13Os60/02 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2002 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lazarus als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Engin A***** wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 29. Jänner 2002, GZ 403 cHv 20001/01f-67, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Engin A***** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen (I) des Verbrechens der erpressischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB und der Vergehen (II) der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB und (III) nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG schuldig erkannt. Danach hat er am 14. Juli 2002 in Wien
(I) sich des Sicherheitswachebeamten RevInsp Gerd N***** ohne dessen Einwilligung durch Entreißen und anschließendes gezieltes Vorhalten einer Dienstpistole, sohin mit Gewalt, bemächtigt, um Dritte zu Handlungen zu nötigen, nämlich zunächst die Sicherheitswachebeamtin Insp Verena U***** zur Herausgabe ihrer Dienstwaffe mitsamt Reservemagazin sowie in der Folge Insp Verena U***** und andere Polizeibeamte dazu, seine Kinder und seine Frau in die Wohnung zurückzubringen und die vorort anwesenden Polizeikräfte abzuziehen; (II) die Sicherheitswachebeamten RevInsp Gerd N***** und Insp Verena U*****, die Engin A***** auf Grund einer Anzeige wegen des Verdachtes der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB beamtshandelten, mithin Beamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben durch Versetzen von Stößen zur Erlangung der in Punkt I genannten Dienstpistole des RevInsp Gerd N***** vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat bei RevInsp Gerd N***** Hautabschürfungen am rechten Ellenbogen, am rechten Zeigefingergrundglied und an der Innenseite des rechten Handgelenks sowie bei Insp U***** eine Hautabschürfung und eine Prellung an der rechten Handkante zur Folge hatte;
(II) wenn auch nur fahrlässig, unbefugt genehmigungspflichtige Schusswaffen, nämlich die RevInsp Gerd N***** und Insp Verena U***** gehörenden Dienstpistolen der Marke Glock besessen. Die Geschworenen bejahten die auf das Verbrechen der erpresserischen Entführung gerichtete Hauptfrage 1, die Hauptfrage 2 nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung sowie die Hauptfrage 3 nach dem Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG und verneinten die zu jeder Hauptfrage gesondert gestellte jeweilige Zusatzfrage 1, 2 und 3 betreffend das Vorliegen von Zurechnungsunfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Weitere Fragen waren nicht gestellt worden.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen den Schuldspruch aus Z 5 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel. Zu Unrecht moniert die Verfahrensrüge (Z 5) die Ablehnung der in der Hauptverhandlung vom 29. Jänner 2002 gestellten Anträge auf Beischaffung der Krankengeschichte je des Facharztes für Neurologie Dr. Albert W***** und des praktischen Arztes Dr. Basil D*****, weiters
der Vernehmung der Zeugen Gül Ayse B***** und Nevin A***** sowie der Einholung eines ergänzenden Gutachtens eines "anderen" Sachverständigen aus dem Gebiet der Neurologie und Psychiatrie, (alle) zum Beweis dafür, "dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten ihm nicht schuldhaft vorwerfbar sind" (S 489 Bd I). Wie der Schwurgerichtshof im abweislichen Zwischenerkenntnis (S 493/I) im Ergebnis zutreffend darlegt, konnte die angestrebte Beweisaufnahme ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben. Abgesehen davon, dass das Beweisthema, "dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten ihm nicht schuldhaft vorwerfbar sind", auf die Beantwortung einer Rechtsfrage abzielt, deren Lösung dem Gericht und nicht allfälligen Zeugen oder Sachverständigen zusteht, bleiben die Beweisanträge jegliche Darlegung schuldig, welche Wahrnehmungen die Zeugen betreffend den Geisteszustand des Angeklagten zum Tatzeitpunkt gemacht haben sollen, die eine Verbreiterung der Beweisgrundlage füglich erwarten ließe oder inwieferne die Krankengeschichten über das in der Hauptverhandlung mit dem Sachverständigen erörterte Ausmaß der Wahrheitsfindung dienlich sein könnten, sodass sie sich im Ergebnis als unzulässige Erkundungsbeweise darstellen. Auch beim Begehren auf Beiziehung eines "anderen" Sachverständigen wird weder die besondere Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung behauptet noch dargetan, weshalb die vom Beschwerdeführer monierte "mangelnde Vertrauensbasis" (die darin erblickt wird, dass der Sachverständige nicht zu dem vom Beschwerdeführer gewünschten Gutachtensergebnis gekommen ist) eine Basis für Mängel des Gutachtens im Sinn des § 126 StPO bilden soll. Die dazu in der Beschwerde nachgetragenen Erwägungen haben dabei außer Betracht zu bleiben, da bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrages stets auf die Entscheidungsgrundlagen zum Zeitpunkt der Antragstellung in erster Instanz abzustellen ist.
Demnach wurden insgesamt durch das bekämpfte Zwischenerkenntnis weder Gesetze noch Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet, deren Beobachtung durch die grundrechtliche Vorschriften, insbesondere durch Art 6 EMRK oder sonst durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher nach §§ 344, 285d StPO in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Über die Berufungen wird das zuständige Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§§ 285i, 344 StPO).