalen auslieferungsrechtlichen Grundsatz "ne bis in idem" der von der Republik Frankreich angestrebten Auslieferung zwingend entgegensteht.
Der aus dieser Sicht gesetzwidrige Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien war demnach in Stattgebung der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Beschlussfassung unter gebotener Beachtung der erwähnten Rechtsgrundlagen aufzutragen.